Am Freitag startet die Bundesliga in die Rückrunde. Der Titelverteidiger Bayer 04 ist zurück im Flow – weil Granit Xhaka seine Rolle aus der Vorsaison wiedergefunden hat.
Über die genaue Wirkung der etwas vorlauten Worte, die Uli Hoeness im November formulierte, lässt sich gewiss streiten. Aber die Entwicklungen, die folgten, sind auf jeden Fall erstaunlich.
Damals hatte der Patron des FC Bayern auf einer Veranstaltung in Rüschlikon erklärt: «Was ich zusagen kann, ist die deutsche Meisterschaft», der Rückstand der «einzigen richtigen Konkurrenten Bayer Leverkusen und RB Leipzig» sei so gross, dass der Titel so gut wie sicher sei. Den alten Rivalen Borussia Dortmund, der am Freitagabend zum Start in die Bundesliga-Rückrunde auf Leverkusen trifft, erwähnte Hoeness nicht einmal mehr, und es ist nicht ausgeschlossen, dass er am Ende recht behält.
Leverkusen gelingt eine eindrückliche Siegesserie
Doch Bayer Leverkusen hat ziemlich nachdrücklich auf Hoeness’ selbstbewusste These reagiert. Die folgenden acht Spiele haben die Rheinländer gewonnen, unter anderem im DFB-Pokal in München. Der Vorsprung des FC Bayern vor dem Titelverteidiger ist von neun auf vier Punkte geschrumpft, und parallel zur Leistungskurve des Double-Siegers verläuft die Formkurve von Granit Xhaka.
Zwar spielte Leverkusen auch zu Saisonbeginn ansehnlich Fussball, der Weltklassespieler Florian Wirtz wird weiterhin immer besser, der Abwehrchef Jonathan Tah agiert in seinem letzten Jahr vor dem angekündigten Abschied aus Leverkusen ähnlich dominant wie in der Meistersaison. Aber Nachlässigkeiten kosteten Punkte. Manchmal fehlten der Hunger und die Bereitschaft zu leiden, nach der geradezu übernatürlichen Perfektion der Vorsaison zeigte das Team im Herbst menschliche Züge.
Unter diesen Umständen fand der Dauerläufer Xhaka nur schwer in seine Rolle als Anführer, er war gezeichnet von den Folgen der an der Europameisterschaft erlittenen Oberschenkelverletzung. Mittlerweile ist Bayer Leverkusen aber wieder das beste Team der Liga. Sowohl was den Punktedurchschnitt anbelangt als auch fussballerisch.
Nachdem der Meister im ersten Saisondrittel Führungen gegen Kiel, in Bremen sowie in Bochum und damit wertvolle Punkte verspielt hatte, habe Bayer 04 «wieder diesen Biss gefunden, diese Energie, diesen Siegeswillen», sagte der Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes am Jahresende. Im Dezember wirkte Leverkusen wieder reifer und gefestigter, einfach stärker als der FC Bayern. Dessen neuer Trainer Vincent Kompany hat erst begonnen, sich im fremden Umfeld einzurichten; etliche Bayern-Spieler wirken stark mit sich selbst und ihrer Zukunft beschäftigt.
Das Team hat die Balance wiedergefunden
Bayer 04 hingegen ist zurück im Flow. «Die letzten drei, dreieinhalb Monate waren sehr stark von uns. Wir haben wieder Mentalität gezeigt, viele Läufe gemacht, auch ohne den Ball», sagte Xhaka in dieser Woche. Wirtz ist noch vielseitiger als sein Münchner Pendant Jamal Musiala, der Stürmer Patrik Schick hat in den vergangenen fünf Bundesligaeinsätzen neun Tore erzielt – da kann nicht einmal Harry Kane mithalten.
Und selbst die Frage, ob ein wichtiger Spieler oder gar der Trainer Xabi Alonso im Sommer gehen könnte, regt in der Equipe niemanden mehr auf, da alle wissen, dass sie sich mit dem Double aus Meisterschaft und DFB-Cup-Sieg in der vergangenen Saison unsterblich gemacht haben. Auf dem Platz fand das Team jüngst wieder diese faszinierende Balance zwischen defensiver Kontrolle und mutigem Kombinationsfussball, die die Meistersaison prägte.
Der erfahrene Abwehrspieler Alessandro Bastoni von Inter Mailand, der schon gegen alle grossen Teams der Welt gespielt hat, sagte im Dezember nach der 1:0-Niederlage in Leverkusen über die Werkself: «Vom physischen und mentalen Standpunkt betrachtet, sind sie mit dem Ball eine der besten Mannschaften, die ich je getroffen habe.» Das war ein Lob, das ziemlich direkt auf Xhaka zutrifft, der an der Sports-Awards-Gala in der Schweiz kürzlich zum «MVP», also zum wertvollsten Schweizer Mannschaftssportler des vergangenen Jahres gekürt wurde.
Die Tempodefizite des Ballverteilers fielen nur auf, als die Leverkusener Mannschaft zu Saisonbeginn nicht mehr ganz so diszipliniert verschob und etwas weniger konsequent verteidigte. Das verstärkte den Eindruck einer kleinen Baisse. Um seine stärksten Leistungen zeigen zu können, benötigt Xhaka diese fein abgestimmte Umgebung, die in Leverkusen gewachsen ist. Im Nationalteam oder auch im FC Arsenal spielte er zwar ebenfalls oft brillant, doch nur selten dauerhaft auf diesem allerhöchsten Niveau.
Xhaka ist ein Dauerläufer
Denn eigentlich ist Xhaka immer präsent, als Initiator, als Antreiber im Spiel gegen den Ball. Und als Spieler, der Druck von seinen Kollegen nimmt, indem er ihnen permanent ein einfaches Anspiel ermöglicht. Alonso sagte kurz vor Weihnachten über seinen Spiritus Rector: «Es ist seine Persönlichkeit, er versteht es, den Fussball im Mittelfeld zu lesen, hat das Vertrauen der Mitspieler und einen grossen Impact.» Deshalb ist Xhaka bei Bayer 04 trotz Konkurrenten wie dem deutschen Nationalspieler Robert Andrich, dem Weltmeister Exequiel Palacios und dem spanischen Nationalspieler Aleix García nicht zu ersetzen.
Nur zwei Mal fehlte Xhaka in der Startformation – beim mühsamen 1:0 im DFB-Cup-Erstrundenspiel in Jena und beim 1:1 auswärts gegen Stade Brest in der Champions League. In beiden Fällen wurde der Mittelfeldchef irgendwann eingewechselt – und avancierte sofort zum Stabilisator des gesamten Gefüges. Wettbewerbsübergreifend sammelten von allen Bundesligaprofis nur Xhakas Mannschaftskollegen Edmond Tapsoba und Jonathan Tah sowie Joshua Kimmich noch mehr Einsatzminuten als Xhaka.
Ein Einsatz zum Rückrunden-Auftakt ist allerdings ungewiss, Xhaka musste am Dienstag eine Trainingseinheit abbrechen, nachdem er mit seinem rechten Fuss umgeknickt war. Eine schwere Verletzung liegt offenbar aber nicht vor. Und so wäre es nicht verwunderlich, käme Xhaka am Freitag doch zum Einsatz. Denn Alonso will in einem solchen Spiel wie in Dortmund nur im Notfall auf seinen Chef verzichten. Und Xhaka spielt immer, wenn es irgendwie geht. Zumal es gilt, Uli Hoeness zu widerlegen.