Roche hatte 2021 ein grosses Aktienpaket von Novartis zurückgekauft. Damit stieg der Einfluss der Familienaktionäre. Aber der Wert ihrer Mehrheitsbeteiligung ist seither wegen Rückschlägen in der Forschung um rund ein Drittel eingebrochen.
Es gibt Transaktionen, bei denen sind Spesen von 50 000 Franken akzeptabel. Diesen Betrag mussten die Familienaktionäre von Roche im Jahr 2021 für eine 15-seitige Verfügung der Übernahmekommission bezahlen.
Die Feststellung wurde nötig, weil der Pharmakonzern von der Konkurrentin Novartis ein Roche-Aktienpaket zurückgekauft hatte. Durch die anschliessende Vernichtung dieser Papiere gab es insgesamt weniger Aktien, und der Stimmenanteil der Erben erhöhte sich mit einem Schlag von einer knappen Mehrheit auf eine gute Zweidrittelmehrheit.
Der Einfluss der Nachkommen des Firmengründers Fritz Hoffmann-La Roche erhöhte sich also rein aus arithmetischen Gründen – und ohne dass sie selber eine Aktie dazukaufen oder einen Franken ausgeben mussten.
Die Übernahmekommission hielt in ihrem Papier fest, dass die Familie trotz der Erhöhung ihres Anteils den übrigen Roche-Aktionären kein Kaufangebot machen müsse. Der Grund: Die Kontrollverhältnisse würden sich mit der Transaktion nicht wesentlich verändern, weil die Familie das Unternehmen schon bis anhin faktisch beherrsche.
Zwar entspricht der Aktienanteil der Familie nur gerade 13,18 Prozent des Kapitals von Roche. Weil Letzteres aber grösstenteils aus stimmrechtslosen Genussscheinen besteht, können die Erben mit ihrer Aktienmehrheit Entscheidungen fällen.
Zustimmung von 95 bis fast 100 Prozent
Tatsächlich konnte früher selbst Novartis mit ihrem Anteil von 33 Prozent an den Generalversammlungen nicht mehr als ihr Missfallen bei einem Traktandum kundtun – mit einem Nein oder Stimmenthaltung.
Seit zwei Jahren fällt selbst dieser potenzielle Störfaktor weg, so dass die Mehrheiten noch stabiler sind. Das zeigte sich am Dienstag einmal mehr, als die 635 Aktionäre im Kongresszentrum in Basel sämtliche Traktanden mit Zustimmungsquoten von 95,58 bis 99,86 Prozent durchgewinkt haben.
Auch personell geht die Familie auf Nummer sicher. Den von aussen geholten Verwaltungsratspräsidenten Christoph Franz hat sie vergangenes Jahr durch den Insider Severin Schwan ersetzt. Und so führte heuer erstmals der langjährige Konzernchef als neuer Präsident durch die Veranstaltung.
Flexibilität für Verkäufe
Der Vorteil für die Familie aus dem Paketrückkauf durch Roche zeigte sich konkret das erste Mal vor einem Jahr. Die neue Konstellation erlaubte es nämlich einem Mitglied des Pools der Familienaktionäre, Titel für einen Gegenwert von rund 800 Millionen Franken zu verkaufen.
Während dadurch früher der Anteil der Familie (Poolmitglieder und Maja Oeri) unter 50 Prozent gerutscht wäre, blieb es dank der Vernichtung der Aktien aus Novartis-Besitz bei einer komfortablen Mehrheit.
Und es bleibt sogar noch etwas Spielraum: Sollte ein Familienmitglied in finanzielle Nöte geraten oder sein Geld lieber woanders investieren wollen, wäre zumindest in der Theorie ein Teilverkauf rechnerisch machbar, ohne dass die Erben die Kontrolle über den Konzern abgeben müssten.
Novartis mit gutem Timing
Beim Zeitpunkt des Paketverkaufs hatte Novartis aus heutiger Sicht ein gutes Händchen. Anfang September 2021 war das Unternehmen an Roche gelangt und hatte mitgeteilt, es beabsichtige einen zeitnahen Verkauf der Beteiligung. Schliesslich einigte man sich auf einen Rückkaufspreis von 356.93 Franken pro Aktie oder total knapp 20 Milliarden Franken für das Paket.
Zwar verpasste die Konkurrentin den Höhepunkt der bisherigen Börsenbewertung, als die Roche-Titel ein paar Monate später kurz die 400-Franken-Marke überschritten. Doch viel wichtiger: Novartis blieb der Kurssturz nach Rückschlägen in der Forschung erspart, von dem sich die Papiere bis heute nicht erholt haben. Derzeit hätte Novartis wohl etwa 6 Milliarden Franken weniger für ihr Paket lösen können.
Ganz anders sieht es bei der Familie aus: Diese musste im gleichen Zeitraum mit ansehen, wie der Wert ihres Anteils um knapp einen Drittel geschrumpft ist. Das entspricht einem Buchverlust von etwa 9 Milliarden Franken für die Poolmitglieder (insgesamt 15 Nachkommen aus der vierten und fünften Generation sowie zwei juristische Personen) und Maja Oeri.
Zunächst ist von allen Roche-Aktionären und -Genussscheininhabern Geduld gefragt. «Natürlich sind wir mit der Kursentwicklung nicht zufrieden», rief der Präsident Schwan in den Saal. Die gescheiterten Medikamente haben in der Pipeline von Roche eine Lücke hinterlassen. Bis neue, gewichtige Hoffnungsträger aus den eigenen Labors auf den Markt kommen, dürfte es mehrere Jahre dauern.
Angesichts dieser Flaute bei den Produkten könnte man im Nachhinein einwenden, dass Roche die 20 Milliarden Franken statt für einen Aktienrückkauf besser für den Zukauf eines potenziellen Kassenschlagers einer anderen Firma ausgegeben hätte. Allerdings geht die Wette bei solchen Akquisitionen längst nicht immer auf, wie sich etwa beim milliardenschweren Kauf des Mittels Esbriet gegen Lungenfibrose gezeigt hat, das die erwarteten Umsätze nicht erzielte.
Doch ebenso kann gerade in einer Durststrecke, wie es sie bei Roche immer wieder gegeben hat, ein stabiles Aktionariat Vorteile haben – vorausgesetzt, dieses behält die Nerven. Weiss der Konzernchef die Mehrheitsaktionäre hinter der Strategie, dann verringert das die Gefahr von Kurzschlusshandlungen, die nur der Pflege des Aktienkurses dienen.
Als Banken und Direktoren die Mehrheit hatten
Angesichts der fast schon familiären Stimmung im Kongresszentrum ist schwer vorstellbar, dass es auch eine Zeit gab, in der bei Roche nicht die Nachkommen von Fritz Hoffmann das Sagen hatten. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Familie in einer Krise aus finanziellen Gründen gezwungen, die Aktienmehrheit an die Basler Handelsbank und ein Kollektiv aus Roche-Direktoren abzugeben.
Die Wende kam in der Generation der Grossmutter des heutigen Roche-Vizepräsidenten André Hoffmann, Maja Sacher. Unter ihrem zweiten Ehemann, dem Dirigenten Paul Sacher, holte sich die Familie die Mehrheit der stimmberechtigten Aktien wieder zurück.
Seither haben es weder der Financier Martin Ebner noch Novartis unter Daniel Vasella geschafft, dieses Bollwerk zu stürmen. Spätestens seit dem Rückkauf des Pakets dürften solche Versuche noch aussichtsloser sein, als sie es ohnehin schon waren.