Die Finanzmärkte bekunden Mühe, die erratische Politik der Trump-Regierung zu verarbeiten. Die Börsen zeigen Attribute eines Bärenmarktes. An welchen Erkenntnissen können sich Investoren orientieren?
«Three rules, Donald: Always attack. Admit nothing. Always claim victory, even if defeated.»
Roy Cohn, US-Anwalt und «Lehrmeister» von D. Trump, in «The Apprentice» (2024)
Die Finanzmärkte sind in der Regel sehr effizient darin, Informationen zu verarbeiten. Konjunkturdaten, politische Wahlresultate, Quartalszahlen oder eine Fusion zweier Unternehmen: Millionen von Individuen beteiligen sich daran, diese Informationen einzuordnen, abzuwägen, mit historischen Erfahrungen abzugleichen und in den Preisen von Wertpapieren abzubilden.
Doch dieser Mechanismus versagt, wenn die Märkte mit einem Schock konfrontiert sind, der sie in einen Zustand extremer Ungewissheit versetzt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Faktenbasis zu dünn ist, wenn sich die Informationslage laufend und abrupt ändert, oder wenn es sich um ein Ereignis handelt, für das die Märkte keinen historischen Erfahrungsschatz besitzen.
Sie reagieren dann mit einer Art Schutzmechanismus, indem sie in der Preisfindung pauschal eine erhöhte Risikoprämie einbauen. Mit anderen Worten: Die Preise müssen sinken, um ein breiteres Spektrum an Szenarien – auch extrem negative – abzubilden.
Schockzustände sind nie dauerhaft. Aber die Märkte benötigen mehrere Tage oder Wochen, um die Situation adäquat einzupreisen. Und in dieser Zeit kann es zu Unfällen kommen; Akteure, die mit zu viel Fremdkapital gearbeitet haben, geraten in Not und müssen liquidieren. Manchmal benötigen die Märkte eine Defibrillation von aussen – Hilfe von der Zentralbank –, um aus dem Schockzustand zu finden.
Die erste Covid-Welle im März 2020 ist ein Beispiel für einen derartigen Schock. Oder Fukushima, März 2011, für die Finanzmärkte in Tokio. Oder der Kollaps von Lehman Brothers im September 2008.
Gegenwärtig stehen die globalen Finanzmärkte wieder unter Schock. Aber es ist kein Virus, kein Tsunami und keine Kernschmelze im Finanzsystem, die ihn verursacht haben, sondern die Regierung des mächtigsten Staates der Welt. Mit der Ankündigung flächendeckender Importzölle gegen alle Handelspartner der USA hat Präsident Donald Trump am 2. April den Schockzustand provoziert.
Nur gerade vier Handelstage nach dem «Liberation Day» geriet der Markt für US-Staatsanleihen, der wichtigste und liquideste Finanzmarkt der Welt, ins Wanken. Die Rendite zehn- und dreissigjähriger Treasury-Papiere schoss in die Höhe, während sich der Dollar abschwächte: Signale eines Vertrauensverlustes, wie sie Investoren aus Krisen in Schwellenländern kennen.
Am 9. April musste Trump zurückkrebsen. Er setzte die «reziproken» Importzölle gegen alle Länder, mit Ausnahme Chinas, für 90 Tage aus. Neu gilt ein Basiszoll von 10%. Selbstverständlich flocht der Präsident diesen Entscheid in ein siegreiches Narrativ – «die ganze Welt will mit mir verhandeln» –, und seine Claqueure lobten die strategische Brillanz Trumps.
Dabei besteht kein Zweifel daran, dass es der Bondmarkt war, der den Präsidenten in die Schranken gewiesen hat.
Always claim victory, even if defeated.
Mit der Ankündigung des 90-tägigen Moratoriums löste Trump eine Rally an den Börsen aus. Der Nasdaq 100 gewann am Mittwoch 12%, was dem drittgrössten Tagesgewinn in der Geschichte des Index entspricht. Bereits am Donnerstag ging der Erholung aber die Luft aus.
Fünf Handelstage in Folge verzeichnete der Leitindex, der S&P 500, Intraday-Schwankungen von mehr als 6%: eine klare Indikation für die Mühe, die die Märkte mit der Verarbeitung der Informationen bekunden, die aus dem Weissen Haus auf sie einprasseln.
Wie sollen Anleger mit diesem Lärm und dieser extrem fluiden Nachrichtenlage umgehen?
Indem sie sich an den grossen Linien orientieren. Denn drei Erkenntnisse wurden in den vergangenen Tagen unmissverständlich klar:
- Der Bondmarkt zieht Grenzen, die die Trump-Regierung nicht ignorieren kann.
- Zwischen den USA und China ist mit voller Wucht ein Handelskrieg ausgebrochen, dessen Eskalationsspirale die gesamte Weltwirtschaft bedroht.
- Die Regierung der USA hat mit dem regelbasierten Weltwirtschaftssystem gebrochen. Pax Americana ist tot.
Wir beleuchten im dieswöchigen «Big Picture» diese Erkenntnisse, und wir gehen der zentralen Frage nach, die weiterhin unbeantwortet ist: Was will Trump eigentlich? Zunächst werfen wir aber einen Blick auf die Börsenrally vom Mittwoch.
Die Verhaltensökonomie verwendet den Begriff des «Anchoring» (Ankereffekt), um zu erklären, weshalb sich Menschen bei Entscheidungen an einem Ausgangspunkt orientieren – selbst wenn dieser irrelevant ist.
Die Börsenreaktion auf Trumps Zurückkrebsen war ein perfektes Beispiel für Anchoring. Die US-Regierung erhebt für die nächsten 90 Tage «nur» einen Basiszoll von 10% auf Importen aus allen Ländern (ausser China). Das ist weniger als die individuellen, «reziproken» Zölle, die Trump am 2. April vorgestellt hatte: 31% gegen die Schweiz, 20% gegen die EU, 24% gegen Japan, 46% gegen Vietnam, etc.
Dass auch dieser Basiszoll horrend ist und die USA auf ein Zollniveau zurückwirft, das letztmals vor mehr als 100 Jahren die Norm war, war in der ersten Reaktion egal: 10% sind weniger als die in den Köpfen der Marktteilnehmer verankerten Werte – also ist es eine positive Nachricht. Ergo die heftige Erholungsrally.
Aber ist es überhaupt ein gesundes Zeichen, wenn die Börsen riesige Tagesgewinne erzielen? Der Blick in die Daten lässt daran zweifeln.
Den grössten Tagesgewinn seiner 40-jährigen Geschichte erreichte der Nasdaq am 3. Januar 2001 mit einem Plus von 18,8%. Das war mitten im Bärenmarkt nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Nach diesem Eintages-Feuerwerk fiel der Tech-Index noch weitere 68%, bevor er im Oktober 2002 endlich den Boden erreichte.
Den zweitbesten Tag seiner Geschichte markierte der Nasdaq am 13. Oktober 2008 mit einem Plus von 12,6% – mitten im Sturm der Finanzkrise. Danach ging es um weitere 25% bergab bis zum Tief im März 2009.
Genau gleich erging es dem S&P 500, der seine besten zwei Tage mitten in der Finanzkrise im Herbst 2008 markierte.
Derartige Kurssprünge, die man auch als «Suckers Rally» bezeichnet, sind normalerweise ein Charakteristikum von Bärenmärkten.
Wie es mit den Aktienmärkten in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht, wird massgeblich davon abhängen, ob die US-Wirtschaft in eine Rezession rutscht. Dann nämlich würden sinkende Unternehmensgewinne auf einen immer noch hoch bewerteten Markt treffen, wie wir es in diesem Kurzvideo illustriert haben:
Kommen wir nun zu den Erkenntnissen, die die vergangenen Wochen geliefert haben.
«Früher dachte ich, wenn es eine Reinkarnation gäbe, würde ich als Präsident oder Papst zurückkommen wollen. Aber jetzt möchte ich der Bondmarkt sein: Der Bondmarkt kann jeden einschüchtern.»
James Carville, amerik. Politologe, Berater von Präsident Clinton (*1944)
Scott Bessent, Finanzminister im Trump-Kabinett, hat seit seiner Amtsübernahme mehrmals öffentlich das Ziel formuliert, die Verzinsung langfristiger Staatsanleihen zu senken. Doch bislang ist der ehemalige Hedge-Fund-Manager mit dieser Strategie krachend gescheitert.
Trotz signifikant steigender Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA verharrt die Rendite zehnjähriger Treasury Notes deutlich über 4%. Nach einem kurzen Taucher zu Beginn der Woche schossen die Bondrenditen am Dienstag und Mittwoch in die Höhe. Die Rendite zehnjähriger Treasuries berührte 4,5%, die Rendite dreissigjähriger Treasury Bonds kletterte über 5%.
Über die Gründe hinter diesem Bond-Crash von historischen Ausmassen haben wir hier geschrieben.
Trotz einer massiven «Risk off»-Welle an den Märkten wertete sich der Dollar zudem weiter ab. Steigende Zinsen, eine schwächere Währung – im Fall eines Schwellenlandes wie Indonesien wäre das Verdikt klar: Die Märkte verlieren das Vertrauen in die Regierung. Dieses Muster war es auch, das der britischen Premierministerin Liz Truss im Herbst 2022 den Kopf kostete.
Unmittelbar nach diesem Bondbeben vom 9. April knickte Trump ein. Wie es Marko Papic, Chefstratege von BCA Research, in diesem Interview gesagt hatte: «Der Bondmarkt wird Trump disziplinieren.»
Die Finanzmärkte haben damit einen neuen Anker erhalten: 5% bei den dreissigjährigen Treasury Bonds scheinen eine rote Linie darzustellen, die Trump nicht ignorieren kann.
Wie die Erschütterungen an den Finanzmärkten auch im engsten Umkreis des Präsidenten Nervosität verursachen, zeigte der öffentlich ausgetragene Streit zwischen Tesla-Chef Elon Musk und dem handelspolitischen Einflüsterer Trumps, Peter Navarro. Musk bezeichnete Navarro, einen extremen Merkantilisten, auf der Plattform X als Idioten, der dümmer sei als ein Sack Ziegelsteine.
Der Bondmarkt hat sich seit Mittwoch vordergründig betrachtet auf erhöhtem Renditeniveau leicht beruhigt, wobei die Rendite zehnjähriger Treasury Notes heute Freitag bereits wieder über 4,5% geklettert ist. Zudem ist seither der Dollar beschleunigt ins Rutschen geraten. Der handelsgewichtete Dollar-Index (DXY) ist am Freitag unter 100 und damit auf den niedrigsten Wert seit drei Jahren gefallen.
Zum Franken war der Dollar seit mehr als zehn Jahren nicht mehr so schwach wie heute.
Spiegelbildlich zum Dollar steigt der Goldpreis und markiert ein Rekordhoch nach dem anderen. Während also rapide die Luft aus der «American Exceptionalism»-Blase weicht, bewähren sich Gold und Aktien von Goldminenkonzernen als Asset mit antifragilen Qualitäten im Portfolio. Ein Muss für Investoren.
«Die Entwicklung Chinas in den letzten sieben Jahrzehnten ist das Ergebnis von Eigenständigkeit und harter Arbeit, nicht von Gefälligkeiten anderer. China gibt keiner ungerechten Unterdrückung nach.»
Xi Jinping, Generalsekretär d. KP Chinas, am 11. April 2025
Die Trump-Regierung hat die «reziproken» Zölle für 90 Tage ausgesetzt, weil die Handelspartner der USA so vernünftig waren, auf Gegenmassnahmen zu verzichten. Damit steht allen Staaten der Weg für bilaterale Verhandlungen offen.
Peking dagegen hat sich die Frechheit erlaubt, Gegenzölle zu verhängen. «Das war respektlos, damit hat China sein wahres Gesicht gezeigt», sagten Trump und Bessent am Mittwoch. In einer beispiellosen Serie von Ankündigungen hat Washington die Zölle auf alle Importe aus China bis heute Freitag auf 145% erhöht. Peking belastet Importe aus den USA im Gegenzug mittlerweile mit 125%.
Die beiden wichtigsten Volkswirtschaften leisten sich einen Handelskrieg, wie ihn die Welt in diesem Ausmass noch nie gesehen hat. Die extrem eng verflochtene Handelsbeziehung zwischen China und den USA wird auf einen Schlag stillgelegt.
Die Eskalationsspirale dreht längst mit einem Tempo, das auf beiden Seiten immense Schäden verursachen wird. Die Rhetorik aus China ist, diesen Kampf «bis zum bitteren Ende» zu führen.
Wer hat mehr Stehvermögen? Im Grunde sitzen die USA am längeren Hebel: China exportierte 2024 Waren im Wert von 438,9 Mrd. $ in die USA, während US-Unternehmen «nur» Waren im Wert von 143,5 Mrd. $ nach China exportierten. Der Markt USA ist für chinesische Unternehmen wichtiger als vice versa.
Trumps Zölle werden Chinas Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr gemäss Schätzungen ein bis zwei Prozentpunkte kosten. Das schmerzt.
Andererseits ist es Peking seit der Erfahrung der ersten Trump-Regierung gelungen, Chinas Exportmärkte zu diversifizieren. Nur noch 15% aller Exporte des Landes gehen in die USA, verglichen mit 19% im Jahr 2017. Der Asean-Block Südostasiens ist mit 16% für Chinas Exporte mittlerweile wichtiger als die USA.
Zudem besitzt Chinas Zentralregierung grossen fiskalpolitischen Spielraum, um die heimische Wirtschaft zu unterstützen, während die People’s Bank of China den Yuan abwerten lässt, um den Zollhammer etwas abzufedern. Es braucht überdies wenig Fantasie zur These, dass Chinas Bevölkerung von ihrer Regierung eher auf eine Leidensperiode eingeschworen werden kann als die amerikanische.
Das Problem an der derzeitigen Eskalationsdynamik ist zweierlei: Erstens ist der Konflikt schon dermassen heissgelaufen, dass keine Seite einen Rückzieher machen kann, ohne das Gesicht zu verlieren. Exponenten des Trump-Lagers verlangen, dass Chinas Staatspräsident Xi Jinping sich beim US-Präsidenten melden müsse. Trump wolle nur mit Xi reden. Aber die Entourage von Xi wird es niemals zulassen, dass es zu einer Konversation zwischen den beiden Männern kommt, ohne dass sich beide Seiten im Vorfeld auf das Resultat geeinigt haben. Auch in Peking wurde registriert, wie der Präsident der Ukraine im Weissen Haus vor den Augen der Weltöffentlichkeit erniedrigt wurde.
Es wäre wichtig, dass beide Seiten der jeweiligen Gegenpartei gesichtswahrende Möglichkeiten einer Deeskalation geben. Doch davon ist derzeit noch nichts zu sehen.
Das zweite Problem ist, dass beide Seiten immer noch Munition haben, um den Krieg eskalieren zu lassen. Die USA können den Handel mit Aktienzertifikaten chinesischer Unternehmen in New York unterbinden. Als «nukleare Massnahme» kann Washington China vom Dollar-System abschneiden. Peking dagegen mag handelsstatistisch betrachtet zwar am kürzeren Hebel sitzen, aber diverse US-Unternehmen – Apple, Tesla, Nike, Starbucks, etc. – sind gefährdet, sollte der Krieg ausser Kontrolle geraten. Die Gigafactory von Tesla in der Nähe von Schanghai ist mit einem Ausstoss von fast 1 Mio. Fahrzeugen pro Jahr das wichtigste und produktivste Werk des Autobauers.
Es ist davon auszugehen, dass Peking hofft, in der Person von Musk oder von Apple-CEO Tim Cook noch Stimmen im Umfeld von Trump zu haben, die mässigend auf die Handelspolitik des Präsidenten einwirken können.
Aber das Eis ist dünn. Die Aktien von Apple und Tesla sind heute das Äquivalent eines Bauernhofs im Elsass im Jahr 1914.
Regierungen weltweit mögen zwar erleichtert über den Aufschub der «reziproken» Zölle sein. Doch das ändert nichts am grossen Bild. Die US-Regierung hat der ganzen Welt zu verstehen gegeben, dass sie nicht mehr gewillt ist, das System zu tragen, für das sich in den acht Jahrzehnten seit 1945 der Begriff «Pax Americana» etabliert hat.
Was ist damit gemeint?
Pax Americana war im Grunde ein ungeschriebener Vertrag, der vereinfacht gesagt folgende Eckwerte umfasste:
- Der Welthandel folgt einem offenen, regelbasierten System (wobei diese Regeln in insgesamt acht GATT-Verhandlungsrunden primär von den USA geschrieben wurden).
- Der Dollar dient als Weltreservewährung, zementiert durch die Bretton-Woods-Institutionen IMF und Weltbank.
- Die U.S. Navy stellt die Freiheit der globalen Handelswege sicher.
- Als Gegenleistung für das Privileg, die Regeln zu schreiben und das globale Finanzsystem zu kontrollieren, gewährten die USA ihren Handelspartnern einen vergleichsweise offenen Zugang zum grössten Konsumentenmarkt der Welt.
Die Grundannahme dabei war immer, dass dieses System für alle Seiten – für die USA wie für ihre Handelspartner – von Vorteil ist. Doch die relevanten Exponenten in der Republikanischen Partei, getrieben von der MAGA-Bewegung, sind zum Schluss gekommen, dass dieses System nicht mehr den Interessen der USA dient. Daher die Rhetorik, wonach alle Länder der Welt Amerika jahrzehntelang ausgenutzt und ausgenommen – Trump benutzte den Begriff «vergewaltigt» – haben.
Aus gegenwärtiger Perspektive muss davon ausgegangen werden, dass dieser Bruch irreparabel ist. Womit wir zur Frage kommen, was Trump und seine Entourage der MAGA-Bewegung eigentlich wollen.
Eine Schwierigkeit in der Analyse der Handelspolitik der US-Regierung liegt in der Tatsache, dass sich das Narrativ über den Zweck der Importzölle laufend verändert. Wie das Team von Ben Hunt von Epsilon Theory in einer Studie zeigt, wurden im Verlauf der vergangenen zwölf Monate aus Trumps Umfeld diverse unterschiedliche Argumente für die Notwendigkeit von Importzöllen angeführt.
Im Sommer und Herbst 2024 ging es in der Rhetorik der Republikaner primär darum, die heimische Industrie zu schützen (hellblaue Fläche in der unten abgebildeten Grafik). Nach dem Wahlsieg Trumps und vor allem ab Januar, als der Präsident Steuersenkungen in Aussicht stellte, sollten Zölle als Finanzierungsquelle für den Staat dienen und die Einkommenssteuer in den USA ablösen (grün). Gleichzeitig tauchte in der Rhetorik aus dem Nichts das Argument auf, Zölle sollten primär die Nachbarn der USA zwingen, ihre Grenzen zu sichern (rot).
Dieses Narrative Shifting erschwert es für die Handelspartner der USA, abzuwägen, was sie der Trump-Regierung in Verhandlungen bieten können. Nur ein Beispiel: Wenn Zölle dazu dienen, Arbeitsplätze in die USA zu holen und die Staatskasse zu füllen, damit die Steuern gesenkt werden können, dann gibt es nichts, was Vietnam anbieten kann, um Washington zufriedenzustellen.
Im Grunde geht es dabei nach wie vor um die Frage, die die Märkte seit Trumps Wahlsieg im November umtreibt:
- Option 1: Sind Importzölle für den Präsidenten ein Mittel zum Zweck, eine Drohkulisse, um Deals zu erreichen? Und ist er bereit, die Zölle wieder abzuschaffen, wenn er Verhandlungserfolge erzielt hat?
- Option 2: Sind Zölle der Zweck an sich, indem sie dazu dienen, die US-Wirtschaft vom Rest der Welt abzuschotten und eine umfassende Reindustrialisierung des Landes zu erreichen?
Diese Spaltung zieht sich durch das Lager von Trump. Exponenten wie Musk, Bessent oder Aussenminister Marco Rubio zählen, nach ihren Aussagen zu schliessen, zu den Anhängern der Option 1. Peter Navarro, der kein offizielles Amt im Kabinett besetzt, den Präsidenten aber offensichtlich sehr eng berät, Vizepräsident J.D. Vance und Handelsminister Howard Lutnick repräsentieren Option 2.
So lange das Seilziehen zwischen diesen Lagern anhält, wird auch das Narrative Shifting anhalten und sowohl die Handelspartner der USA als auch die Finanzmärkte verunsichern.
Die umfassendste Formulierung, was Washington will, liefert unseres Erachtens Stephen Miran, Chairman des wirtschaftspolitischen Beraterstabes des Präsidenten. Seinen Plan zur Neuordnung der Weltwirtschaft haben wir an dieser Stelle analysiert. Am 7. April doppelte Miran dazu in einer öffentlichen Rede nach.
In der Rede präzisierte Miran, dass die USA dem Rest der Welt zwei öffentliche Güter zur Verfügung stellen: Erstens Sicherheit, und zweitens den Dollar als Reservewährung (vgl. Pax Americana). Beides stelle für die Amerikaner aber eine Bürde dar, für die sie von den Nutzniessern des Systems nicht adäquat entschädigt werden. Deshalb sei die Trump-Regierung nicht mehr bereit, dieses System zu unterstützen. Sodann führte Miran aber fünf konkrete Möglichkeiten auf, mit denen andere Länder die USA abgelten können:
- Importzölle seitens der USA akzeptieren und bezahlen, ohne Gegenmassnahmen zu verhängen
- Die eigenen Märkte für US-Produkte öffnen
- Rüstungsgüter aus den USA kaufen
- Produktionskapazitäten in den USA erstellen
- Dem US-Schatzamt einen Scheck ausstellen (indem sie unverzinste US-Staatsanleihen kaufen)
Die kommenden Wochen werden – voraussichtlich an Beispielen wie Japan, Südkorea oder Vietnam – zeigen, wie bilaterale Deals mit der Trump-Regierung aussehen können. Diese wiederum können als Vorlage für andere Länder sowie als Anker für Investoren dienen.
Der grosse Umbau des Weltwirtschaftssystems hat erst begonnen.