Wenn das Wetter nicht mitspielt, hat Deutschland einen der dreckigsten Strommixe in ganz Europa. Die neue Regierung sollte bei der Energiepolitik eine Kehrtwende vollziehen und die Diskussion um Atomstrom wieder zulassen.
Deutschland sollte zur Atomkraft zurückkehren. Diese einfache Botschaft verbreitete Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), anlässlich der Uno-Klimakonferenz, die derzeit in Baku stattfindet. Der Schritt wäre «logisch und rational», sagte er gegenüber deutschen Journalisten.
Grossi verwies auf die klimafreundliche Emissionsbilanz der Technologie: «Deshalb wollen Länder, die Atomenergie haben, mehr Atomenergie. Und viele Länder, die keine Atomenergie haben, wollen Atomenergie.» Es gebe nur ein Land, das sich von der Atomkraft vollständig zurückgezogen habe: Deutschland.
Der Chef einer Atombehörde plädiert also für Kernkraft. Atomgegner könnten nun erwidern: Das ist wie ein Metzger, der Fleisch als Teil einer ausgewogenen Ernährung empfiehlt.
Aber Grossi hat recht. Seine Worte kommen genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn die deutsche Politik hat die wahren Probleme ihrer Wirtschaft schon fast vergessen. Sie war in den letzten Wochen mit dem Untergang der Ampelkoalition absorbiert. Bundeskanzler und Finanzminister gaben sich gegenseitig die Schuld am Scheitern der Regierung, und die Opposition wollte Neuwahlen, so rasch die Papierreserven in Deutschland es nur zuliessen.
Während Berlin im politischen Chaos versank, offenbarten sich im Strommarkt die Folgen der verfehlten Energiepolitik.
Die «Ampel» zerbricht, der Strompreis schnellt in die Höhe
Am Abend des 8. Novembers, nur wenige Stunden bevor der Kanzler seinen Finanzminister entliess, schoss der Börsenstrompreis in die Höhe. Phasenweise lag er bei mehr als 800 Euro pro Megawattstunde, zehnmal so hoch wie durchschnittlich in den vergangenen Monaten.
Grund dafür war das Wetter. Die Sonne schien nicht, der Wind blies nicht, die zahlreichen Solar- und Windkraftanlagen im ganzen Land lieferten nur wenig Strom. Experten bezeichnen das als «Dunkelflaute», die Situation könnte sich in den Wintermonaten wiederholen. In der Not greift Deutschland dann zu Gas und Kohle. Beides Energieträger, denen man eigentlich abgeschworen hatte.
71 Prozent des deutschen Stroms stammten Anfang November aus fossilen Quellen – es ist der höchste Anteil seit über zehn Jahren. Gemessen an den CO2-Emissionen pro Kilowattstunde war der deutsche Strom im Oktober 17-mal dreckiger als in Frankreich, wo Atomkraftwerke unabhängig von der Wetterlage eine konstante Stromversorgung liefern.
Deutschland verweigert sich dem Fortschritt
Zur Atomkraft gibt es einige berechtigte Einwände. Da sind etwa die Bedenken zur Wirtschaftlichkeit: Der Bau neuer Atomkraftwerke hat sich vielerorts verzögert und fällt viel teurer als geplant aus. Allen voran im Sommer, wenn mehr als genug Solarstrom verfügbar ist, ist der Betrieb von Kernkraftanlagen kaum wettbewerbsfähig.
Das sind Probleme, die sich wahrscheinlich schon bald lösen lassen. Die Atomforschung entwickelt sich rasant, in den USA sorgen die grossen Tech-Konzerne für einen Investitionsboom und treiben so die Entwicklung von modularen Kleinreaktoren voran. Noch sind diese nicht erprobt – aber Kleinreaktoren könnten im Strommix genau jene Konstanz liefern, die den Erneuerbaren fehlt.
Doch Deutschland zieht die neuen Möglichkeiten gar nicht erst in Erwägung. Das Land verweigert sich dem Fortschritt.
Die CDU und die FDP scheinen den Denkfehler erkannt zu haben. Beide Parteien forderten jüngst eine Kehrtwende in der Energiepolitik. Es bleibt zu hoffen, dass sie diese in einer allfälligen Beteiligung an der neuen Regierung auch vollziehen würden. Eine Technologie auszuschliessen, weil sie einem aus ideologischen Gründen suspekt ist, darf in Anbetracht der gewaltigen Herausforderungen fürs Klima und für die Wirtschaft keine Option mehr sein.