Im Unterschied zu Bern hatte Zürich nie ein eigenes Autorennen. Mit der Landesausstellung 1939 hätte sich das geändert. Doch aus den Plänen wurde nichts.
Flächendeckend Tempo 30, Beruhigung von Quartierstrassen, Velostreifen. Der Verkehr ist in der Stadt Zürich ein Dauerthema. Dabei gilt das Auto vielen als Feindbild, weil es Platz braucht und Lärm und Abgase verursacht.
Das war in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts noch entschieden anders. Damals galten Autofahrten als exklusives Abenteuer. Rennfahrer mit Lederjacke und Sonnenbrille hatten gute Chancen, zu Helden zu werden, wenn sie dank waghalsigen Manövern zum Sieg rasten. Oder sie kamen bei tragischen Unfällen ums Leben und schrieben damit erst recht Geschichte.
Im Gegensatz zu heute waren Lärm und Umweltverschmutzung in den dreissiger Jahren selbst dann kein Thema, wenn Rennstrecken mitten durch Städte führten. Vom Rennsport, vom Rausch des hohen Tempos und vom ganzen Spektakel – davon konnten die Leute nicht genug bekommen.
Die Berner hatten, was die Zürcher gerne wollten
Kein Wunder, dass auch die Schweiz zum Schauplatz grosser Autorennen werden wollte. Bereits seit 1931 gab es in Bremgarten bei Bern eine Rennpiste für Motorradrennen. 1937 wurde die Strecke zum Grossen Preis von Europa geadelt. Wer Europameister auf dem Motorrad werden wollte, musste in Bremgarten gewinnen.
Ab 1934 fanden in Bremgarten auch Autorennen statt, teilweise sogar im Rahmen der Grand-Prix-Europameisterschaft. Damit war Bremgarten ein Rennen in der prestigeträchtigsten Rennserie der damaligen Zeit. Grössen wie Manfred von Brauchitsch, Luigi Fagioli und Rudolf Caracciola fuhren miteinander um die Wette. Alfa Romeo, Mercedes-Benz und Auto Union waren die überlegenen Fahrzeuge jener Epoche. Die Grand-Prix-Europameisterschaft gilt als direktes Vorbild für die Formel 1, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde.
Bremgarten war eine der gefährlichsten Stationen in der Grand-Prix-Saison. So kam es schon beim ersten Rennen 1934 zu einem tödlichen Unfall: Der Nordire Hugh Hamilton vom Team Maserati kam von der Strasse ab und prallte gegen einen Baum. Auch später galt der Berner Rundkurs als anspruchsvoll, besonders bei Nässe.
In Zürich dürfte man dies mit Argwohn, wenn nicht mit Neid zur Kenntnis genommen haben. Zürich hatte viel zu bieten, aber ein eigenes Autorennen hatte die Limmatstadt nicht.
Auch ein Prinz wäre mitgefahren
1939 war das Jahr der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich. Das war die ideale Gelegenheit, endlich auch in Zürich einen Rundkurs aufzubauen. Die Rennen im Rahmen der «Landi» 1939 hätten ganz besondere Ereignisse werden sollen, die die Berner Rennen in jeder Hinsicht übertroffen hätten.
11 000 Personen hätten am 8. Oktober 1939 von der eigens errichteten Tribüne aus zusehen sollen, wie bis zu zwölf Fahrer in den leistungsstärksten Rennwagen gegeneinander antreten. Teams von Mercedes-Benz, Alfa Romeo, Maserati, ERA und Auto Union sollten ihre 70 Runden auf dem 5 Kilometer langen Rundkurs in Schwamendingen drehen.
Schon im Januar desselben Jahres hatte die NZZ frohlockt, dass eine Probefahrt den Beweis dafür geliefert habe, dass «selten ein Autorennen auf einer interessanteren Bahn durchgeführt wurde, wie sie das Strassendreieck in der Umgebung Schwamendingens darstellt». Man versprach sich ein Spektakel auf Weltklasseniveau.
Und nicht nur das. Beim Rennen um den Grossen Preis von Zürich gab es 3000 Franken zu gewinnen, bei jenem um den Grossen Preis der Landesausstellung für die damalige Zeit fürstliche 8000 Franken.
Die Fahrer beim Zürcher Rundkurs wären extravaganter gewesen als anderswo. Neben Rudolf Caracciola war auch der thailändische Prinz Bira am Rennen um das Zürcher Preisgeld interessiert. Prinz Bira war Fahrer für die britische ERA und wollte in Schwamendingen starten, sofern Caracciola und Mercedes-Benz auf eine Teilnahme verzichten würden. Er hatte wohl Angst, vom dreifachen Bremgarten-Gewinner und Europameister Caracciola gedemütigt zu werden.
Im Simulator erleben, was nie Realität wurde
Reglemente und Plakate waren bereits gedruckt. Doch das Heulen dieser Motoren ist in Zürichs Norden nie erklungen. Die Rennen mussten abgesagt werden, weil Nazideutschland am 1. September 1939 in Polen einfiel und damit den Zweiten Weltkrieg begann.
Das belegen Briefwechsel zwischen den Fahrern und den Organisatoren, die im Swiss Car Register, einem Archiv für Automobilgeschichte in Safenwil, liegen. Viel mehr als das, was in jenem Dossier im Swiss Car Register steht, ist heute über das abgeblasene Autorennen von Zürich nicht bekannt.
Dass der Grosse Preis von Zürich nie stattgefunden hat, hat Tom Mächler nicht davon abgehalten, den Plänen von damals neues Leben einzuhauchen. Mächler führt in Dietikon eine Firma, die mit Fahrzeugbatterien und Akkumulatoren handelt, und ist privat ein grosser Fan des Rennsports, insbesondere der Formel 1. Und nun betreibt er nebenbei einen sogenannten Motodrom mit acht Rennsimulatoren.
Diese Simulatoren verfügen über vibrierende Sportwagensitze sowie physische Lenkräder und Pedale. Gruppen können das Motodrom mieten und sich an den Bestzeiten aller grossen Rundkurse der Welt versuchen.
Oder auf der Strecke des neu interpretierten Grossen Preises von Zürich ihre Runden drehen. Mächlers Rennstrecke führt von der Zürcher Innenstadt Enge zum Seebecken und von dort über in die Innenstadt wieder zurück in die Enge. Es geht vorbei an detailgetreuen Visualisierungen sämtlicher Gebäude am Wegrand. Es stehen dazu diverse historische und aktuelle Rennwagen zur Auswahl, deren Fahrverhalten im Simulator nachgeahmt werden kann.
«Es ist also alles wie in einem richtigen Rennwagen, nämlich ziemlich schwierig», sagt Tom Mächler und lacht. Er ist stolz darauf, dass er Zürich 85 Jahre nach der geplanten Erstaustragung nun endlich zu seinem langersehnten eigenen Grand Prix verholfen hat. Auch wenn der nur digital stattfindet.