Die Mitglieder der Landesregierung jetten immer häufiger und komfortabler durch die Welt – eine kurze (Pannen-)Geschichte der eidgenössischen Aviatik.
Bescheidenheit gilt in der Schweiz als Staatstugend. Und so war der Ärger programmiert, als der Bundesrat im vergangenen Herbst, mitten in der ärgsten Spardebatte der jüngeren Zeit, ein neues Flugzeug ankündigte. Nicht irgendeines, sondern eine Bombardier Global 7500, der weltweit grösste Business-Jet, mit einer Geschwindigkeit nahe am Überschallbereich und einer Reichweite von 13 000 Kilometern, also bis nach Australien. «Entdecken Sie die uneingeschränkte Freiheit und den massgeschneiderten Luxus», wirbt der Hersteller. Kostenpunkt: rund 100 Millionen Franken, die per bundesrätlichem Kniff noch nachträglich im Budget 2023 verbucht wurden.
Die Bundesverwaltung und der Boulevard frotzeln seither über den «Palast der Lüfte». Politiker von rechts und links haben sich schon empört. Nun ist in den vergangenen Tagen ein komödiantisches Element hinzugekommen. Das Bombardier-Bijou, inzwischen in der Schweiz gelandet, ist zu gross für die bundeseigenen Hangars auf dem Flughafen Bern-Belp und dem Militärflugplatz Payerne. Bis ein passender Einstellplatz erstellt ist (in zwei Jahren), muss der Bund sich extern einmieten, wie der «Blick» herausfand. Hat da vorher niemand nachgemessen?
Die Episode passt zur turbulenten Geschichte der Bundesratsjets: Schon immer haben sie für Diskussionen gesorgt – und für Pannen.
Lachen über die Schweizer
Lange Zeit hielt die republikanische Schweiz wenig von Auslandsreisen ihrer Magistraten, schon gar nicht per Flugzeug. Anfang des 20. Jahrhunderts gelten Staatsvisiten als Unsitte verschwenderischer Monarchien. Doch nicht nur hohe Kosten der Reisediplomatie sind Grund für die eidgenössisch kultivierte Stubenhockerei. Sondern auch die Sorge, die Bundesräte könnten im Ausland eigenmächtig handeln, sich lächerlich machen oder über den Tisch ziehen lassen. Das ändert sich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Auslandstreffen dringlicher werden. Naturgemäss reisen die Aussenminister am meisten, dann folgen die Verkehrsminister, die etwa die Einweihung von neuen Interkontinentalflügen der Swissair als Gelegenheit nutzen. Aber noch 1966 schreibt das Aussendepartement: «Bleiben wir unserer diskreten und seriösen Diplomatie treu, und diese eignet sich nicht für spektakuläre Besuchsreisen.»
Erst allmählich passen sich die Schweizer den internationalen Gepflogenheiten an. Seit den 1970er Jahren stellt das Bundesamt für Zivilluftfahrt den Bundesräten eine Turboprop-Maschine zur Verfügung – ein für vier Passagiere konzipiertes Kleinflugzeug, in das sich aber bis zu achtköpfige Delegationen zwängen. Das reiche Land gibt sich regelrecht der Lächerlichkeit preis, wie Aussenminister Pierre Graber feststellt, als er einmal in München landet – und das Gelächter des Empfangskomitees mit jedem weiteren aussteigenden Schweizer grösser wird.
Auch das 1983 beschaffte zweimotorige Propellerflugzeug des Typs «Beechcraft Super King Air» ist so eng, dass die Passagiere in der Kabine nicht aufrecht stehen können. Als Toilette steht nur eine Notschüssel zur Verfügung, mit dem Warnhinweis: «Vor Benutzung Pilot informieren.» Die Maschine «genügt den Anforderungen für VIP-Transporte des Bundes nicht mehr», heisst es dann 1989 in einem vertraulichen Bericht. Gefragt sind mehr Sicherheit und mehr Komfort. Der damalige Verkehrsminister Adolf Ogi wird mit der Evaluation eines neuen Lang- oder Mittelstreckenjets betraut. Seine Argumente für einen Kauf: «Volle Verfügbarkeit und damit volle Flexibilität.» Zudem sei auch die «Erscheinung gegen aussen» wichtig: «Kann sich der Bundesrat ein Mietflugzeug leisten?»
Frank A. Meyer, der mächtige Ringier-Journalist (und Ogi-Vertraute), wirbt: «Europa und die Welt warten nicht auf uns. Wir müssen Europa nacheilen. Im sicheren, schnellen und bequemen bundesrätlichen Flugzeug.»
So schwingt sich der Bundesrat bald standesgemäss in die Lüfte, mit einer schicken Falcon 900 der französischen Firma Dassault. Aber nur zur Miete. Gegen einen Kauf des Langstrecken-Business-Jets sprach der Unmut über das 35-Millionen-Projekt in der Bevölkerung sowie das Nein von Finanzminister Otto Stich (der ohnehin findet, dem Bund stünden als Swissair-Aktionärin ja Gutscheine für Linienflüge zur Verfügung). Ogi, der in den frühen 1990er Jahren als charmanter Vielflieger guten Wind in Europa macht, ist begeistert: «Der Bundesratsjet ist für uns alle ein Arbeitsinstrument. Ohne diesen Jet können wir unseren Auftrag nicht erfüllen.»
«Ein Arbeitsinstrument»
1995 kauft der Bund dann doch einen eigenen Jet, einen Occasionsflieger des Typs Falcon 50 für knapp zehn Millionen. Kritiker warnen zwar vor «horrenden Folgekosten», doch das Geschäft wird im Parlament durchgewinkt. Mit dem Kauf hieve sich die Schweiz zumindest «auf den aviatischen Standard der Regierung eines mittleren Entwicklungslandes», wird argumentiert. Nur vier Jahre später zeigt sich, dass das Flugzeug nicht den internationalen Vorschriften genügt. Das Cockpit muss für über fünf Millionen Franken ersetzt werden – mehr als die Hälfte des Kaufpreises.
Im Jahr 2002 wird zudem eine Cessna des Typs Citation Excel beschafft, als Ersatz für das Beechcraft-Propellerflugzeug. Und als 2013 die Falcon 50 wegen technischer Probleme ausser Dienst gestellt wird – obwohl der Bundesrat zwei Jahre zuvor noch verkündet hat, sie sei noch mindestens zehn Jahre flugtüchtig –, erwirbt die Schweiz erneut ein Occasion-Schnäppchen: eine Falcon 900 für 35 Millionen Franken, die Albert, dem Fürsten von Monaco, nicht mehr gut genug ist. 2014 setzt der Bundesrat zudem auf Swissness bei der eigenen Luftflotte. Verteidigungsminister Ueli Maurer beschafft eine PC-24 von Pilatus, ohne dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt worden wäre. «Wir ersetzen damit eine alte Cessna und können uns als Schweizer Regierung mit einem Schweizer Flugzeug in der Welt präsentieren», verkündet Maurer stolz. Anfang 2019 wird die PC-24 ausgeliefert. Aber das Flugzeug, das wie früher nur über ein Not-WC verfügt, wird im Vergleich zur Falcon und zur Cessna so wenig nachgefragt, dass der Bund sie vier Jahre später schon wieder verkauft.
Dabei ist die Nutzung des Lufttransportdienstes des Bundes das ewige Politikum.
Metzler im Sturzflug
Klagen über das vermeintlich exzessive Fliegen der Bundesräte gibt es seit Beginn. Schon 1988 ätzt der «Nebelspalter»: «Umweltfreundlich reden können unsere Bundesräte sehr gut, danach handeln allerdings tun sie nicht.» Das Satiremagazin erwähnt Otto Stich und Flavio Cotti, die sich von Sils Maria bzw. «von einer Mittelmeerinsel» per Lufttransport nach Bern befördern liessen, um ein paar Akten zu unterschreiben. Journalisten und Politiker verlangen immer wieder Rechenschaft über das Reiseverhalten der Landesregierung: wer wie viel – und mit welcher Maschine? Der Bund gibt wenig motiviert Auskunft, früher in Anzahl Flügen, heute in Anzahl Flugstunden.
Als Rekordfliegerin gilt bis heute Ruth Metzler, die während ihrer Amtszeit als Justizministerin gerne ohne Staus von ihrem Wohnort in Appenzell Innerrhoden nach Bern und zurück pendelt. Allein im Jahr 2000 absolviert sie 105 Flüge. «Wenn immer möglich» brauche sie aber den Helikopter, denn so sei die Zeitersparnis grösser als mit dem Bundesratsjet, relativiert ihr Sprecher einmal. Ein Flug mit der Cessna kostet Metzler 2002 fast das Leben: Wegen eines krassen Pilotenfehlers rast der Bundesratsjet im Sturzflug auf den Bodensee zu, erst im letzten Augenblick kann der Pilot die Maschine auffangen. In ihrer Biografie «Grissini & Alpenbitter» hat Metzler trotz dem Zwischenfall nur Lob für die Piloten übrig: «einsatzfreudig und bestrebt, mir das Leben als Bundesrätin so angenehm wie möglich zu machen», seien sie gewesen.
Maximal vier Mitglieder des Bundesrates dürfen im selben Flugzeug sitzen, so die Vorsichtsmassnahme, falls bei der Reise etwas schiefgehen sollte. Von einem Unglück bleibt die Schweizer Regierung zum Glück verschont – trotz riskanter Landung bei dichtem Nebel in Bern-Belp (Bundesrat Ogi 1999) oder Rauch in der Kabine (Bundesrat Couchepin 2003).
Grosse Schlagzeilen machen andere Flugkapriolen. Doris Leuthard besucht 2017 als Bundespräsidentin medienwirksam Grönland, um sich über die Folgen des Klimawandels zu informieren – ausgerechnet im eigenen Jet. Als «der aufwendigste und exotischste Flug» geht eine Reise von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in die Geschichte ein: Sie reist 2003 mit der Falcon 50 nach Nordkorea, um dort die Demarkationslinie zu Südkorea zu überschreiten. Logistisch ist es ein Albtraum: Zwei Tankstopps sind nötig, in Moskau und in Nowosibirsk, samt Wechsel der Crew. Die Kosten werden auf 200 000 Franken geschätzt; den Linienflug Zürich–Peking–Pjongjang hätte die Schweizer Delegation für 45 000 Franken buchen können.
Noch teurer ist eine Reise von Calmy-Reys Nachfolger im Aussendepartement: 2014 fliegt Didier Burkhalter mit der Falcon 900 bis nach Australien, Neuseeland und Vanuatu. Das Ozeanien-Abenteuer kostet eine halbe Million Franken – und löst eine Debatte um Sinn und Unsinn solcher Reisen aus.
Blocher rechnet
Dass es auch anders geht, zeigt Christoph Blocher. Bei seiner zweiten Auslandsreise als Justizminister lässt er sich 2004 demonstrativ einen Swiss-Linienflug nach Berlin buchen. «Ich habe die Preise verglichen, und es war so viel günstiger!», erklärt Blocher. Er sei als Unternehmer in Europa immer Economy geflogen. Tatsächlich kostet die Reise für ihn (Business) und seine vier Begleiter (Holzklasse) ein Zehntel so viel wie im Bundesratsjet, wie Medien nachrechnen. Die Debatten um Kosten und Klimawandel haben in den vergangenen Jahren den Druck auf die Landesregierung erhöht, den Lufttransportdienst zurückhaltender zu nutzen. Doch nur etwas hat die Anzahl Flugstunden bisher reduziert, zumindest vorübergehend: die Corona-Pandemie.
Und nun also ein neuer, noch besserer Jet, die Bombardier Global 7500. Der Bundesrat erhofft sich mit ihr «eine deutlich grössere Reichweite und mehr Autonomie». Den Beschaffungsentscheid hat die Regierung auch vor dem Hintergrund von zwei peinlichen Pannen auf Langstreckenflügen mit der Falcon 900 gefällt: Im Jahr 2021 muss zuerst Bundesrat Guy Parmelin auf dem Weg nach Tokyo in Riga zwischenlanden und verpasst eine Audienz beim japanischen Kaiser. Wenige Monate später schafft es Aussenminister Ignazio Cassis nicht rechtzeitig an ein Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen in Schanghai. Beide Male wegen technischer Probleme.
Das 100-Millionen-Franken-Flugzeug sei ein «dringend nötiges Upgrade», heisst es beim Bund. Auch wegen der neuen geopolitischen Lage. Im Sommer und Herbst soll ein Selbstschutzsystem eingebaut werden, das die Risiken durch einen Beschuss mit sogenannten Manpads reduzieren soll: tragbaren Flugabwehr-Lenkwaffen, wie sie etwa Terrorgruppen verwenden. Per Ende 2025 wird das Flugzeug schliesslich «zur vollen Nutzung bereitstehen». Im Einsatz ist es indes schon.
Aussenminister Cassis ist vergangene Woche im «Palast der Lüfte» auf Lateinamerika-Reise gewesen. Er musste aber, um nach La Paz zu gelangen, im bolivianischen Tiefland landen und einen Linienflug nehmen, wie der «Sonntags-Blick» berichtet. Der Grund: Der neue Bundesratsjet ist nicht nur zu gross für die heimischen Hangars, sondern auch noch nicht zertifiziert für hoch gelegene Flughäfen.