Im Umgang mit Wahlen und Plebiszit in Georgien und der Moldau zeigt sich die EU von einer unangenehm vertrauten Seite.
Kein Land ist zu beneiden, das sich zwischen geopolitischen Gegnern entscheiden muss. Niemand sollte gezwungen werden, eine «Schicksalswahl» zu treffen. Und doch scheint es, als ob die Georgierinnen und Georgier am letzten Wochenende genau dies taten.
Es geht um die Zukunft des Landes. Genauer darum, ob Georgien sich demnächst zurück in den russischen Orbit bewegt oder ob es den Anschluss an die Europäische Union findet, deren Beitrittskandidat es ist. Bei dem Urnengang schwang der Georgische Traum, die Partei des prorussischen Oligarchen Bidsina Iwanischwili, klar obenauf. Dass die Wahl fair verlaufen sei, verneinen die Beobachter.
Eine Woche früher hatte die Bevölkerung in der Moldau nur mit einer hauchdünnen Mehrheit einem Zusatz in der Verfassung zugestimmt, wonach der Beitritt zur EU das strategische Ziel des Landes sei. Auch bei diesem Referendum mischte der Kreml propagandistisch mächtig mit, aber auch Politiker aus den nordischen und baltischen Staaten beteiligten sich auf der Gegenseite am Abstimmungskampf.
Entweder – oder: Vor diese Entscheidung gestellt sehen sich die Länder an der östlichen Peripherie der EU. Das Dilemma ist die unmittelbare Folge des Angriffs Moskaus auf die Ukraine. Er führte – vorübergehend –zu einer klaren Frontstellung der Union gegenüber dem grossen Nachbarn. Denn Russland will zurück zu einer Politik der Einflusssphären. Sie sollen von den Grossmächten definiert werden – und nicht souverän von den betroffenen Staaten. Dagegen wehrt sich zu Recht die EU.
Nach dem Signal weiss die EU nicht weiter
Wie ist das politische Europa für diese Auseinandersetzung gerüstet? Die kurze Antwort lautet: ungenügend. Die EU pflegte über zehn Jahre lang die sogenannte «östliche Partnerschaft» mit sechs Ländern in der Region, darunter die Ukraine, die Moldau und Georgien. Das wenig ambitionierte Ziel waren die Vertiefung der Beziehungen und die Unterstützung von Reformprozessen. Der Erfolg blieb sehr überschaubar.
Der Schock der russischen Invasion 2022 führte dazu, dass die Ukraine, die Moldau und Georgien zum Beitritt eingeladen wurden. Das war ein starkes und wichtiges Signal – aber auch nicht mehr. Es sind ihm keine entscheidenden Schritte gefolgt. Denn dazu fehlt der EU eine konsolidierte Position, und es fehlen die politischen Instrumente, also alles, was einen geopolitischen Akteur ausmacht.
Jetzt, wo es um die Entscheidung geht, wo die geopolitische Zukunft der beiden Länder auf dem Spiel steht, ist das fatal. Um jene Parteien und Gesellschaftsgruppen zu stärken, die den Anschluss an den Westen suchen, müsste die EU dem Land glaubhafte Zeichen geben. Etwa, dass die Integration in den europäischen Markt mit einem massiven Ausbau der Infrastruktur verbunden ist. Umgekehrt müsste sie Wahlbetrüger mit Sanktionen belegen. Beides kann sie nicht. Es fehlt der politische Konsens. Brüssel kann lediglich die «EU-Perspektive» stornieren. Wen beeindruckt das schon?
Orban war wie immer schnell
Wie wenig vom Geist der «Zeitenwende» in Europa übriggeblieben ist, zeigte die Kakofonie nach dem Urnengang. Viktor Orban, dessen Land die rotierende Ratspräsidentschaft innehat, flog ein und gratulierte Iwanischwili. Der Sieg bestätige, dass Georgien ein konservatives, christliches und proeuropäisches Land sei. Gegen Orbans Coup protestierte sofort die EU-Kommission und verlangte die Überprüfung der Wahlresultate. Dreizehn Mitgliedsländer zogen nach, die übrigen schweigen.
So hat sich der Einfluss der EU wieder auf ihre Soft Power reduziert: als imaginierten Sehnsuchtsort von Wohlstand und Sicherheit und als Ziel für Migration. Georgien und die Moldau sind fortan im Umgang mit Russland weitgehend auf sich gestellt. Die Erweiterungspolitik der EU bleibt Schimäre. Im besten Fall gelingt den Ländern, was Serbien, der ewige Kandidat, vormacht: Schaukelpolitik zwischen Ost und West als Geschäftsmodell. Ausserdem bleibt wohl nur die «Schutzmacht» Russland.