Gegen Khan läuft eine Untersuchung wegen möglichen sexuellen Fehlverhaltens. Israel fordert derweil einen Rückzug des vom ICC verhängten Haftbefehls gegen Netanyahu.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Karim Khan, ist im Zusammenhang mit einer Untersuchung zu mutmasslichen sexuellen Übergriffen vorübergehend zurückgetreten. Bis zum Abschluss dieses Verfahrens lege er sein Amt nieder, teilte das Gericht am Freitag mit. Hintergrund sind Vorwürfe einer Mitarbeiterin Khans, wonach der Brite sie über Monate zu sexuellen Handlungen gedrängt und begrapscht haben soll. Der Chefankläger wies die Anschuldigungen als haltlos zurück und begrüsste die Untersuchung. Bis zu deren Ende würden seine Stellvertreter seine Aufgaben übernehmen, heisst es in der Mitteilung des ICC.
Der ICC steht unter starkem Druck
Gegen Khan war von der Konferenz der Vertragsstaaten des Gerichtshofs bereits im November die Untersuchung durch eine Uno-Aufsichtsbehörde eingeleitet worden. Zuvor war von einer unbeteiligten Person eine Meldung über sexuelles Fehlverhalten des Chefanklägers eingegangen. Eine erste interne Untersuchung war eingestellt worden, nachdem das mutmassliche Opfer auf eine formelle Beschwerde verzichtet hatte. Die Mitarbeiterin hatte laut Recherchen der Nachrichtenagentur AP kein Vertrauen zu der zuständigen Stelle des ICC und hatte sich auch nicht zu den konkreten Vorwürfen geäussert.
Khans Rückzug kommt zu einem Zeitpunkt, da der Gerichtshof unter starkem Druck steht. Seine Haftbefehle gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen bei der Militäroperation im Gazastreifen haben verbreitet Kritik ausgelöst. Der ICC hatte einen solchen Schritt erstmals gegen Vertreter eines demokratischen Rechtsstaats unternommen.
Der amerikanische Präsident Donald Trump verhängte deshalb im Februar Sanktionen gegen den ICC und seine Mitarbeiter, unter ihnen auch Khan. Ihnen wurde unter anderem die Einreise in die USA verboten. Erst dieser Tage war bekanntgeworden, inwieweit die Massnahmen die Arbeit des Gerichts erschweren. Laut Mitarbeitern soll Microsoft etwa Khans E-Mail-Account gelöscht haben. Auch sein Bankkonto in Grossbritannien sei gesperrt.
Besteht ein Zusammenhang mit den Haftbefehlen?
Israel verlangt einen Rückzug der Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant, weil es die Zuständigkeit des ICC für den Gaza-Krieg bestreitet. Die Vorverfahrenskammer des Gerichts bejahte diese zwar, Israel hat aber dagegen Berufung eingelegt. Erst vor einigen Tagen hatte das «Wall Street Journal» berichtet, Kahn habe die Haftanträge vor einem Jahr just gestellt, nachdem er kurz zuvor von den Vorwürfen gegen ihn erfahren habe. Der Bericht wirft die Frage auf, ob ein Zusammenhang bestehen könnte.
Allerdings hatte es damals schon Wochen vor der Ankündigung Gerüchte gegeben, dass der ICC Haftbefehle auch gegen israelische Politiker und insbesondere Netanyahu verhängen werde. Über den Erlass entscheidet zudem die dreiköpfige Vorverfahrenskammer des Gerichts, nicht Khan. Dieses Gremium kam im letzten November zum Schluss, die vom Chefankläger für einen Haftbefehl vorgebrachten Gründe seien stichhaltig. Khan wiederum brachte die Anschuldigungen gegen sich ebenfalls in Zusammenhang mit seiner umstrittenen Entscheidung. Sie kämen zu einer Zeit, in der er und der ICC verschiedenen Angriffen und Drohungen ausgesetzt seien, erklärte der Chefankläger.