Drohungen, Boykotte und antiisraelische Proteste: Was sich zurzeit in Malmö abspielt, ist traurig. Und in dieser Form beispiellos. Nur, unpolitisch war der Song Contest nie.
Eden Golan hat es geschafft. Mit dem Song «Hurricane» tritt die israelische Sängerin am Samstag im Final des Eurovision Song Contest in Malmö auf. Wie sie abschneiden wird, ist offen. Aber im Grunde ist es zweitrangig. Denn nur schon, dass sie singen darf, ist alles andere als selbstverständlich. Seit Wochen hagelt es Kritik. In den sozialen Netzwerken wird gegen Golan Stimmung gemacht.
Und gegen Israel. Skandinavische Künstler lancierten eine Petition. Golan musste den Text des Liedes abändern. Island, Norwegen und Finnland drohten, den ESC zu boykottieren, falls Israel teilnehme. In Malmö kam es zu Demonstrationen. Aktivisten verlangten, dass die israelische Delegation vom Wettbewerb ausgeschlossen wird.
Allen voran die dauerempörte Klimaaktivistin Greta Thunberg. Für einmal freute sie sich: Es sei schön, dass sich so viele junge Menschen mit Palästina solidarisierten, gab sie zu Protokoll. Und schien sich nicht daran zu stören, dass es bei den von Gewalttätigkeiten begleiteten Protesten weniger um Solidarität mit Palästina ging, sondern darum, dem Hass auf Israel Ausdruck zu verleihen. Israelfeindliche Parolen wurden skandiert, es wurden israelische Fahnen am Boden zertrampelt und verbrannt.
Kugelsichere Weste
Malmö und Israel: Das ist eine explosive Paarung. Die drittgrösste Stadt Schwedens gehört zu den Städten mit dem höchsten Anteil an muslimischer Bevölkerung in Europa. Seit dem 7. Oktober sind antiisraelische Kundgebungen dort an der Tagesordnung. Die Lage ist angespannt. Eden Golan erhielt Todesdrohungen, lange bevor sie nach Schweden reiste. Auf Anraten des israelischen Geheimdienstes verlassen sie und ihre Crew das Hotelzimmer nur für die Auftritte. Begleitet von Personenschützern und einem Helikopter, der über ihnen kreist.
Seit Anfang Woche gleicht Malmö einer belagerten Stadt. Hunderte von Polizisten sind unterwegs, in den Strassen patrouillieren gepanzerte Polizeifahrzeuge. Israel hat seinen Staatsbürgern davon abgeraten, nach Malmö zu reisen. Als Eden Golan am Donnerstag im Halbfinal sang, ertönten Buhrufe, und wenn sie am Samstag auftritt, steht sie unter scharfer Bewachung.
So wie Ilanit, die am ESC 1973 als erste Künstlerin für Israel antrat. Ein paar Monate vorher hatte ein palästinensisches Terrorkommando an den Olympischen Spielen in München elf israelische Athleten getötet. Beim Auftritt soll Ilanit eine kugelsichere Weste getragen haben. Das Publikum durfte während des Songs nicht aufstehen, die Fotografen mussten den Sicherheitskräften beweisen, dass die Kameras wirklich Kameras waren und keine getarnten Schusswaffen.
Dürftige Lebenslüge
Was sich zurzeit in Malmö abspielt, ist traurig. Und in dieser Form beispiellos. Nur, politische Nebentöne gehören zum ESC, seit es ihn gibt. 1956 war er von den europäischen Rundfunkanstalten geschaffen worden. Zwölf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg lautete das Ziel: Völkerverständigung. Länder, die gegeneinander gekämpft hatten, sollten sich im musikalischen Wettstreit messen.
«Der ESC ist eine unpolitische Veranstaltung», heisst es in den Regeln, die der Contest sich selbst gab. Alle Rundfunkanstalten seien verpflichtet, dafür zu sorgen, «dass der ESC in keinem Fall politisiert und/oder instrumentalisiert wird». Die Verantwortlichen des Contest haben alles getan, um diese Regel schon sehr bald als das zu entlarven, was sie ist: eine dürftige Lebenslüge.
Seit den 1970er Jahren ist der Wettbewerb begleitet von Boykotten, Boykottdrohungen und einem elenden Geschacher darum, wer teilnehmen darf und wer ausgeschlossen werden soll. Ganz zu schweigen davon, dass die Vergabe der Punkte durch die Jury offensichtlich immer wieder politischen Kriterien folgte. Etwa als die Jury Russlands 2014 der Drag Queen Conchita Wurst null Punkte gab. Oder als Grossbritannien 2021 weder von den Fachjurys noch von den Zuschauern einen Punkt erhielt – als «Quittung» für den Brexit. Unpolitisch war der Eurovision Song Contest nie. Aber jetzt ist er zur antiisraelischen Kundgebung geworden.