Die Aktienkurse von Schweizer Chip-Zulieferern wie VAT und Comet lassen einen Boom vermuten. In Wahrheit wartet die Industrie noch auf den Aufschwung. Am Entwickler U-Blox geht die Euphorie gar ganz vorbei, obwohl er ein Weltmarktführer ist.
Smart sind Smartphones schon, bald sollen sie auch intelligent sein. Zum Beispiel mit Simultandolmetschen während eines Telefongesprächs: Man spricht Deutsch ins Handy hinein, und am anderen Ende hört der Gesprächspartner Französisch. Oder indem das Smartphone aus mehreren schlechten Schnappschüssen ein grosses, perfektes Bild erstellt. Möglich machen soll das die künstliche Intelligenz (KI).
Die Börse greift vor: Aktien nahe am Rekordstand
Zu sehen waren diese Anwendungen vor wenigen Tagen an der weltgrössten Mobilfunkmesse, MWC, in Barcelona. Es sind weitere Beispiele für die Begeisterung rund um KI – und weil diese intelligente Software viel Rechenleistung braucht, ist auch die Euphorie in der Chip-Branche nur schwer zu bremsen. Das treibt die Aktienkurse des spezialisierten Chip-Herstellers Nvidia oder von TSMC, dem weltgrössten Auftragsfertiger. Seit Jahresbeginn schiessen ihre Notierungen durch die Decke.
Doch auch in der Schweiz werden die grossen Erwartungen in Kursgewinne umgemünzt. Valoren der Zulieferer Comet und VAT notieren wieder nahe an den Rekordhochs, die sie Ende 2021 erreicht hatten – und haben damit ihren Wert seit Mitte 2022 mehr als verdoppelt. VAT mit Sitz im St. Galler Rheintal stellt Vakuumventile her, die für Chip-Produktions-Anlagen benötigt werden. Comet aus dem Kanton Freiburg liefert Röntgentechnologie für diese Maschinen.
Wenn die Chip-Hersteller ihre Fertigung ausbauen und modernisieren, erhalten die Schweizer Firmen Aufträge. In der Halbleiterbranche wird die Vision gepflegt, bis 2030 eine 1000-Milliarden-Dollar-Industrie zu werden. «KI wird dabei einer der wichtigsten Trends sein und die allermeisten Bereiche erfassen. Das Ausmass der benötigten Hardware ist schier unvorstellbar», sagte in dieser Woche der Comet-Chef Stephan Haferl bei der Vorstellung des Geschäftsabschlusses für 2023.
VAT und Comet wollen aus dem Tief heraus
«Es wird phantastisch für uns», sagte auch der VAT-Chef Urs Gantner mit Blick auf den Bedarf für die Produktion einer neuen Generation von Logik- und Speicherchips. Zugleich riet Gantner zur Besonnenheit: «Im Moment redet jeder über KI, es ist ein Hype. Wir hatten schon andere Hypes.» Noch sei es schwer zu bestimmen, was am künftigen Bedarf an Hochleistungschips auf die künstliche Intelligenz zurückzuführen sein werde.
Tatsächlich wird an der Börse viel vorweggenommen, was sich in den Auftragsbüchern erst materialisieren muss. TSMC hofft darauf, dass KI-Prozessoren in den kommenden fünf Jahren bis zu 20 Prozent des eigenen Umsatzes ausmachen werden. Nach der Präsentation der KI-Anwendungen für Smartphones in Barcelona resümierte die UBS: Noch sei nicht erkennbar, dass dies eine Erneuerungswelle bei den Geräten auslöse.
Zunächst muss sich die Chip-Branche ohnehin aus einem Tal herauskämpfen. Der Umsatz von VAT ist vergangenes Jahr um 23 Prozent auf 885 Millionen Franken eingebrochen, jener von Comet um 32 Prozent auf 398 Millionen Franken. Dies deshalb, weil die Aufträge massiv zurückgegangen waren. Comet und VAT reduzierten die Belegschaft um rund einen Zehntel, meist in Form von Temporärarbeitskräften, und führten Kurzarbeit ein.
Diesmal war der Abschwung besonders hart
Das sind eingespielte Mechanismen in der Branche. Die Halbleiterindustrie ist sehr stark zyklisch geprägt: Im Boom bauen die Chip-Hersteller Produktionskapazitäten auf, die sie im Abschwung nicht mehr auslasten können. Durch die Corona-Pandemie wurde dieses Auf und Ab noch verstärkt, weil die Lieferketten aus dem Takt kamen. Um die Produktion aufrechtzuerhalten, als alle Welt Elektronikgeräte und Computer kaufen wollte, bestellten die Chip-Hersteller zu viele Vorleistungen – in der Hoffnung, dass ein Teil davon schon zu ihnen durchkommen werde.
Als die Lieferprobleme schwanden und immer mehr Bestellungen eintrafen, mussten sie grosse Lager aufbauen. Auf den Corona-Boom folgte der Abschwung. Dabei wurden zunächst die Lager geleert, was den Einbruch bei den Chip-Zulieferern noch verstärkte. Die Folgen sind deutlich: Für VAT resultierte im Jahr 2023 ein Betriebsgewinn (Ebitda) von nur 271 Millionen Franken, ein Rückgang um einen Drittel. Bei Comet gab der operative Gewinn um 62 Prozent auf 45 Millionen Franken nach.
Nun herrscht wieder Optimismus – aber auch Unsicherheit, unter anderem wegen politischer Spannungen zwischen den USA und China sowie der möglichen Entwicklung der Inflation. Die Schätzungen für Investitionen in die Halbleiterproduktion in diesem Jahr gehen weit auseinander. Bei Comet sieht man den Wendepunkt für das eigene Unternehmen im letzten Quartal 2023 erreicht und erwartet im zweiten Halbjahr 2024 einen beschleunigten Aufwärtstrend. VAT sieht es ähnlich – hält aber für 2025 wieder ein Rekordjahr für möglich.
U-Blox muss auf die Euphorie warten
Sich diesem Zyklus zu entziehen, müsste ein Segen sein, reicht aber allein nicht aus. Das wissen die Aktionäre von U-Blox, einem Schweizer Chip-Entwickler aus Thalwil am Zürichsee. Die Produkte von U-Blox sind Spezialchips, etwa zur Verbindung von Elektronikgeräten im sogenannten Internet der Dinge oder zur Positionierung mit Ortungssystemen wie GPS. Bei Chips für die Standortbestimmung ist das Unternehmen Weltmarktführer.
Verglichen mit der Achterbahnfahrt beim Rest der Branche ist dieses Geschäft halbwegs stabil: Der Umsatz von U-Blox fiel vergangenes Jahr nur um 8 Prozent auf 577 Millionen Franken, wie das Unternehmen am Mittwoch meldete. Dass beim Betriebsergebnis (Ebit) ein Verlust von 3 Millionen Franken entstand, ist einem Abschreiber zuzuschreiben. U-Blox hat die Entwicklung von Mobilfunk-Chips aus Kostengründen aufgegeben. Analytiker haben die Fokussierung begrüsst.
Doch der Aktienkurs steht nur etwa so hoch wie vor fünf Jahren. U-Blox ist in Segmenten aktiv, in denen anders als bei KI noch nicht die grosse Phantasie der Anleger herrscht: etwa dem autonomen Fahren. Wenn Autos sich selbst ihren Weg suchen, werden die sehr präzisen und sicheren Chips zur Standortbestimmung gefragt sein. Aber für den Moment verschlingt die Forschung und Entwicklung viel Geld. Die Firma hat mehrmals die selbstgesteckten Ziele verfehlt.
Kein Entkommen vom Lagerzyklus
Gleichzeitig kann auch U-Blox nicht dem Lagerzyklus entkommen. Im vergangenen Jahr halfen langfristige Abnahmeverträge, dass man mit einem blauen Auge davonkam. Aber diese Mengen liegen nun erst recht in den Lagern der Kunden. Darum dürfte der Tiefpunkt für U-Blox erst im ersten Quartal 2024 erreicht worden sein.
Der Firmenchef Stephan Zizala beschwor am Mittwoch das Mantra, das im Halbleiterzyklus regelmässig ertönt: Am wichtigsten sei, dass man stärker aus dem Abschwung herausgeht, als man hineingegangen ist.