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Im Wembley gegen Real Madrid: Gregor Kobel steht am Samstag auf ganz grosser Bühne im Fokus. Der 26-jährige Schweizer erklärt, wie er zum Weltklassetorhüter wurde. Und er sagt, weshalb er zu Hause ein Gym hat.
Gregor Kobel, wie bereiten Sie sich auf das wichtigste Spiel Ihrer Karriere vor?
Wir hatten nach dem letzten Spieltag in der Bundesliga zwei Wochen keine Begegnung mehr, das ist speziell. Aber wir versuchen, die Abläufe nicht gross zu ändern. Es prasselt zurzeit natürlich auch sehr viel auf uns ein von den Medien, wir spüren die Vorfreude und den Stolz bei den Fans und im Klub, die Anspannung nimmt zu.
Haben Sie in den letzten Tagen auch ein wenig Zeit für sich gehabt?
Ich war am Wochenende zusammen mit meiner Freundin in Zürich bei unseren Familien, aber natürlich stand der Champions-League-Final gegen Real Madrid in letzter Zeit ständig im Fokus. Wir können etwas erreichen, was uns ein Leben lang begleiten wird.
Sie sagten bereits nach dem Viertelfinalsieg in der Champions League gegen Atlético Madrid, das sei das grösste Spiel Ihrer Karriere gewesen. Nun geht es im Wembley gegen Real Madrid. Ist eine bessere Affiche überhaupt möglich?
Das kann ich erst am Ende meiner Karriere beantworten. Wembley, Real Madrid, Champions-League-Final: Natürlich ist das eine riesige Bühne. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir das auch geniessen können. Wenn wir uns zu sehr verkrampfen, werden wir nicht unsere Leistung abrufen können. Und darum wird es gehen: dass wir mit Mentalität und Aggressivität spielen, dass wir unseren Matchplan umsetzen, dass wir alles daransetzen, das beste Spiel unserer Karriere zu zeigen. Dann haben wir eine Chance. Real Madrid ist wie eine Weltauswahl und erfahrener als wir. Sie haben Spieler, die ihren fünften oder sechsten Champions-League-Final absolvieren.
Dortmund ist der Aussenseiter, vielleicht 45:55.
Oh, das ist noch nett formuliert von Ihnen. Da gibt es andere Einschätzungen. Etwa, dass wir der Underdog seien, der keine Chance habe. Aber wir hören schon die ganze Saison, dass wir Aussenseiter seien. In der Gruppenphase wurden wir Erster vor Paris Saint-Germain, der AC Milan und Newcastle, obwohl viele prophezeit hatten, dass wir ausscheiden werden. Später gewannen wir gegen Atlético Madrid und PSG, auch das haben uns viele nicht zugetraut. Wir können mit dieser Rolle also ganz gut leben.
Im Halbfinal gegen Paris Saint-Germain gewann Dortmund zweimal 1:0, der Gegner traf insgesamt sechsmal Pfosten und Latte. Wie haben Sie die Begegnungen erlebt?
Wir haben den Finaleinzug verdient, weil wir zweimal sehr diszipliniert gespielt haben. Auf diesem hohen Niveau des Klubfussballs entscheiden Details, das wird auch im Final nicht anders sein. Wenn man zweimal zu null spielt in einem Champions-League-Halbfinal gegen PSG mit diesen starken Offensivspielern wie Kylian Mbappé, bin ich als Goalie sehr zufrieden.
Wer ist eigentlich der beste Torhüter der Welt?
Keine Ahnung. Das sollen andere beurteilen. Diese individuellen Auszeichnungen sind interessant und gehören dazu, aber Fussball ist ein Teamsport. Der beste Torhüter der Welt kann allein nichts ausrichten.
Auch von deutschen Journalisten hören wir regelmässig, dass Sie zu den drei besten Torhütern der Welt gehören. Orientieren Sie sich an Goalies wie Thibaut Courtois von Real Madrid oder Manuel Neuer von Bayern München?
Wenn ich Fussballspiele schaue, achte ich immer stark auf die Torhüter. Aber das mache ich nicht nur bei Goalies in der Weltspitze, sondern auch bei anderen. Man kann immer etwas für sich selbst lernen.
Sie bezeichneten einst den Deutschen Oliver Kahn als Vorbild. Wie stark hat er Sie geprägt?
Ich würde heute nicht mehr von Vorbildern sprechen, ein Idol hatte ich nie. Aber die Klasse, der Ehrgeiz und die Einstellung von Kahn waren bewundernswert. Ich verfolgte als Kind die Bundesliga stark, und Oliver Kahn und auch Jens Lehmann waren Torhüter, die mich beeinflussten.
Sie verliessen GC bereits mit 16 Jahren Richtung Hoffenheim, spielten später bei Augsburg und Stuttgart und sind nun bei Borussia Dortmund mit 26 Jahren zum besten Torhüter der Bundesliga gewählt worden. Was sagt dieser Karriereverlauf über Sie aus?
Ich denke, dass ich schon immer zielstrebig war, an mich geglaubt habe und weiterkommen wollte. Es war der perfekte Schritt, so früh ins Ausland zu gehen. Hoffenheim hat eine ausgezeichnete Nachwuchsabteilung mit exzellenten Torhütertrainern. Davon habe ich profitiert. Es war am Anfang nicht einfach, ich hatte natürlich auch einmal Heimweh. Aber alles ging so schnell, ich entwickelte mich weiter, als Goalie und als Person. Bei Hoffenheim hatten wir einige junge Spieler, die allein waren, und weil es keine grössere Stadt in der Umgebung gibt, waren wir oft zusammen. Das war eine coole Zeit.
Ihnen wurde damals als Talent bei GC keine Perspektive aufgezeigt vom Verein. Ist GC dennoch immer noch Ihr Herzensklub in der Schweiz?
Es lief sicher nicht alles ideal für mich bei GC, aber das ist lange her. Ich war schon als Bub GC-Fan, die Grasshoppers sind schon der Klub, mit dem ich in der Schweiz die stärkste Verbindung habe. Doch ich muss zugeben, dass ich die Super League nicht sehr eng verfolge. Das hängt auf jeden Fall auch damit zusammen, dass ich gar nie in der ersten Mannschaft bei GC war und schon sehr früh ins Ausland ging.
Mit einem Sieg gegen Real Madrid würden Sie in Dortmund definitiv Heldenstatus erreichen. Werden Sie oft auf Stéphane Chapuisat angesprochen, der 1997 mit der Borussia die Champions League gewann?
Chapuisat ist eindeutig eine Legende hier, seine Geschichte kennt jeder Borussia-Fan. Dortmund hat auch in der Schweiz viele Fans, was an ihm und seinen Leistungen liegt. Wenn wir vor der Saison im Trainingslager in Bad Ragaz sind, fällt auf, wie beliebt wir sind. Und auch im Stadion bei uns gibt es immer die eine oder andere Schweizer Fahne.
In der Bundesliga enttäuschte Dortmund in dieser Saison und landete 27 Punkte hinter Bayer Leverkusen nur auf Rang 5. Was lief in der Liga schief?
Insgesamt war das nicht sonderlich gut, was wir in der Bundesliga abgeliefert haben. Unser Minimalziel, die Qualifikation für die Champions League, haben wir aber erreicht. Wir waren nicht konstant genug. Mit unseren internationalen Auftritten haben wir unsere Saison jedoch etwas retten können. Und das wichtigste Spiel kommt ja am Samstag gegen Real Madrid erst noch.
Gregor Kobel with the most clean sheets in 2023/24 ✅#UCLfinal pic.twitter.com/fD2QyHw6Vg
— UEFA Champions League (@ChampionsLeague) May 29, 2024
Vor genau einem Jahr verlor Dortmund den Meistertitel am letzten Spieltag dramatisch an Bayern München. Wie lange hat es gedauert, diese schwere Enttäuschung zu verdauen?
Das war sehr bitter und hat Spuren hinterlassen, was normal ist. Ich werde mich mein ganzes Leben lang daran erinnern. Aber im Fussball geht es immer weiter, man erhält zum Glück die Gelegenheit, sich zu rehabilitieren.
Sie haben Ihre Karriere klug geplant. Nun hört man immer wieder, dass sich die Topteams in der Premier League, aber auch Real Madrid und Bayern München, wo Sie Nachfolger von Manuel Neuer werden könnten, mit Ihnen befassen. Wann möchten Sie den Schritt zu einem noch grösseren Klub machen?
Ich bin bei Borussia Dortmund in einem absoluten europäischen Topverein und kann auf höchstem Niveau spielen. Mit einem Transfer beschäftige ich mich im Moment überhaupt nicht. Gerüchte gehören zum Geschäft, ich kann sie nicht kontrollieren. Mein Fokus liegt auf Borussia Dortmund.
Sie werden als sehr ehrgeizig beschrieben und als Musterprofi, der auch privat hart trainiert. Stimmt die Geschichte mit dem eigenen Gym zu Hause eigentlich?
Als Fussballprofi hat man die Verpflichtung, alles dafür zu tun, fit zu sein. Wir haben ein sehr anstrengendes Programm mit Begegnungen alle drei, vier Tage, mit Reisen ins Ausland, mit den Zusammenzügen im Nationalteam. Ich habe tatsächlich zu Hause ein Gym, weil ich meinen Körper pflege und trainiere, um noch robuster und beweglicher zu werden.
Es hiess schon, die kleinen Verletzungen, die Sie ab und zu haben, könnten auch die Folge von zu harten Trainings sein. Kann man auch zu viel machen?
Zweifellos. Es ist wichtig, die richtige Mischung zu finden, weil die Regeneration entscheidend ist. Ich denke, mir gelingt es ganz gut, die Belastung zu dosieren und im richtigen Moment Reize zu setzen. Dazu gehört auch meine jahrelange Arbeit mit dem Mentalcoach, um mit den manchmal aussergewöhnlichen Drucksituationen im Fussball zurechtzukommen.
Visualisieren Sie wie Skifahrer oder Formel-1-Fahrer mögliche Szenen wie ein Elfmeterschiessen?
Im Fussball kann man sich nur bis zu einem gewissen Grad auf Situationen vorbereiten. Eine Skipiste und ein Formel-1-Kurs verändern sich nicht, aber als Goalie ist man stark davon abhängig, wie der Ball fliegt oder abgefälscht wird. Eine gute Vorbereitung auf Spiele und Gegenspieler gehört aber dazu, da geht es auch um mögliche Elfmeterschiessen. Wir werden bereit sein, sollte es dazu kommen.
Bald beginnt die Europameisterschaft in Deutschland. Was für ein Turnier erwarten Sie?
Man spürt nach den guten Länderspielen der Deutschen im März eine Aufbruchstimmung im Land, die Euphorie ist grösser geworden. Falls Deutschland eine tolle Europameisterschaft spielt, wird das ein riesiges Volksfest.
Mehrere Dortmunder Leistungsträger wie der Captain Emre Can, der Abwehrchef Mats Hummels oder der Offensivspieler Julian Brandt flogen in den letzten Monaten eher überraschend noch aus dem deutschen Kader. Wie gross ist der Ärger bei der Borussia darüber?
Es ist nicht an mir, das zu beurteilen. Was klar ist: Deutschland hat viele starke Fussballer. Auch Can, Hummels und Brandt haben eine enorm hohe Qualität. Gerade Hummels hat in der Champions League, etwa in den Halbfinals gegen PSG, seine besondere Klasse unter Beweis gestellt und ist äusserst erfahren.
Wie wird das Schweizer Nationalteam eigentlich in Deutschland beurteilt?
Weil wir in der gleichen EM-Gruppe wie Deutschland sind, werde ich oft auf unser Team angesprochen. Die Leute haben mitbekommen, dass die Schweiz an den letzten Turnieren im Gegensatz zu den Deutschen immer die Vorrunde überstanden hat. Als härteste Konkurrenten um den Titel werden aber Frankreich und England wahrgenommen.
Was ist Ihr Ziel an der EM?
Wir können viel erreichen. Das hat das Nationalteam in der Vergangenheit bewiesen. Wichtig ist, dass wir gut ins Turnier kommen. An einem starken Tag kann die Schweiz auch gegen ausgezeichnet besetzte Nationen wie Frankreich, England oder Deutschland bestehen, das haben wir an der letzten EM im Achtelfinal gegen den damaligen Weltmeister Frankreich gesehen.
Es gab in den letzten Monaten regelmässig Unruhe um den Nationaltrainer Murat Yakin, 2023 war kein gutes Schweizer Länderspieljahr. Wie sehen Sie die Entwicklung des Teams?
Die Schweiz ist bei der EM dabei, das Ziel wurde 2023 also erreicht. Und wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einem starken Turnier positive Schlagzeilen zu produzieren. Ich freue mich sehr, an der EM dabei sein zu können.
Ihre Berater haben sich darüber beklagt, dass Murat Yakin bereits vor Weihnachten bekanntgegeben hat, mit Yann Sommer als Stammgoalie an die EM zu gehen. Haben Sie Verständnis dafür, als einer der besten Torhüter der Welt nur die Nummer 2 im Nationalteam zu sein?
Darüber ist genug geredet worden, diese Entscheidung ist getroffen. Yann ist ein ausgezeichneter Torhüter. Ich konzentriere mich auf Dinge, die ich beeinflussen kann. Jeder Torhüter möchte immer spielen, das ist auch mein Anspruch.
Yann Sommer könnte nach der EM mit 35 Jahren zurücktreten, dann bleiben Ihnen immer noch rund zehn Jahre als Schweizer Nummer 1.
Es ist im Fussball nie ratsam, wenn man zu weit in die Zukunft blickt. Ich stehe vor extrem interessanten Wochen. Als Bub habe ich davon geträumt, einen Champions-League-Final absolvieren zu dürfen und an einer WM oder EM dabei zu sein. Dafür habe ich viele Jahre sehr hart gearbeitet.