Ein spannendes Experiment: Eine Gruppe hat die gleichen acht Weine auf dem Jungfraujoch, auf der Kleinen Scheidegg und im Hotel Bergwelt in Grindelwald verkostet. Und es gab beträchtliche Unterschiede. Neutrale, feine Weine haben in der Höhe einen schwierigen Stand.
Die Rede ist diesmal von einer interessanten, ungewöhnlichen Degustation, der vom Hotel Bergwelt in Grindelwald organisierten «Vinum Vertikal». Eine Gruppe von Weinliebhabern und -liebhaberinnen degustiert die gleichen acht stilistisch unterschiedlichen Weine auf verschiedenen Höhenlagen: auf dem Jungfraujoch auf knapp 3500 Metern über Meer, auf der Kleinen Scheidegg (fast 2100 Meter) sowie im Hotel Bergwelt, das auf etwas über 1000 Metern liegt. Wie präsentieren sich die Gewächse? Welche vertragen die Höhenluft besser, welche nicht?
Neutrale Weine schneiden in der Höhe schlechter ab
Auf dem Jungfraujoch hatten die feinen, aromatisch dezenten Weine mit tendenziell weniger Säure Mühe, sich zu entfalten, etwa der Chasselas aus dem Waadtland und der Chardonnay aus dem Burgund. Auch der Champagner war verhalten. Der relativ niedrige Luftdruck führt dazu, dass Geruchsstoffe schlechter von den Schleimhäuten aufgenommen werden.
Am besten gefiel mir der deutsche Riesling Hermannsberg 2018 des Guts Hermannsberg – dank seiner Kraft, seiner Frucht und seiner Säure. Er hielt das hohe Niveau auf der Mittelstation und im Hotel. Allerdings wirkte der Weisswein in der Höhe reifer als im Hotel. Bei den Roten hatten die kraftvollen Weine aus dem spanischen Ribera del Duero und dem Bordelais ganz oben Vorteile gegenüber dem filigranen Pinot noir aus dem Kanton Zürich, der seine wahren Qualitäten erst auf 2000 und 1000 Metern ausspielen konnte. Und da war noch der Walliser Humagne Blanche, der ein Jahr im Eispalast auf dem Jungfraujoch reifte: Er machte überall eine gute Figur – die Höhenlagerung hat ihm offensichtlich gutgetan.
Diese acht Weine wurden je dreimal degustiert:
- Dézaley Chemin de Fer 2022, Domaine Massy, Waadt: Weisswein mit dezenter Aromatik, trocken, mineralisch, schlank, gute Länge, zeigte sich am besten in Grindelwald.
- Chardonnay 2022, David Moret, Burgund: Weisswein mit mittlerer Intensität, dezente Röstnoten, herrührend vom Barrique-Ausbau, trocken, mittelschwer, zeigt sich ebenfalls am besten im Hotel.
- Riesling Hermannsberg 2018, Gut Hermannsberg, Nahe: Gereifter, kraftvoller, geschmacksintensiver Wein mit viel Frucht und Mineralität, der beste auf dem Jungfraujoch.
- 3454 – Reine des Glaces 2022, Weingut Gregor Kuonen, Wallis: Ein Humagne Blanche, der während eines Jahres in der Eiswelt auf dem Jungfraujoch reifte, relativ aromatisch, intensiv, mittelschwer, mittlere Säure, zeigte überall seine Fähigkeiten.
- Champagne Blanc de Blancs Brut, Alexandre Bonnet les Riceys, Champagne: Trockener, eleganter Schaumwein, der in der Höhe schnell seine Perlage verlor, gute Performance in Grindelwald.
- Pinot noir Chlosterberg 2020, Weingut Besson-Strasser, Zürich: Finessenreicher Lagenwein mit dezentem Holzausbau, sehr fein und etwas zurückhaltend auf dem Jungfraujoch, gut auf der Kleinen Scheidegg, grandios in Grindelwald.
- Matallana 2019, Telmo Rodriguez, Ribera del Duero: Kraftvoller Rotwein aus dem Ribera del Duero, vorwiegend aus Tempranillo gekeltert, zugänglich und mehrheitsfähig auf allen Höhen.
- Cos d’Estournel 2018, Bordelais: Kräftiger, schon fast opulenter Wein, wegen des heissen Jahres fast an einen Kalifornier erinnernd, dank der Geschmacksintensität und den markanten Gerbstoffen am zugänglichsten auf dem Jungfraujoch.