Der Schweizer Hedge-Fund-Manager Felix Zulauf sagt, dass die Börse um weitere 20 Prozent einbrechen könnte. Zudem befürchtet er eine gravierende Schuldenkrise – besonders in Europa.
Herr Zulauf, Sie pflegen enge Kontakte zu Vertrauenspersonen von Donald Trump. Warum zerschlägt der US-Präsident die globale Handelsordnung mit dem Holzhammer?
Trump macht genau das, was er vor der Wahl versprochen hat. Er will mehr industrielle Produktion in die USA zurückholen und die Selbstversorgung sicherstellen. Er glaubt, dass die Welt seit Jahren unfair mit den USA umgeht. Tatsächlich verfolgt China ein komplett anderes Entwicklungsmodell: Dieses beinhaltet massive Investitionen. Gleichzeitig streben die staatsnahen Konzerne nicht nach Rentabilität, sondern nach einem möglichst grossen globalen Marktanteil. Das Problem dabei ist: Das westliche und das chinesische Modell sind nicht kompatibel. Auch Europa inklusive der Schweiz verfolgt seit dem Zweiten Weltkrieg eine merkantilistische, auf die Exportförderung ausgerichtete Politik.
Indem Trump die Handelsordnung einstampft, riskiert er eine globale Wirtschaftskrise. Am Schluss verlieren alle.
Wir erleben das Ende der Globalisierung sowie der Welthandelsorganisation (WTO). Die USA halten sich nicht mehr an die im Jahre 1947 vereinbarten Regeln, sondern wollen ein Ungleichgewicht beseitigen, das aus ihrer Sicht in die Sackgasse führt. Die heutige Krise ist durch die immer gegensätzlicheren Ziele von Asien, Europa und Amerika entstanden.
Die bisherige Handelsordnung war doch eine Win-win-Situation. Auch die USA haben vom steigenden Wohlstand profitiert.
Trump hat erkannt, dass die USA nicht mehr die Sicherheit der Welt garantieren können, weil sie das finanziell überfordert. Damit ist die unipolare US-zentristische Weltordnung beendet, und die Welt braucht eine neue Ordnung. Ginge der Trend der letzten Jahrzehnte dagegen unverändert weiter, liefen die USA in eine nicht mehr haltbare Verschuldung hinein, welche ebenso zu einer zunehmenden Verarmung der Mittelschicht führte. Diese Mittelschicht hat Trump gewählt, weil er diesen Leuten versprochen hat, wieder mehr Arbeitsplätze in die USA zu holen.
Trumps Vorgehen ist brachial. Erreicht er damit nicht das genaue Gegenteil dessen, was er eigentlich wollte?
Sein Plan ist brutal und hochriskant. Aber erstens macht er nur, was er vor den Wahlen gesagt hat, und zweitens hatte er bereits in seiner ersten Amtsperiode den grossen Handelspartnern eine vollständige Eliminierung der Zölle vorgeschlagen, um einen fairen Wettbewerb zu erreichen. Alle haben abgelehnt. Doch die Chinesen haben ihre Hausaufgaben gemacht und sind deshalb gut vorbereitet. Sie haben ihre Exporte diversifiziert und neue Märkte erschlossen. Die Europäer dagegen haben die Entwicklung einmal mehr völlig verschlafen.
Der grosse Exportüberschuss macht Europa verletzlich.
Auch Europa hat enorm davon profitiert, dass die USA ihre inländische Nachfrage jahrzehntelang so stark stimuliert haben. Die daraus entstandene tiefe Sparneigung der Amerikaner und der Überkonsum waren eine ungesunde Politik, was zum Handelsbilanzdefizit beitrug. Zudem haben amerikanische Unternehmen wegen Kostenvorteilen ihre Produktion ausgelagert. Diese Entwicklung will Trump beenden.
Ist Europa stark genug für diese Zeitenwende?
Ich bezweifle es, da die EU zentralistisch aufgebaut wurde und der Kontinent als Regulierungsweltmeister die Wettbewerbsfähigkeit einschränkt. Politisch ist Europa ebenfalls gelähmt, da etliche Länder wie Frankreich oder Österreich de facto unregierbar geworden sind. Deutschland ist auf dem besten Weg dorthin: Der neue Kanzler Friedrich Merz beginnt sein Amt bereits als lahme Ente, weil er am Tag nach den Wahlen seine Versprechen gebrochen hat. Er führt Deutschland nun ebenfalls in die Schuldenwirtschaft.
Sie sind skeptisch, dass Deutschlands Flucht nach vorne gelingt?
Deutschlands Schulden steigen in wenigen Jahren über 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Frankreich erreicht bald 130 Prozent, in Italien und Griechenland ist es noch mehr. Weil das Wachstum fehlt, wird mit immer mehr Schulden, die via Notenpresse finanziert sind, die Konjunktur angekurbelt, was aber kaum zusätzliches reales Wachstum bringt. Somit sind die massiv ausgebauten Sozialwerke des Wohlfahrtsstaates gefährdet, und die Bürger verlieren an Kaufkraft. Die Nöte der EU-Länder werden durch die Zollpolitik von Trump nun drastisch verschärft. Das Ende der Globalisierung bedeutet den Anfang vom Ende der EU in ihrer heutigen Form. Die europäischen Länder werden sich wieder auf ihre nationalen Interessen fokussieren.
Felix Zulauf
Koryphäe der Finanzmärkte
International ist der 74-jährige Felix Zulauf, neben Marc Faber, der bekannteste Schweizer Börsenprofi. Der Aufstieg des ehemaligen Fondsmanagers der UBS begann 1987, als er rechtzeitig den Börsencrash voraussagte. In der Folge baute er seinen eigenen Hedge-Fund auf, mit dem er ein Milliardenvermögen verwaltete. Zudem gehörte er über Jahrzehnte dem legendären Roundtable der Börsenzeitschrift «Barron’s» an – nebst Wall-Street-Grössen wie Bill Gross oder Abby Joseph Cohen. Während sich Zulauf operativ aus seinem Hedge-Fund zurückgezogen hat, verfasst er für seine treue weltweite Leserschaft weiterhin einen regelmässigen Börsenbrief. (sal.)
Schon jetzt hinterlässt dieser Backlash riesige Spuren. Die Zölle der USA haben zu einem Einbruch an den Börsen geführt. Kommt es zu einer Finanzkrise?
Offenbar wurden die Aktienmärkte überrascht, obwohl Trump diese Massnahmen vor den Wahlen angekündigt hatte. In meinen Börsenbriefen habe ich seit Monaten auf einen Höchstpunkt im ersten Quartal und danach sinkende Kurse hingewiesen. Für den US-Index S&P 500 hatte ich die Zielgrösse von 5000 Punkten genannt – dieses Niveau hat er jetzt effektiv erreicht. Das Ende der Globalisierung bedeutet eine historische Veränderung und führt zu Schocks, weil die meisten Anleger unvorbereitet sind. Entsprechend entsteht zuerst einmal eine Verkaufspanik. Zudem war die bisherige Bewertung der Aktienmärkte, insbesondere in den USA, historisch extrem hoch.
Geht die Talfahrt somit ungebremst weiter?
Der gegenwärtige Pessimismus dürfte nahe einem Extremstand sein. Nun beginnen die Verhandlungen. Je nach Ergebnis könnte die Talfahrt in wenigen Wochen beendet sein, und es ist im positiven Fall auch eine Erholung möglich. Doch weil die Welt vermutlich in eine Rezession rutscht, werden die Erträge der Unternehmen sinken.
Das müsste also zu einem weiteren Absturz an den Börsen führen.
In der zweiten Jahreshälfte könnte es durchaus zu erneuten Einbrüchen kommen, wenn enttäuschende Geschäftsergebnisse publiziert werden. Eine normale Bewertung aufgrund historischer Erfahrungswerte würde für den S&P 500 knapp unter 4000 Punkten liegen – also rund 20 Prozent tiefer als heute.
Was wäre der Worst Case?
Im pessimistischen Szenario erreicht Trump sein Ziel nicht und verschärft die Massnahmen weiter – was ich allerdings nicht erwarte. In diesem Fall würde der Welthandel einbrechen, und dies würde eine mehrjährige Wirtschaftskrise auslösen.
Bleiben wir also bei Ihrem Hauptszenario: Denken Sie, dass die Märkte den Einbruch wegstecken können?
Es ist anzunehmen, dass alle Regierungen angesichts der Rezessionsgefahr mit Stimulierungen und die Notenbanken mit Zinssenkungen und Liquiditätszufuhren reagieren werden. Auch Trump braucht einen solchen Aufschwung, damit die Republikaner bei den Zwischenwahlen im Herbst 2026 gut abschneiden. Somit könnten die Börsenkurse in den kommenden Jahren wieder auf neue Höchstwerte klettern. Allerdings hätte dieser Boom einen entscheidenden Haken: Weil er von den offenen Geldschleusen lebte, basierte er nicht auf einer realen Verbesserung der Wirtschaft. Es wäre ein Aufschwung auf Kredit, der primär Schulden, Inflation und reale Vermögenswerte wie Aktien in die Höhe treiben würde.
Welche Gefahren entstehen dadurch?
Gute Schulden ermöglichen Investitionen, aus denen Renditen entstehen. Schlechte Schulden dagegen werden verkonsumiert – was heute primär der Fall ist. Doch die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Und weil sich die normalen Einkommenssteuern nicht beliebig erhöhen lassen, bleiben als Ausweg nur Enteignungen oder gar Staatspleiten.
Sie halten Enteignungen für möglich?
Das ist eigentlich der Normalfall, der auf verschiedene Arten ablaufen kann. Unter anderem werden Zwangsabgaben in allen möglichen Varianten und mit schönen Namen in Mode kommen. Deshalb halte ich das Schuldenpaket von Friedrich Merz für eine Katastrophe. Im Prinzip ist es eine Bankrotterklärung jenes Deutschlands, das wir alle einmal als stabil, leistungsfähig und vertrauenswürdig kannten.
Es wäre ein gewaltiger Schock, wenn ein europäisches Land seine Schulden nicht mehr refinanzieren könnte.
Man wird eine Staatspleite so lange wie möglich hinauszögern und sich über die Notenpresse finanzieren, aber das ist nur eine zeitliche Verschiebung in die Zukunft. Zudem verschärfen das geringe Wachstum und die alternde Bevölkerung die Gefahr einer Insolvenz. Vor allem aber profitierten die Staaten bisher von sinkenden Zinsen wegen fallender Inflation. Dieser bisherige Vorteil wird mit der zunehmenden Inflation ins Gegenteil kippen.
Eine Staatspleite in Europa: Ist das nicht Schwarzmalerei?
Die Wirtschaftsgeschichte zeigt uns, dass grosse Verschuldungen ausnahmslos zu Verwerfungen an den Finanzmärkten geführt haben und häufig zu Insolvenzen. In den letzten 200 Jahren gingen Österreich-Ungarn, Spanien, Deutschland, Portugal, Griechenland mehrmals und Italien einmal bankrott. Es ist also nichts Neues unter der Sonne, nur sind wir das seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gewohnt und kennen es lediglich von Entwicklungsländern. Jetzt kommt das Problem nach Europa, weil hier insbesondere seit dem Fall der Mauer Misswirtschaft betrieben wird und wir über unsere Verhältnisse leben.
Wie könnte sich die Schweiz in einer solchen Notlage behaupten? In bisherigen Krisen hat die Nationalbank riesige Mengen an Devisen gekauft, um die Aufwertung des Frankens zu bremsen. Wird das weiterhin funktionieren?
Die Schweiz verfolgt aus meiner Sicht seit Jahren ein falsches Modell. Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU ist die Exportquote gemessen am Bruttoinlandprodukt von 55 auf 75 Prozent gestiegen. Trotz dem starken quantitativen Wachstum stagniert aber unser Wohlstand pro Kopf. Deshalb hätte die Nationalbank eine stärkere Aufwertung des Frankens zulassen sollen, um qualitatives anstatt Mengenwachstum zu fördern. Auch für die letzten beiden Zinssenkungen habe ich wenig Verständnis. Diese bringen der Wirtschaft kaum Vorteile, während die Sparer einmal mehr die Leidtragenden sind. Zudem führen zu tiefe Zinsen zu Fehlinvestitionen, die dann bei einer Krise als Eiterbeule aufbrechen.
Falls Ihr Szenario einer Schuldenkrise eintritt: Wie soll man sich als Anleger schützen?
Bei einer solchen Verwerfung, aus der womöglich neue Währungen entstehen, haben Realwerte die besten Überlebenschancen, also Aktien, Immobilien, Gold oder Rohstoffe. Hausbesitzer könnten allerdings von höheren Hypothekarzinsen getroffen werden. Zwar muss man bei den Aktien vorübergehend starke Kursverluste in Kauf nehmen. Doch ein diversifiziertes Portfolio aus Standardwerten wird sich auch nach einer schweren Krise erholen. Zudem haben wir in der Schweiz neben den Blue Chips eine Vielzahl mittelgrosser Firmen, die sich selbst in einer neuen Welt mit Zöllen durchsetzen können.