Lange Zeit ging es für Industriefirmen in China nur aufwärts. Doch nun steckt das Land in einer tiefen Krise. Es gibt grosse Überkapazitäten, deren Abbau viel Zeit und Durchstehvermögen benötigt.
Aus heutiger Sicht mutet es naiv an, doch jahrelang schwärmten Manager auch von Schweizer Industrieunternehmen fast unentwegt von China. Egal, aus welcher Branche die Führungskräfte stammten, für das Reich der Mitte hatten sie nur Lob übrig.
Investoren hörten die Schwärmereien gern
China biete mit seiner Bevölkerung von über einer Milliarde Menschen, von denen immer mehr den Aufstieg in die Mittelschicht schafften, enormes Wachstumspotenzial, erklärten die Firmenvertreter treuherzig.
Investoren, Mitarbeiter und Lieferanten hörten die Botschaft gerne. Denn sie signalisierte, dass es mit den Geschäftszahlen sowie mit dem Aktienkurs nur aufwärtsgehen konnte. Und lange ging die Rechnung auch auf. Nicht selten verdankten Unternehmen die Hälfte und mehr ihres Wachstums Geschäften mit China.
Nun aber herrscht der grosse Kater. Bereits während der Pandemie war die chinesische Konjunktur wegen übertrieben strenger Lockdown-Massnahmen der Regierung stark unter Druck geraten. Sie hat sich bis heute davon nicht erholt. Im Gegenteil: Die Konsumenten in China sind, nachdem es auch zu einem Absturz des Immobilienmarkts gekommen ist, so verunsichert wie seit Jahren nicht mehr.
Winter in der Stahlbranche
Dazu kommt, dass im chinesischen Industriesektor enorme Überkapazitäten entstanden sind. Jahrelang hatten nämlich nicht nur ausländische Konzerne, sondern vor allem auch einheimische Unternehmen emsig in neue Fabriken investiert. Die chinesischen Industriefirmen profitierten dabei oft von grosszügigen Zuwendungen der Regierung. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dieselben Unternehmen nun nicht selten vor dem Ruin stehen, weil regionalen staatlichen Körperschaften das Geld fehlt, um sie abermals zu unterstützen.
Besonders düster scheint die Stimmung im riesigen Stahlsektor Chinas zu sein. Das Management des weltgrössten Stahlherstellers Baowu Steel sprach vor kurzem apokalyptisch von einem «Winter», der «länger und kälter» als jener während der letzten beiden Abschwungphasen 2008 und 2015 ausfallen werde.
Wenn Geschäfte versiegen, neigen Manager überall dazu, die Lage in den dunkelsten Farben darzustellen. Oft erhoffen sie sich, dadurch staatliche Hilfen zu erhalten. In China dürfte das nicht anders sein. Allerdings scheint der Stahlsektor dieses Mal in eine besonders missliche Lage geraten zu sein, weil seine grössten Abnehmer in der Baubranche, in der Automobilherstellung oder im Schiffbau allesamt selbst unter Überkapazitäten leiden.
Schindler und Syngenta leiden mit
Angesichts solch betrüblicher Bedingungen ist es nicht erstaunlich, dass auch in der Schweiz erste Manager es wagen, ihr Leid wegen China zu klagen. Silvio Napoli, der Chef des Liftherstellers Schindler, hat in den letzten Monaten mehrfach erklärt, dass er die Krise im chinesischen Immobilienmarkt noch längst nicht als ausgestanden betrachte. Schindler gehörte in der Vergangenheit zu den Unternehmen, die besonders stark an den Aufstieg Chinas glaubten. Der Konzern erwirtschaftete in dem Land auch jahrelang hohe Profite.
Die Krise in der Volksrepublik macht selbst vor Syngenta nicht halt. Der Basler Agrochemiekonzern, der sich seit Mitte 2017 in chinesischem Staatsbesitz befindet, verlor im ersten Semester mit seiner Division Syngenta Group China eine Milliarde Dollar an Umsatz. Auch in der Agrochemie sind in China viel zu viele Anbieter entstanden, die keine andere Wahl sehen, als nun aggressiv Preise zu drücken.
Bis die vielen Überkapazitäten in der chinesischen Industrie verschwinden werden, dürfte einige Zeit verstreichen. Für Schweizer Lieferanten gilt es, mit jenen chinesischen Firmen im Geschäft zu bleiben, die gestärkt aus der Marktbereinigung hervorgehen. Zugleich dürfte der Kuchen vorerst um einiges kleiner werden. Ihre einstigen hohen Wachstumserwartungen werden Manager wohl noch eine ganze Weile lieber nicht mehr ansprechen.