Peter Füglistaler, langjähriger Chef des Bundesamts für Verkehr, beschuldigt Akteure beim Umbau des Bahnhofs Lausanne der Indiskretionen. Genau das wurde ihm selbst gerade vor Gericht vorgeworfen.
«Im Ruhestand», steht auf dem Linkedin-Profil von Peter Füglistaler, seit August 2024. Besser passt wohl das Wortspiel vom «Unruhestand»: Der langjährige Chef des Bundesamts für Verkehr lässt in dem Online-Netzwerk die Welt wissen, dass er Markus Somms Magazin «Nebelspalter» einer «sinnvollen Zweitverwertung» zugeführt habe, nämlich «dem Altpapier». Er wird oft als Experte zur Deutschen Bahn befragt – und er hat am Mittwochabend eine Breitseite abgefeuert gegen Westschweizer Politiker und Medien.
Anlass ist ein Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats zum Umbau des Bahnhofs Lausanne, der sich um mindestens zwölf Jahre verzögert. Die Kommission kritisiert insbesondere die SBB, denen sie etwa «unannehmbare Mängel» in Bauunterlagen vorwirft. Das BAV, das Füglistaler 14 Jahre lang leitete, kommt vergleichsweise gut weg. Füglistaler könnte schweigen und geniessen.
Stattdessen postet er auf Linkedin einen längeren Beitrag. Darin bestätigt er, dass sein Amt und die SBB Fehler gemacht und beide ihre Lehren daraus gezogen hätten. Dann teilt er aus: «Die Probleme in Lausanne hatten eine Ursache darin, dass sich Politikerinnen und Politiker (. . .) zu Entscheiden des BAV im Baubewilligungsverfahren geäussert und ständigen Druck ausgeübt haben.»
Die Waadt und Lausanne hätten Sicherheitsrisiken hingenommen
Das sei so abgelaufen: «Die politischen Verantwortungsträgerinnen des Kantons Waadt und der Stadt Lausanne wurden zu jeder Zeit offen und transparent über die Schwierigkeiten des Projekts» informiert. Am folgenden Tag seien jeweils «alle Informationen, einseitig gefärbt», in der «wenig kritischen Westschweizer Presse» zu lesen gewesen, «mit Anschuldigungen an das BAV».
Westschweizer Bundesparlamentarier hätten ebenfalls Druck gemacht. Das angebliche Ziel: «Auch wenn sicherheitsrelevante Fragen noch nicht ausreichend geklärt waren, sollte die Baufreigabe erteilt werden und die Baumaschinen auffahren.» Im Klartext: Westschweizer Politiker hätten Sicherheitsprobleme in Kauf genommen, um den Umbau zu beschleunigen.
Direkt angesprochen fühlen muss sich Nuria Gorrite, die Waadtländer Regierungsrätin für Infrastruktur. Sie weist die Vorwürfe von sich. «Es gehört zu den Aufgaben von Politikern, Missstände und Sorgen der Bevölkerung öffentlich zu machen», sagt Gorrite.
Das gelte umso mehr, als die Reaktion der Betroffenen – lies: BAV und SBB – nicht der Wichtigkeit des Bauprojekts in Lausanne gerecht geworden sei. Erst als der Kanton sich öffentlich beschwert habe, sagt Gorrite, habe Füglistaler sich bei diesem «für die Schweiz prioritären Projekt» persönlich eingebracht und an Sitzungen teilgenommen.
Im Übrigen, sagt Gorrite, habe sie nie vertrauliche Informationen an die Presse weitergegeben, sondern per Pressemitteilungen informiert. Die Stadt Lausanne hingegen wollte sich am Donnerstag nicht zu Füglistalers Vorwürfen äussern.
Füglistaler in Luzern am Pranger
Nicht nur im Zusammenhang mit dem Bahnhof Lausanne macht der ehemalige Bundesamtsdirektor derzeit von sich reden. Vergangene Woche spielte Füglistaler eine wichtige Rolle beim sogenannten VBL-Prozess in Luzern. Vor Gericht standen fünf gegenwärtige oder ehemalige Kadermitglieder der Verkehrsbetriebe Luzern (VBL). Die Staatsanwaltschaft warf ihnen mehrfachen Betrug sowie Leistungs- und Abgabebetrug vor. Eine der Strafanzeigen stammte vom Bundesamt für Verkehr, das damals noch von Füglistaler geleitet wurde.
Während der dreitägigen Gerichtsverhandlung zeigte sich, dass es nicht nur um angeblich ertrogene Subventionen geht, sondern dass hinter der Auseinandersetzung auch ein tiefgreifender persönlicher Konflikt steht. Und zwar zwischen Peter Füglistaler und dem angeklagten ehemaligen VBL-Direktor Norbert Schmassmann. Dessen Anwalt griff in seinem Plädoyer den früheren BAV-Direktor frontal an.
Der Verteidiger warf Füglistaler vor, mutmasslich für zwei Indiskretionen verantwortlich zu sein. Unter anderem habe er den «Blick» mit Informationen darüber gefüttert, dass die VBL wegen der Rückforderung von 16 Millionen Franken zu viel bezogener Subventionen ins Visier des BAV geraten seien. Über eine Indiskretion sei auch die Strafanzeige gegen die VBL an die Öffentlichkeit gelangt.
Der Anwalt führte als Beweis für «die umtriebigen Aktivitäten von Peter Füglistaler» an, dass dieser auf Linkedin ausserordentlich aktiv gewesen sei und die verschiedenen Subventionsaffären aus seiner Sicht kommentiert habe. Dies sei eines Spitzenbeamten des Bundes unwürdig. Er habe deshalb als Verteidiger von Schmassmann Füglistaler durch seine Chefin, Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga, abmahnen lassen. Danach sei vorübergehend Ruhe eingekehrt.
Beschwerde bei Simonetta Sommaruga
Norbert Schmassmann seinerseits schilderte in seinem Schlusswort eine Szene, die er als damaliger Präsident des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) erlebt hatte. An der VöV-Generalversammlung 2018 in Pontresina habe er in seiner Rede erklärt, dass alle Beteiligten, also auch das BAV, in der 2018 aufgeflogenen Postauto-Affäre Fehler gemacht hätten. Füglistaler habe ihn darauf beschuldigt, er wolle dem BAV die Verantwortung für die Affäre in die Schuhe schieben. Das sei wie ein Filmriss gewesen im Verhältnis zu Füglistaler, erklärte Schmassmann. Das Verhältnis zu Füglistaler habe sich zunehmend verschlechtert. «Der damalige BAV-Direktor hat nur auf eine Retourkutsche gewartet», so Schmassmann.
Füglistaler zeigt sich auf Anfrage der NZZ nicht überrascht, dass seine Person im Luzerner Prozess eine wichtige Rolle gespielt hat. «Die Verantwortlichen versuchen, aus der Angelegenheit einen politischen Prozess zu machen und damit ihre Verfehlungen zu kaschieren», sagt der frühere BAV-Direktor. Er bestätigt, dass es an der VöV-Generalversammlung 2018 zu einem Eklat mit Schmassmann kam, der zum persönlichen Bruch zwischen den beiden führte.
Den Vorwurf, vertrauliche Informationen an die Medien weitergegeben zu haben, weist Füglistaler in aller Form zurück. «Das stimmt nicht. Ich nehme die Vorwürfe zur Kenntnis, werde aber rechtlich nicht dagegen vorgehen, dass ich auf diese Weise verunglimpft werde.» Viele Personen hätten gewusst, dass das BAV gegen die VBL vorgehen wolle. «Es konnte von daher nicht wirklich überraschen, dass die Geschichte den Weg in die Öffentlichkeit fand.»
Mit seiner Pensionierung habe er mit der Angelegenheit abgeschlossen. «Ich hoffe, dass die beschuldigten VBL-Mitarbeiter schuldig gesprochen werden. Das wäre für mich eine Genugtuung», so Füglistaler. Das Urteil im Prozess wird in wenigen Wochen verkündet.