Seit Anfang Jahr dürfen Schweizer nur noch für 150 statt 300 Franken zollfrei im Ausland shoppen. Eindrücke vom ersten Tag mit der umstrittenen neuen Regelung an der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz.
Eine Spannbetonbrücke über den Rhein markiert die Grenze zwischen dem deutschen Rheinfelden und dem Schweizer Rheinfelden im Kanton Aargau. Die Autos bremsen auf Schritttempo ab, wenn sie passieren. Der Zöllner Cornel Staub mustert jedes einzelne.
Die meisten werden durchgewinkt, doch manche müssen rechts raus für eine eingehendere Kontrolle. An diesem Tag ist ein Blick in den Kofferraum besonders aufschlussreich.
Während der 2. Januar in vielen Schweizer Kantonen noch arbeitsfrei ist, dürfen die Läden auf deutscher Seite schon wieder öffnen. Nach den Feiertagen überbieten sie sich mit Ausverkaufspreisen. Geübte Schweizer Einkaufstouristen wissen das. Am Berchtoldstag zieht es deshalb viele von ihnen über die Grenze zum Shoppen.
Doch etwas ist anders an diesem milden Januarmorgen. Seit dem Jahreswechsel gilt eine tiefere Wertfreigrenze: Wer im Ausland einkaufen geht, muss neu ab einem Warenwert von 150 Franken Schweizer Mehrwertsteuer zahlen. Das erhöht Kosten und Aufwand. Bisher lag der Freibetrag bei 300 Franken pro Person und Einkauf.
Es liegt an Cornel Staub und seinen Kollegen, die Einhaltung zu kontrollieren. Wird man beim Schmuggeln erwischt, kann es schnell teuer werden: Denn es wird nicht nur die Mehrwertsteuer fällig, sondern auch eine Busse, die abhängig ist vom Warenwert. Im Wiederholungsfall, oder bei Verdacht auf gewerbsmässigen Betrug, kann ein Auffliegen auch in einem Strafverfahren münden. «Es gibt so ein paar Standardtricks: das Verstecken von Ware im Ersatzreifen oder unter dem Kindersitz zum Beispiel», sagt Staub. Manchmal würden die Leute auch vor der Grenze aus dem Auto aussteigen, mit einem vollen Rollkoffer rüberlaufen, um sich dann wieder mit dem Fahrer zu treffen. «Aus diesem Grund kontrollieren wir nicht nur an der Grenze, sondern auch mit mobilen Teams im Zollgebiet dahinter.»
Schon kurz nachdem auf deutscher Seite die Läden aufgemacht haben, geben sich die ersten Autofahrer als Einkaufstouristen zu erkennen. Sie parkieren neben dem Grenzübergang und huschen mit langen Kassenzetteln zum Schalter des deutschen Zolls, welcher sich in Rheinfelden das Gebäude mit den Schweizer Berufskollegen teilt. Dort holen sie sich den Stempel ab, der sie dazu berechtigt, die deutsche Mehrwertsteuer zurückzufordern.
Bauern und Detailhändler gegen die Konsumenten
Genau das macht den Einkaufstourismus zum Reizthema. Die Rückerstattung der Mehrwertsteuer – immerhin 19 Prozent – sowie der notorisch schwache Euro sorgen für tiefe Preise. Schweizer Detailhändler und Bauernvertreter sehen darin einen Wettbewerbsnachteil. Geht es nach ihnen, müsste die Wertfreigrenze auf null gesenkt werden, um das Shoppen jenseits der Grenze so unattraktiv wie möglich zu machen.
Auf der anderen Seite stehen die Konsumenten, die in hiesigen Geschäften deutlich mehr für vergleichbare Produkte zahlen. Liest man sich durch die Kommentare der Onlinemedien, muss man zum Schluss kommen, dass viele Leute mittlerweile ein generelles Misstrauen gegenüber Schweizer Händlern hegen. Sie fühlen sich über den Tisch gezogen und sehen im Einkaufstourismus eine legitime Antwort darauf.
Kommt hinzu, dass man auf deutscher Seite den Schweizer Shoppern den roten Teppich ausrollt. Es entstehen immer neue Geschäfte mit langen Öffnungszeiten. Teilweise sind Zollstationen bis spätabends besetzt, um die Ausfuhrzettel abzustempeln. Es ist eine Form der Wirtschaftsförderung.
«Wir sind sehr nahe an den Konsumenten dran. Wir spüren sofort, wenn in Deutschland beispielsweise ein neuer Baumarkt aufgeht. Gleichzeitig merken wir auch, wenn Schweizer Arbeitnehmer Zahltag haben», sagt Cornel Staub, der vor elf Jahren bei der Schweizer Grenzwache angefangen hat. Jeweils am Samstagnachmittag nach dem 25. jeden Monats würden die Grosseinkäufe erledigt. Dann bilden sich vor dem Zollhäuschen lange Schlangen.
Aber wird die Senkung der Wertfreigrenze die gewünschte Wirkung erzielen und das Shoppen in Deutschland eindämmen? «Der Einkaufstourismus lässt sich schwer messen. Deshalb ist es auch schwierig zu sagen, wie sich die Senkung der Wertfreigrenze auf das Einkaufsverhalten auswirken wird», sagt der erfahrene Zöllner.
Nur wenige Fahrminuten vom Grenzübergang Rheinfelden entfernt herrscht ein ziemliches Gedränge. Es ist Mittagszeit im Rhein-Center im deutschen Städtchen Weil am Rhein. Menschen mit vollen Einkaufswagen gönnen sich nach dem Wocheneinkauf einen Döner-Teller. Der Shopping-Tempel, ein schmuckloser Zweckbau nur wenige Meter hinter der Schweizer Grenze, ist voll auf Einkaufstouristen ausgerichtet.
Er beheimatet eine Filiale der Drogeriekette DM, Modegeschäfte, Kinos und einen riesigen Supermarkt. In der Bäckerei gibt es «Schweizer Butterzopf» zu kaufen. Seit ein paar Jahren fahren Trams der Basler Verkehrsbetriebe an den Bahnhof Basel SBB. Direkt an der Tramstation stempelt der deutsche Zoll die Ausfuhrzettel ab.
«Darunter leiden wird die Umwelt»
Im – kostenlosen – Parkhaus stehen Autos mit Solothurner, Berner und Luzerner Nummernschildern. Im Inneren prägen Tragtaschen von Migros, Coop und Denner das Bild. Mit den zahlreich angereisten Schweizerinnen und Schweizern kommt man leicht ins Gespräch, denn eine Meinung zur Wertfreigrenze haben alle.
«Ich werde wegen der tieferen Wertfreigrenze keinen Franken zusätzlich in der Schweiz ausgeben. Dafür ist es bei uns einfach zu teuer», sagt ein Solothurner in den Fünfzigern, der sich gerade seinen Zollfrei-Stempel abgeholt hat. Er fahre etwa einmal im Monat nach Deutschland zum Einkaufen. Um unter 150 Franken zu bleiben, werde es künftig vielleicht zweimal sein. «Darunter leiden wird dann halt die Umwelt.»
Aber lohnt sich das für ihn finanziell überhaupt? «So rechne ich nicht. Ich gehe dann immer noch essen oder ins Kino. Es ist ein schöner Ausflug.»
Eine Mutter aus Olten steht mit ihren zwei Kindern an der Tramhaltestelle. Auch sie lässt der neue Richtwert von 150 Franken unbeeindruckt. Sie seien ja zu dritt und könnten deshalb für bis zu 450 Franken einkaufen. Die Frau kramt ihren Kassenzettel hervor. Es stehen 131 Euro drauf – umgerechnet rund 123 Schweizerfranken.
Auf die Rückerstattung der Mehrwertsteuer verzichtet sie. «Ich komme nicht deswegen hierher. Ich bin einfach gern mit den Kindern unterwegs. Ausserdem ist hier die Auswahl an Halal-Fleisch grösser.»
Schnell wird klar: Kein Schweizer im Einkaufscenter ist gewillt, zusätzliche Abgaben zu zahlen oder seltener ins Deutsche zu fahren. Wer näher an Deutschland wohnt, will künftig öfter kommen. Wer einen weiteren Weg hat, kommt in der Gruppe, um zusammen mehr einkaufen zu können. Und manch einer wird künftig die teure Hautcrème am Zoll einfach unterschlagen.
Den absehbaren Mehraufwand müssen die Zöllner mit dem gleichen Personalbestand bewältigen wie bisher. Die Politik hat zwar die Regeln verschärft, nicht aber mehr Mittel zur Durchsetzung gesprochen. Cornel Staub lässt sich nichts anmerken. Man werde wie bis anhin «risikobasiert» kontrollieren. «Es ist keine Intensivierung der Kontrollen geplant.»
Die Antwort auf die neue, verschärfte Wertfreigrenze scheint typisch schweizerisch: ein trotziger Pragmatismus.
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