In Paris dürfen männliche Synchronschwimmer erstmals an den Olympischen Spielen teilnehmen – doch gleichberechtigt sind sie in dieser Sportart noch lange nicht. Ein Besuch an den Schweizer Meisterschaften.
Francesco Cosentino bewegt sich in einer Welt voller Glitzer und Dramatik. Er ist der einzige männliche Synchronschwimmer der Schweiz, der erste im Nationalkader. Am Wochenende hat der 16-Jährige in Oberkirch als erster Mann an den Schweizer Meisterschaften im Synchronschwimmen teilgenommen.
Kurz vor dem Wettkampf steht Cosentino vor dem Schwimmbecken, er trägt eine rote Badehose mit goldenen Streifen, blickt auf seine Füsse. Links von ihm haben sich sechs Mädchen mit silberner Badekappe und dickem Lidstrich aufgereiht. Er schreitet mit stolzer Brust zum Beckenrand. Mit einem Kopfsprung gleitet er ins Wasser.
Das Lied «Show Me How You Burlesque» von Christina Aguilera erklingt. Cosentino, umgeben von jungen Frauen, dreht sich im Wasser im Kreis. Dann schnellen die Synchronschwimmer aus dem Wasser, tauchen wieder ab, jemand macht kopfüber den Spagat.
Im Wasser verschmilzt der zierliche Cosentino mit den Synchronschwimmerinnen, dass er ein Mann ist, wird zur Nebensache. Doch im Trockenen sticht er heraus: Die jungen Frauen tragen Gelatine auf ihre Haare auf, sie schminken sich, tragen Glitzer-Badekleider. Cosentino tut all das nicht. Er sitzt allein draussen in der Sonne. Als Mann ist er hier ein Exot, für ihn gelten andere Regeln.
Cosentino muss beim Synchronschwimmen jede Bewegung, jeden Atemzug kontrollieren.
Männer waren unerwünscht
Neben der rhythmischen Gymnastik war Synchronschwimmen die einzige olympische Sportart, bei der lange nur Frauen mitmachen durften. Synchronschwimmen vereint Ballett, Akrobatik und Schwimmen. Die Bewegungen erfordern Kraft und Ausdauer, gleichzeitig müssen sie grazil aussehen.
Die Punktrichter bewerten oft auch das Aussehen der Athletinnen. Das Schönheitsideal: lange Beine, schlanke Statur, starkes Make-up. Ein Ideal, das Frauen unter Druck setzt und ausgrenzt. Und Männern die Teilnahme verunmöglicht hat.
Der Sport öffnet sich nur zögerlich für männliche Synchronschwimmer. Immerhin dürfen Männer seit 2015 in der Kategorie Mixed-Duett an internationalen Wettkämpfen teilnehmen. In Paris werden an den Olympischen Spielen zum ersten Mal in der Geschichte Männer mitschwimmen.
So auch der Amerikaner Bill May – im Alter von 45 Jahren. Eigentlich wollte er schon 2004 in Athen an den Olympischen Spielen mitmachen. Doch die Zeit war damals noch nicht reif für einen Mann im Synchronschwimmen.
Eine Olympiateilnahme ist auch Cosentinos Ziel, dafür trainiert er hart. Für Paris ist es noch zu früh, doch eines Tages will er die Qualifikation schaffen. Er würde dann nicht für die Schweiz antreten, sondern für Italien – sein Heimatland. Er ist in Bologna aufgewachsen, lebt erst seit einem halben Jahr in Lausanne.
Dort besucht er eine Privatschule, trainiert abends nach der Schule täglich drei Stunden. Er wohnt bei Susanna De Angelis, die Italienerin ist Trainerin des Schwimmvereins Lausanne Aquatique. Ihretwegen ist Cosentino in die Schweiz gekommen.
Die Mitschüler mobbten sie
De Angelis war früher selbst Synchronschwimmerin, seit vierzig Jahren trainiert sie den Nachwuchs. Sie setzt sich dafür ein, dass Männer im Synchronschwimmen akzeptiert werden. In Cosentino sieht sie grosses Potenzial. Sie sagt, er sei den Frauen im Lausanner Team voraus.
De Angelis erhofft sich eine grössere Diversität im Synchronschwimmen, wenn mehr Männer antreten würden. Sie sagt: «Männer sind kräftiger. Es wären neue akrobatische Bewegungen möglich.» Sie könnten Frauen beispielsweise weiter aus dem Wasser heben. Das Mixed-Duett, bei dem eine Frau und ein Mann zusammen schwimmen, sei sehr beliebt beim Publikum.
Eines der grössten Talente, das De Angelis hervorgebracht hat, ist Giorgio Minisini – ihr eigener Sohn. Minisini ist einer der besten Synchronschwimmer der Welt. Der Weg an die Spitze sei für ihn ein Kampf gewesen, sagt De Angelis. Punktrichter hätten ihr gesagt, Giorgio sei fehl am Platz, Synchronschwimmen sei kein Sport für Männer. «Giorgio wurde immer strenger als die Mädchen bewertet.» Zu Unrecht, wie sie findet. Männer seien zwar kräftiger, aber unbeweglicher.
Während Gleichaltrige Fussball spielten, tanzte Minisini im Wasser. Viele bewunderten, manche verspotteten und schikanierten ihn. Als Teenager wurde er von seinen Mitschülern gemobbt, sie beschimpften ihn abwertend als Homosexuellen, zettelten Schlägereien an. Seine Mutter sagt: «Die Menschen fürchten sich vor dem Unbekannten.»
Francesco Cosentino erzählt ebenfalls von einer schwierigen Schulzeit in Italien, von Mitschülern, die ihn hänselten. Diese Zeit sei zum Glück vorbei, sagt er, seine Stimme stockt dabei. Er denke nicht gerne daran zurück.
Minisini hat die Männer im Synchronschwimmen sichtbar gemacht. Heute gibt es in Italien etwa ein Dutzend von ihnen. Er ist ein starkes Vorbild – auch für Cosentino. Wegen Minisini hat er mit dem Synchronschwimmen begonnen, trotz allen Hänseleien an seinem Traum festgehalten. In der Schweiz fehlen solche Vorbilder. Cosentino sagt, er müsse hier seinen Sport immer wieder erklären.
Cosentino trainiert täglich drei Stunden. Er sagt, das sei wenig im Synchronschwimmen.
Minisini überraschend ausgeschlossen
Die Olympischen Spiele haben das Potenzial, die Sportart bei Männern populärer zu machen, männliche Synchronschwimmer zu normalisieren. Auch in der Schweiz. Doch dafür müssen sich die Männer gegen die Synchronschwimmerinnen behaupten. Denn das Internationale Olympische Komitee hat darauf verzichtet, neue Kategorien für Männer einzuführen. Sie können nur in der Disziplin Team antreten, das Duett bleibt rein weiblich. Für einmal sind die Strukturen den Frauen angepasst.
Am Freitag hat der italienische Schwimmverband überraschend bekanntgegeben, dass Minisini nicht an den Olympischen Spielen von Paris teilnehmen darf. Die Begründung: Die Konkurrentinnen seien stärker. Seine Mutter De Angelis ist wütend. Sie verstehe das nicht, sagt sie. Und sie ist nicht die Einzige: Der Aufschrei in Italien ist gross. «Unglaublich, keine Olympischen Spiele für Giorgio Minisini» titelte zum Beispiel das Newsportal Eurosport.
Zurzeit sieht es also danach aus, dass der Amerikaner May der einzige männliche Synchronschwimmer an den Olympischen Spielen in Paris sein wird. Die Trainerin De Angelis sagt, die Männer müssten nun das machen, was Frauen schon immer täten: für ihre Rechte kämpfen.