Der Bund will bei den Hochschulen Millionen sparen und verweist auf deren stattliche Rücklagen. Michael Hengartner vom ETH-Rat und Michael Schaepman, der Rektor der Universität Zürich, widersprechen – und stellen die Rechnung des Bundesrats infrage.
Im Januar gab der Bundesrat bekannt, dass der ETH-Bereich 100 Millionen Franken einsparen müsse. Aufgrund der zusätzlichen Beschlüsse von vergangener Woche sollen es 2025 sogar 200 Millionen Franken sein. Herr Hengartner, Sie sind der oberste Kassenwart der beiden ETH. Haben Sie sich in Bern schon gegen die Kürzungen gewehrt?
Michael Hengartner: Zuerst: Ich habe Verständnis für die schwierige Lage des Bundesrates. Die Bundesausgaben übertreffen die Einnahmen signifikant. Ich bedaure aber, dass die grosse Mehrheit der Ausgaben nicht angetastet wird, weil sie sogenannt «gebunden» sind. So müssen Bereiche wie die Hochschulen überproportional zum Sparziel beitragen. Ich erwarte, dass die Politik über die Bücher geht und dort spart, wo es sinnvoll ist.
Sie meinen: nicht bei Ihnen.
Hengartner: Ich bin überzeugt, dass mehrmalige, überproportionale Kürzungen bei Bildung und Forschung der Schweiz schaden. Wir haben viele grosse Herausforderungen: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Energiewende, KI-Revolution. Ich kann doch nicht sagen: «Wir investieren dann in fünf Jahren in eine KI-Initiative. Aber jetzt müssen wir gerade sparen.» In fünf Jahren ist der Zug abgefahren.
Sie sind viel in Bern unterwegs. Finden Sie Gehör bei den Politikerinnen und Politikern?
Hengartner: Das werden wir im Herbst sehen, wenn das Budget verhandelt wird. Aber die Politik muss wissen, was die Konsequenzen dieser Kürzungen wären. Wir schneiden nicht mehr ins Fett, sondern ins Fleisch und in den Knochen. 100 Millionen Franken sind etwa der Preis des Supercomputers in Lugano, auf dem unsere KI-Anwendungen laufen.
Der Bundesrat argumentiert, der ETH-Bereich habe 1,4 Milliarden Franken Reserven . . .
Hengartner: Ende 2019 hatte der ETH-Bereich in der Tat über 1,4 Milliarden Franken Reserven. Seitdem hat die ETH Zürich ihre Reserven um die Hälfte reduziert. Allein im vergangenen Jahr hat der Bereich über 180 Millionen abgebaut, wie es der Bundesrat von uns verlangt hatte.
Sie gehen also von ganz anderen Zahlen aus. Wie kann es sein, dass Bundesrat und Hochschulen derart aneinander vorbeireden?
Hengartner: (Überlegt lange.) Möglicherweise liegt es daran, dass wir unter «Reserven» nicht das Gleiche verstehen.
Michael Schaepman: Vielleicht muss man kurz erklären, was in der Rechnungslegung des ETH-Bereichs und der Universität Zürich mit «freien Reserven» gemeint ist. Viele denken, das sei frei verfügbares Geld. Dem ist aber nicht so. Wir müssen für gewisse Fälle Reserven bilden, weil wir Dinge nicht anders finanziert bekommen. Aus unserer Sicht ist dieses Geld nicht frei. In der Bilanz steht aber «freie Reserven». Die Universität Zürich hat heute de facto null Franken freie Reserven. Wir haben zweckgebundene Reserven, etwa, um Nachfrageschwankungen bei Weiterbildungsstudiengängen aufzufangen.
Und die beiden ETH?
Hengartner: Wir haben längst keine Milliarde mehr, die «frei» ist. Wir haben Verpflichtungen, die wir einhalten müssen. Die ETH Lausanne (EPFL) platzt aus allen Nähten. Dank einem Neubau kann sie nun Hörsäle mit 1500 Sitzplätzen und 800 zusätzlichen Studienplätzen erstellen. Die 80 Millionen dafür stammen aus der Reserve. Die EPFL muss dringend auch ihr Kühlsystem ersetzen, weil die Leitungen von Quagga-Muscheln befallen sind. Das kostet 60 Millionen Franken. Auch für so etwas brauchen wir Reserven – oder für die stark gestiegenen Strompreise.
Vorgänger und Nachfolger an der Universität Zürich
R. Sc. · Michael Hengartner ist seit 2020 Präsident des ETH-Rats, des strategischen Führungsorgans des ETH-Bereichs. Dazu gehören die ETH Zürich, die ETH Lausanne, das Paul-Scherrer-Institut, die Eidgenössischen Forschungsanstalten für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) sowie die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Vor seiner jetzigen Funktion war Hengartner Rektor der Universität Zürich und Präsident der Hochschulvereinigung Swissuniversities. Der 57-jährige Molekularbiologe ist kanadisch-schweizerischer Doppelbürger. Er promovierte am MIT in den USA.
Michael Schaepman, Hengartners Nachfolger an der Universität Zürich, hat am dortigen Geographischen Institut promoviert. Es folgten ein Abstecher nach Arizona und eine Berufung nach Wageningen in den Niederlanden. 2009 wurde Schaepman an der Universität Zürich zum Professor für Fernerkundung, 2016 zum Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät ernannt. Der 57-Jährige besitzt neben der Schweizer auch die niederländische Staatsbürgerschaft.
Herr Schaepman, trifft Sie das Sparprogramm auch derart hart? Die Universität Zürich wird ja nur zu einem Teil vom Bund finanziert.
Schaepman: Unsere wichtigste Einnahmequelle ist der Kanton Zürich. 43 Prozent unseres Budgets stammen aus kantonalen Mitteln. Der Kanton spart eher über versteckte Kürzungen. Zum Beispiel gibt er uns vor, wie hoch der Teuerungsausgleich auf den Löhnen sein muss, nämlich 3,5 Prozent per 2023. Finanziert wurden jedoch nur 2,9 Prozent. Die Lücke müssen wir selber füllen. Ähnlich ist es bei den Bundesmitteln, etwa bei Drittmitteln des Nationalfonds (SNF). Auch dort gibt es eine Lücke, da der SNF weniger Gemeinkosten zahlt als die EU damals, als wir beim Forschungsprogramm Horizon 2020 noch voll assoziiert waren. Unterm Strich fehlt uns ein hoher zweistelliger Millionenbetrag.
Herr Hengartner ist der Chef-Lobbyist des ETH-Bereichs in Bern. Und die kantonalen Universitäten? Sind sie genug präsent in der nationalen Politik?
Hengartner: Ich bin kein Lobbyist. Ich bin ein Angestellter des Bundesrats. Ein offener Austausch mit dem Nationalrat und dem Ständerat hingegen ist wichtig – schliesslich entscheidet das Parlament über Gesetze und Budget. Aber man kann sich schon fragen, ob die kantonalen Universitäten genug sichtbar sind auf dem nationalen Parkett.
Schaepman: Kürzlich war die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur bei uns zu Besuch. Ich hatte einen Gast dabei: Joël Mesot, den Präsidenten der ETH Zürich. Den Parlamentariern war zum Teil überhaupt nicht klar, wie eng unsere beiden Hochschulen zusammenarbeiten. Wir haben 450 Verträge miteinander abgeschlossen. In gewissen Vorlesungen merkt man gar nicht, ob sie an der ETH stattfinden oder an der Uni. Wir müssen in Bern genauso viel Überzeugungsarbeit leisten wie im Kanton Zürich. Der beste Promoter unserer Anliegen ist Michael Hengartner, weil er als früherer Präsident des Dachverbands Swissuniversities genau weiss, wie wir funktionieren.
Der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Bildung ist seit der Jahrtausendwende kontinuierlich gestiegen. 2021 lag dieser bei 17,7 Prozent der gesamten öffentlichen Aufwendungen. Jetzt wachsen die Ausgaben womöglich etwas langsamer. Ist das wirklich so schlimm?
Hengartner: Die Kosten pro Student und Studentin sind bei uns gesunken. Hingegen sind die Studierendenzahlen sehr stark gewachsen in den vergangenen Jahrzehnten. Wir sind also effizienter geworden.
Schaepman: Bei diesen Vergleichen geht vergessen, dass wir eine ziemlich fixe Maturitätsquote haben von etwa 20 Prozent. Wächst die Bevölkerung, haben wir auch mehr Studierende. Deswegen denken wir in einem Szenario von 2 Prozent Wachstum – pro Jahr. So gesehen sind die Kosten gar nicht so stark gestiegen. Die Betreuungskosten pro Studierenden sind an der Universität Zürich auf einem absoluten Minimum angelangt. Senken wir sie noch weiter, sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig.
Ist eine gute Betreuung einzig eine Frage der Quantität?
Schaepman: Nein, natürlich nicht. Aber wir können die Qualität nicht aufrechterhalten, wenn wir noch günstiger werden müssen.
Das Wachstum der Studierendenzahlen ist nicht gottgegeben. Es gibt alternative Bildungswege – auch für Maturanden. Wäre es nicht sinnvoll, Ideen zu entwickeln, damit jene kommen, die am besten an eine universitäre Hochschule passen?
Schaepman: Die Realität ist eine andere: Schweizer Hochschulen sind verpflichtet, jeden zu nehmen, der eine Matura hat.
Sie könnten Vorschläge machen, wie man das anders machen könnte.
Hengartner: Der allgemeine Hochschulzugang für alle mit einer Schweizer Matura ist einer der Erfolgsfaktoren der Schweiz. Das ist ein Vertrauensbonus, den wir der studierenden Person geben. Die Mehrheit der Studierenden ist dann auch erfolgreich und zufrieden mit dem Studium, das sie gewählt haben. Ich finde das sehr wertvoll. Das ist aber letztlich eine gesellschaftliche Entscheidung.
Was halten Sie von der Idee, höhere Studiengebühren zu erheben und dafür Kredite zu gewähren, die später, wenn man berufstätig ist, zurückbezahlt werden? Befürworter sagen, das würde dazu beitragen, dass vermehrt Fächer gewählt würden, die ein gutes Einkommen versprächen und deren Absolventen von der Wirtschaft gebraucht würden.
Hengartner: Es spricht nichts dagegen, solche bildungspolitischen Diskussionen über die Finanzierung der Hochschulen zu führen. Das ist aber keine kurzfristige Lösung für unser Finanzierungsproblem.
Schaepman: Die Studiengebühren machen 1 Prozent des Umsatzes der Universität Zürich aus. Wenn man sie so anheben will, dass es eine signifikante Wirkung hat, reden wir von Preisgrössen, wie sie in den USA üblich sind. Ich frage mich, ob es sinnvoll ist, die Studierenden über die Finanzen zu filtern statt über ihre Kompetenzen. Die Schweiz hat einen Riesenvorteil, weil man hier für vernünftige Studiengebühren eine sehr gute Ausbildung erhält. Zudem haben wir Fachkräftemangel, und unsere Studierenden sind auf dem Markt gefragt.
Stichwort Fachkräftemangel: Es gibt heute in der Schweiz viele Studierende aus Drittstaaten ausserhalb der EU. An der ETH Zürich sind es 16 Prozent. Die Bemühungen, diese Absolventen unkompliziert zum Schweizer Arbeitsmarkt zuzulassen, sind auf politischer Ebene vorläufig gescheitert. Die Schweiz finanziert ihre Ausbildung und schickt dann viele wieder weg. Wären nicht wenigstens in solchen Fällen kostendeckende Studiengebühren gerechtfertigt?
Hengartner: Absolventen aus Drittstaaten müssen heute ins Kontingentsystem reinkommen. Damit ist ein hoher administrativer Aufwand verbunden. Viele bleiben trotzdem, manche gründen ein Startup. Natürlich wäre es besser, wenn sie unkompliziert hier bleiben könnten, falls sie ein Jobangebot haben. Sie sind ja schon halb integriert, gut ausgebildet und sehr gefragt. Ich bin durchaus damit einverstanden, über erhöhte Studiengebühren für Ausländer zu diskutieren. Viele Hochschulen haben das, beispielsweise die Universität Zürich.
Schaepman: Man kann es auch umgekehrt sehen. Im Moment feiern wir Thomas Zurbuchen, den früheren Forschungsdirektor der Nasa und heutigen Leiter des Space Center der ETH, als jemanden, der zurück in die Schweiz gekommen ist. Man muss sich bewusst sein, dass wir diese Art von Karriere verhindern würden, wenn wir Ausländer sehr stark ausgrenzen würden. Der Schweizer Hochschulstandort profitiert sehr vom internationalen Austausch. Das ist wichtig, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können.
In Heilbronn wird die ETH Zürich dank einer privaten Spende des Lidl-Gründers Dieter Schwarz einen Bildungscampus für künstliche Intelligenz aufbauen. Kann man die staatlichen Gelder noch stärker durch private Mittel ersetzen und so die finanziellen Probleme mildern?
Hengartner: Dieter Schwarz hätte das Geld irgendeiner Universität auf der ganzen Welt geben können. Eine solche Schenkung konnten wir nur an Land ziehen, weil die ETH so stark ist. Und diese Qualität hat damit zu tun, dass wir gut finanziert sind. Fällt das weg, werden wir auch keine Schenkungen mehr erhalten.
Angesichts der wachsenden Konkurrenz aus Asien wird es schwieriger, überall an der Spitze dabei zu sein. Sollten Sie künftig nicht in ausgewählte Bereiche investieren, statt in die Breite zu wachsen? Braucht die ETH wirklich ein Departement für Geisteswissenschaften?
Hengartner: Das geht auf die Gründung der ETH zurück. Man wollte Ingenieure, die ein Verständnis haben für gesellschaftspolitische Fragestellungen. Technische Lösungen bringen nichts, wenn sie gesellschaftlich nicht akzeptiert werden. Aber Sie haben recht, die Konkurrenz ist global. Das Budget der Tsinghua-Universität in China ist ungefähr doppelt so gross wie das der ETH. Ich fühle mich wie die Schweiz an Olympischen Spielen. Wir müssen uns überlegen, in welchen Sportarten wir Medaillen holen wollen und wo wir einfach mitmachen – im Wissen, dass wir wahrscheinlich nicht auf dem Podest landen.
Wo wollen Sie aufs Podest?
Hengartner: Bei Themen, die für den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz wichtig sind. Also bei Schlüsseltechnologien wie Cybersicherheit oder KI. Und in Gesundheit, Umwelt, Energie und Klima.
Herr Schaepman, was sagen Sie einem Maturanden, der Geschichte und Germanistik studieren will? Sollte er nicht an der ETH etwas Zukunftsgerichtetes lernen?
Schaepman: Ich würde ihm gratulieren zu dieser super Wahl, denn die Jobaussichten sind gut. Geisteswissenschafterinnen und Geisteswissenschafter sind sehr gefragt auf dem Arbeitsmarkt. Das Bild, dass dies «brotlose» Studiengänge seien, ist nicht zutreffend.
Nach dem Terrorangriff der Hamas gaben an den Universitäten Bern und Basel zwei Fälle zu reden, die an der Geisteshaltung der involvierten Institute zweifeln liessen: Israel wurde zum rassistischen Täter, die Mörder und Vergewaltiger der Hamas wurden zu unterdrückten Opfern des Westens stilisiert. Gibt es solche Tendenzen auch in Zürich?
Schaepman: Mir ist kein Institut bekannt, an dem ich disziplinarische Massnahmen ergreifen müsste. Aber auch an der Universität Zürich gibt es Menschen, die nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch und gesellschaftlich engagiert sind. Ich finde das völlig normal. Universitäten sollen aufrütteln, zumindest ein bisschen. Man muss es aushalten, dass manche Statements der Woke-Bewegung von der Gegenseite aufgegriffen und skandalisiert werden. Unsere Rolle als Universität besteht darin, eine Plattform für unterschiedliche Meinungen und Debatten zu bieten.
Aber Wissenschafter können doch nicht Aktivisten einer bestimmten Sache sein. Sie wären nicht mehr unabhängig.
Schaepman: Wir haben tolerante Vorgaben, was die Freiheit der Wissenschaft angeht. Das betrifft auch die vieldiskutierte gendergerechte Sprache. Wir haben dazu einen Leitfaden mit Empfehlungen erstellt. Einen Zwang zum Gendern hingegen gibt es nicht.
Es gibt aber Institute, die ihre Studenten verpflichten, zu gendern. Sonst droht ein Abzug in der Note.
Schaepman: Die Haltung der Universitätsleitung ist klar: Wir machen hier keine Vorgaben. Sprache entwickelt sich. Aber es ist interessant, dass Gender-Schreibweisen immer noch so stark thematisiert werden, trotz der offenen Haltung der Universität.
An der Universität gibt es einen Verein, der sich «Marxistische Studierende Zürich» nennt. Was waren die Konsequenzen, nachdem diese Gruppe im Oktober mit martialischen antiisraelischen Plakaten an der Uni für Empörung gesorgt hatte («Intifada bis zum Sieg»)?
Schaepman: Wir haben die Veranstaltung verboten. Der Verein wurde verwarnt. Allerdings hatten die «Marxistischen Studierenden Zürich» selber nicht zu Gewalt aufgerufen. Hätten sie das gemacht, dann hätten wir eine ganz andere Diskussion geführt mit ihnen. Die Gruppierung hatte einer anderen Organisation den Raum an der Universität überlassen, den sie – für einen anderen Zweck – von uns bereits zur Verfügung gestellt bekommen hatte.
Hand bieten zu Gewaltaufrufen von anderen ist also nicht so schlimm. Gehört das auch zur toleranten Haltung der Universität Zürich?
Schaepman: Nein, deshalb haben wir die Veranstaltung verboten. Die «Marxistischen Studierenden Zürich» haben Einsicht gezeigt. Studierende sollen Universitäten herausfordern. Als ich als Student im Fachverein Geographie dabei war, haben wir gefordert, dass Professorinnen und Professoren nur über Länder dozieren sollen, die sie selber gesehen haben. Auch damals gab es Spannungen.
Heute würden Studenten das kaum mehr fordern. Flugreisen sind schlecht für den ökologischen Fussabdruck.
Schaepman: Die Universität Zürich will bis 2030 klimaneutral sein. Länderkenntnisse sind trotzdem wichtig. Ich war sehr lange in China und in Iran. Internationaler Kontext hat viel mit kulturellem Verständnis und Zusammenarbeit zu tun. Das ist unabdingbar in einer globalen Forschungswelt.
Ende Januar hatte der chinesische Botschafter einen Auftritt an der Universität. Erlaubt waren nur Fragen zum angekündigten Thema seines Vortrags. Sind solche Massnahmen auch als kulturelle Zusammenarbeit zu verstehen?
Schaepman: Was wäre die Alternative? Studierende und Mitarbeitende der Universität können sehr genau einschätzen, was es bedeutet, wenn man ihnen an einer solchen Veranstaltung eine Sprachregelung auferlegt. Sie hören sich das an und machen sich selbst ein Bild über Richtlinien in anderen Ländern. Mit solchen Unterschieden müssen wir uns auseinandersetzen.
Das chinesische Regime darf seine Richtlinien unhinterfragt propagieren – in der Aula der Universität Zürich?
Schaepman: Nein. Die Universität hat keine Fragen verboten. Wir haben lediglich zur Kenntnis genommen, dass nach diesem Vortrag keine weitergehenden Fragen gestellt werden sollen. Es wäre aber nicht verboten gewesen, dies trotzdem zu tun.
Herr Hengartner, Sie sind der Vorgänger von Herrn Schaepman. Für Sie ist Rektor der Universität Zürich «the best job in town», wie Sie selber einmal sagten. Als Präsident des ETH-Rats sind Sie nun weniger nah dran am Alltag der Forscher und Studierenden. Bereuen Sie Ihren Wechsel?
Hengartner: Es war ein sehr spannender Job, aber auch sehr intensiv und kräftezehrend. Es war klar, dass ich nicht bis zur Pensionierung Rektor bleiben würde. Irgendwann verwaltet man nur noch. Wenn man zu früh geht, finden alle: «Schade!» Geht man zu spät, sagen sie: «Endlich!» Ich bin zu früh gegangen, das sage ich offen. Der Markt für Alt-Rektoren ist relativ klein. Mein jetziger Job passt da sehr gut: Ich kann meine Erfahrung als Wissenschafter und meine Manager-Fähigkeiten einbringen. Und ich lerne Neues und wachse daran. Best job in Bern!
Zurück zu den geplanten Kürzungen. Wie werden sich die fehlenden Millionen im Studien- und Forschungsbetrieb bemerkbar machen?
Hengartner: Wir sind schon jetzt im Schmerzbereich. Ein Beispiel: Das Departement Mathematik der ETH Zürich erwägt, die Bachelorarbeiten abzuschaffen, weil die Dozentinnen und Dozenten mit Korrigieren nicht nachkommen.
Könnte das nicht eine KI übernehmen?
Hengartner: Wir sind da dran. Künstliche Intelligenz könnte hier tatsächlich helfen. Aber zurzeit werden Bachelorarbeiten noch von Hand korrigiert.
Das wäre doch ein Zukunftsthema: Eine KI entwickeln, die alle Bachelorarbeiten an der Universität und der ETH Zürich automatisch bewertet.
Hengartner: Das wäre was! Im Ernst: Wir haben Projekte in der Pipeline, die durch die Kürzungen ernsthaft gefährdet sind. Zum Beispiel eine nationale Initiative mit anderen Hochschulen im Bereich Elektronen-Mikroskopie. Oder eine neue Forschungsinfrastruktur für eine nachhaltigere Landwirtschaft.
Schaepman: Der Druck, effizienter zu werden, wird zunehmen. Dozierende der Philosophischen Fakultät müssen gewisse Vorlesungen mittlerweile auch in anderen Fachbereichen als dem eigenen halten. Und wir sind dabei, zu prüfen, ob künstliche Intelligenz unsere Mitarbeitenden der psychologischen Beratungsstelle bei den Einstiegsfragen unterstützen kann. Wir können das Personal nicht mehr beliebig aufstocken.
Studenten und Mitarbeiter der Universität können sich jeden Monat mit Ihnen zum Frühstück treffen. Was hören Sie in diesen Begegnungen? Wo drückt der Schuh am meisten?
Schaepman: Viele machen sich Sorgen, dass sie für sie relevante Informationen nicht bekommen. Probleme werden offen angesprochen. Und dann kümmere ich mich darum.
Sie können sich um Probleme gewöhnlicher Studenten und Mitarbeiterinnen kümmern, als Rektor der Universität Zürich?
Schaepman: Es geht darum, Muster zu erkennen. Wenn Uni-Angehörige schlecht informiert sind, frage ich nach bei den Dekanaten und den zentralen Diensten. Wenn wichtige Informationen die Mitarbeitenden nicht erreichen, organisieren wir eine Kampagne. Bei «Breakfast with Michael» geht es aber auch darum, die Universität von einer ganz anderen Seite kennenzulernen. Letzthin war der Leiter der Glasbläserei dabei. Wer weiss schon, dass die Uni eine Glasbläserei hat?
Werden dort auch Reagenzgläser für die ETH hergestellt?
Hengartner: Keine gewöhnlichen Reagenzgläser. Es handelt sich um komplexe Gefässe, zum Beispiel für Chemielabore. Die müssen handgefertigt werden. Und ja: ETH-Mitarbeiter können ihre Apparaturen in der Glasbläserei der Universität in Auftrag geben. Sie sehen: Wir arbeiten auch da effizient zusammen.