Eine neue Studie legt nahe, dass andere Finanzplätze die Schweiz im Wettbewerb um grenzüberschreitende Vermögen bald überholen könnten. Daran ist nicht nur die Credit-Suisse-Krise schuld.
Wir sind Nummer eins. Bis heute verwalten die Banken in keinem anderen Land der Welt mehr Geld von ausländischen Kunden als in der Schweiz. Mehr als in Grossbritannien, den USA, aber auch Hongkong und Singapur.
Der Spitzenplatz der Schweiz in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung hat Symbolcharakter und trägt zum Selbstverständnis des Finanzplatzes bei. Aber er ist gefährdet – wenn nicht bereits verloren. So lautet das Fazit einer neuen Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte. «Unsere Resultate zeigen deutlich, dass die Schweiz gegenüber anderen Finanzplätzen an Boden verliert», heisst es im International Wealth Management Centre Ranking 2024.
8 Milliarden Dollar trennen die Schweiz und Grossbritannien
Als «offshore» gelten Vermögenswerte, wenn sie ausserhalb des Wohnsitzlandes des Besitzers verwaltet werden. Im vergangenen Jahr lagen 2174 Milliarden Dollar solcher Vermögen bei Schweizer Banken und Vermögensverwaltern. Das ist ein Spitzenwert, allerdings ist laut Deloitte der Abstand zum zweitplatzierten Offshore-Finanzplatz Grossbritannien mit acht Milliarden Dollar verschwindend klein geworden.
Deloitte geht davon aus, dass die Schweiz ihre Position als führendes internationales Vermögensverwaltungszentrum bald verlieren könnte, sollten «Banken, Vermögensverwalter, die Regulatoren und die Nationalbank nicht aktiv die Herausforderungen angehen, denen der Finanzplatz gegenübersteht».
Das sind dramatische Worte. Die Angst vom Abstieg der Schweiz als führender Offshore-Finanzplatz ist mittlerweile Jahrzehnte alt. Die Experten von Deloitte hielten schon in früheren Jahren fest, dass der hiesige Finanzplatz bald von einem der Konkurrenzstandorte überholt werden könnte – und es kam nicht so weit.
Die Ursachen
Doch der befürchtete relative Bedeutungsverlust der Schweiz in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung ist nicht aus der Luft gegriffen. Das Papier nennt mehrere Faktoren, die sich seit der Veröffentlichung der letzten Studie 2021 negativ ausgewirkt haben.
- Untergang der Credit Suisse (CS): Die Notübernahme der CS durch die UBS im März 2023 hat nicht nur der Reputation des Schweizer Finanzplatzes geschadet, sondern auch zum Abfluss von Kundengeldern in dreistelliger Milliardenhöhe geführt. Der Schaden gehe weit über die Vermögensabflüsse hinaus, schreiben die Autoren. «Das Image der Schweiz als sicherer Hafen, der von einem stabilen und zuverlässigen Wirtschafts- und Finanzsystem getragen wird, hat durch die Credit-Suisse-Krise erheblich gelitten».
- Angeschlagenes Neutralitätsimage: Auch der Ruf der Schweiz als neutraler Standort für internationale Vermögen – «seit Jahrhunderten ein wesentliches Merkmal des Schweizer Leistungsversprechens» – ist laut Deloitte nicht mehr das, was er einmal war: «Besonders in Bezug auf ihre Übernahme von internationalen Sanktionen.» Gemeint ist: Die Eidgenossenschaft trägt die internationalen Finanzsanktionen gegen Russland mit, was für Kunden aus bestimmten Ländern ein Argument sein könnte, ihr Geld nicht mehr zu einer Schweizer Bank zu bringen.
- Ungleiche Spiesse: Bekanntlich musste die Schweiz das Bankkundengeheimnis für internationale Kunden nach der Finanzkrise 2008 aufgeben. Derweil können es sich etwa die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer grossen wirtschaftlichen Bedeutung leisten, globale Standards wie den automatischen Informationsaustausch nicht zu übernehmen. Das Resultat sind ungleiche Spiesse. Manchmal sind diese Nachteile aber auch selbst verschuldet: So führte die Schweiz per Anfang 2024 die OECD-Mindeststeuer ein und musste feststellen, dass wichtige Länder wie die USA, China oder Brasilien bisher keine Anstalten machen, diese zu übernehmen.
Mit Blick in die Zukunft rät Deloitte den Schweizer Behörden zu Pragmatismus, um die hohe Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes zu bewahren. Der Bundesrat dürfte im ersten Quartal 2025 als Antwort auf die CS-Krise schärfere Regeln für den Bankenplatz vorschlagen. Deloitte plädiert dafür, die Vermögensverwaltungsbranche nicht mit neuen Regeln «zu überlasten».
Das gesamte Offshore-Geschäft stagniert
Letztlich steht das Geschäft mit Offshore-Vermögen nicht nur in der Schweiz, sondern international unter Druck. Die gesamten grenzüberschreitend verwalteten Vermögen haben in den vergangenen zehn Jahren bei etwa 10 000 Milliarden Dollar stagniert, während die gesamten finanziellen Vermögenswerte deutlich zugenommen haben.
Das liegt an den immer strengeren Regeln, die Banken erfüllen müssen, wenn sie Vermögen von ausländischen Kunden grenzüberschreitend verwalten wollen. Aber auch an den immer besseren lokalen Angeboten für Vermögensverwaltung.
Man kann das alles aber auch gelassener sehen. So sagt Andreas Venditti, Bankenanalyst bei Vontobel, er höre seit vielen Jahren davon, dass die Schweiz ihren Spitzenplatz in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung bald verlieren könnte. Wenn es jetzt soweit sein sollte, dann sei die Überraschung eher, dass es so lange gedauert habe.