Eine Kontroverse im Luzerner Seetal zeigt im Kleinen, welche Probleme Gemeinden bei der Unterbringung von Flüchtlingen haben.
«Alles Gute und viel Fingerspitzengefühl in seinem neuen Amt» wünschte der Gemeinderat von Hitzkirch im Dezember Beat Jans nach dessen Wahl in den Bundesrat. Dass sich die Gemeinde im Luzerner Seetal über die Wahl freute, hat einen besonderen Grund. Der in Basel wohnhafte Jans hat seine Wurzeln nämlich in Hitzkirch, genauer gesagt im Ortsteil Mosen, wo sein Vater auf einem Bauernhof aufgewachsen ist.
Im Gratulationsschreiben lud die Gemeinde «ihren» Bundesrat zu einem Besuch ein. Ein idealer Zeitpunkt für einen Abstecher in den Ort, der zwischen dem Hallwiler- und dem Baldeggersee liegt, wäre der vergangene Dienstag gewesen. An der Gemeindeversammlung von Hitzkirch hätte der neue Justizminister einen tiefen Einblick in die Mühsal des Asylwesens auf kommunaler Ebene erhalten.
Zu wenig Wohnraum
Konkret ging es an der Versammlung um das ehemalige Schulhaus von Mosen, wo einige Verwandte von Beat Jans einen Teil ihrer Schulzeit abgesessen haben dürften. Im Herbst 2022 entschied der Gemeinderat, das inzwischen als Vereinslokal genutzte Gebäude temporär in eine Asylunterkunft umzubauen. Dies, nachdem der Kanton Luzern der 6000 Einwohner zählenden Gemeinde 136 Flüchtlinge zugewiesen hatte. Gleichzeitig führte der Kanton ein Malussystem ein. Für jeden Asylsuchenden, der nicht untergebracht werden könnte, hätte die Gemeinde 40 Franken pro Tag und Platz bezahlen müssen.
Alle Versuche, die Flüchtlinge in privaten Wohnungen oder Hotels unterzubringen, hatten nichts genutzt, um genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. So dass schliesslich das gemeindeeigene Schulhaus genutzt werden sollte. Dies liess sich Astrid Mühlebach nicht gefallen. Die Postangestellte ist Präsidentin des Verkehrsvereins Mosen, der die Räumlichkeiten der Schulanlage seit einigen Jahren gratis nutzen darf. «Vereine sind mir wichtiger als Flüchtlinge», erklärte Astrid Mühlebach im Februar 2023, als sie die NZZ auf dem Höhepunkt der Kontroverse zum Gespräch traf.
Mühlebach, die auch im Vorstand der lokalen SVP sitzt, liess es nicht bei blossem Reden, sondern startete eine Initiative. Die Forderung des im April 2023 mit 781 Unterschriften eingereichten Volksbegehrens: Schul-, Sport- und Freizeitanlagen der Gemeinde Hitzkirch dürfen nicht als Unterkünfte für Asyl- und Schutzsuchende zur Verfügung gestellt werden. Auch nicht vorübergehend. Am Dienstagabend hatten die Hitzkircher und Hitzkircherinnen darüber zu entscheiden.
Das Hauptinteresse in der bis auf den letzten Platz gefüllten Turnhalle galt Astrid Mühlemann, die mit einem Teil ihrer Unterstützer in der ersten Reihe sass. Auch sie sprach bei ihrem Auftritt vom Fingerspitzengefühl. Allerdings vom mangelnden. «Mosen ist nicht gegen Flüchtlinge. Wir haben ein offenes Herz», erklärte sie. Das unsensible Vorgehen des Gemeinderats, der die betroffenen Vereine vorab nicht informiert habe, habe erst zum Widerstand in Teilen der Bevölkerung geführt. Die geplante Umnutzung widerspreche der Gemeindestrategie, die ausdrücklich die Förderung von Vereinen vorsehe.
Der Gemeinderat hatte sich in den vergangenen Monaten bemüht, die hochgehenden Wogen zu glätten. Er präsentierte einen Gegenvorschlag zur Initiative. Dieser sah vor, dass Asyl- und Schutzsuchende vorübergehend in Schul- und Freizeitanlagen untergebracht werden dürfen, wenn den von dieser Massnahme betroffenen Vereinen und Institutionen eine angemessene Alternative angeboten werden kann. «Die Wichtigkeit der Vereine ist unbestritten», erklärte Gemeinderätin Rebekka Renz. «Doch in einer Notlage müssen wir unsere rechtlichen und humanitären Pflichten wahrnehmen.»
Vor Beginn der offenen Diskussion mahnte Gemeindepräsident David Affentranger die Teilnehmer zur Zurückhaltung. «Bleiben Sie bitte sachlich. Es geht hier nicht um die nationale oder kantonale Asylpolitik. Wir entscheiden nur, wie Hitzkirch mit diesen Problemen umgeht.» Doch wie Hitzkirch sehen sich derzeit sehr viele Gemeinden im ganzen Land mit der Herausforderung konfrontiert, dass sie ständig neue Asylsuchende aufnehmen müssen – häufig bei einem ohnehin prekären Wohnungsmarkt. Das führt zu Unmut, nicht nur in Gemeinden wie Boudry (NE) oder Steckborn (TG), auf deren Gebiet nationale Asylzentren stehen.
Den Aufruf hätte es nicht gebraucht. Die Meinungen im Saal waren gemacht und die Diskussion kurz. Schliesslich stimmten 99 der Anwesenden für das Verbot der Unterbringung von Asylbewerbern. Nur 67 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gaben der Variante des Gemeinderats den Vorzug. Dies, obwohl die FDP und die Mitte-Partei sich für diesen Gegenvorschlag eingesetzt hatten.
Druck auf Gemeinde bleibt hoch
Flüchtlinge wären im ehemaligen Schulhaus Mosen ohnehin nicht untergebracht worden. Bereits im August 2023 hatte der Kanton Luzern nämlich die Notlage im Asylwesen für beendet erklärt und damit den Druck auf Hitzkirch und andere Gemeinden gelockert. Kurz darauf zog der Gemeinderat das Baugesuch für die Umnutzung des Schulhauses zurück.
Doch bekanntlich haben die Asylzahlen seither nicht abgenommen, so dass der Gemeindepräsident nicht ausschloss, dass sich Hitzkirch bald wieder in einer ähnlichen Lage befindet wie vor anderthalb Jahren. Nach dem Entscheid von Dienstagabend dürfte die Suche nach Wohnraum für die der Gemeinde zugeteilten Asylsuchenden noch etwas schwieriger werden. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis wieder Aufrufe an die Bevölkerung ergehen oder vielleicht sogar ein Containerdorf errichtet werden muss. David Affentranger wird diesen Punkt sicher ansprechen, wenn Beat Jans seinen Heimatort in nächster Zeit einmal besuchen sollte.