Islamistische Prediger ködern junge Menschen mit Alltags-Tipps, die sie mit Hassbotschaften verknüpfen. Auf Plattformen wie Tiktok haben sie Millionen Follower. Das erstmals veröffentlichte Lagebild Islamismus in Nordrhein-Westfalen zeigt die Methode.
Die Strategie ist simpel, aber umso erfolgreicher. In schnell geschnittenen Videos verkünden Moderatoren, die sich wie Kumpels geben, antisemitische Botschaften, preisen den Jihad und rufen zur Gewalt gegen Juden auf. Nichts selten bekommen solche Hassprediger zehn Millionen Aufrufe auf Tiktok, die Videos werden auf Youtube 15 Millionen Mal abgerufen.
Das am Dienstag vorgestellte Lagebild Islamismus in Nordrhein-Westfalen beschreibt so eine gängige Methode, mit der Jugendliche und junge Erwachsene aus «schwierigen persönlichen Verhältnissen» angeworben werden.
«Das Internet wird mehr und mehr zum Hochleistungsmotor für Radikalisierung», sagt Nordrhein-Westfalen Innenminister Herbert Reul. Mit Gangster-Image und Erfahrungen im Kampfsport buhlten diese Lifestyle-Islamisten um die Aufmerksamkeit der jungen Menschen. «Der Islamismus ist weiter auf dem Vormarsch», betont der Christlichdemokrat.
Anstatt religiöser Predigten, werden in den sozialen Medien geschickt vermeintlich lebensnahe Themen mit Hassbotschaften verknüpft, die dann umgangssprachlich kommuniziert werden. So tritt einer der populärsten Prediger Dehran Asanov, auch bekannt als Abdelhamid, betont locker, oft in Sportkleidung, auf. Er wirbt in «leicht zugänglicher Weise» für einen extremistisch-salafistischen Islam und hat in der jüngsten Vergangenheit erheblich an Reichweite gewonnen, wie es in dem Bericht heisst.
Eine seiner Botschaften: Frauen seien Männern untergeordnet, dürften ihnen nicht widersprechen und hätten sich vollständig zu bedecken. Auf TikTok hat er mehr als 465 000 Follower. Auch Islamistenprediger Pierre Vogel, der eine Weile nicht öffentlich auftrat, ist laut Verfassungsschutz wieder aktiv geworden.
Islamistisch motivierte Straftaten haben sich verfünffacht
In Nordrhein-Westfalen stellt laut Lagebericht der Islamismus im Bereich des politischen Extremismus die grösste Gefahr für Menschenleben dar. Islamistisch motivierte Straftaten waren 2023 im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 305 Fälle angestiegen und haben sich damit mehr als verfünffacht. Besonders nach dem Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober war die Zahl der Straftaten nach oben geschnellt. Egal welcher Gruppierung die islamistischen Akteure angehören, sie eint der Judenhass und die aggressive Ablehnung des Staates Israel.
Dabei wird eine perfide Strategie deutlich. «Islamisten instrumentalisieren den blutigen Konflikt nicht nur, um ihre Kernklientel anzusprechen, sondern auch, um in der Mitte der Gesellschaft um Solidarität mit Palästina zu werben», sagt Reul. In vielen Fällen verberge sich unter dem Deckmantel der Solidarität aber nichts Anderes als Judenhass. Das Agieren der Hassprediger im Netz ist geschickt: Strafrechtlich relevante Äusserungen werden laut Lagebild im öffentlichen Raum bewusst vermieden.
Auch neue Verbindungen zwischen Islamisten und Clans beobachtet der Verfassungsschutz. So nutzen extremistische Salafisten das Clan-Umfeld gezielt, um Propaganda zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen. Dabei gehe es ihnen um «Glaubwürdigkeit auf der Strasse».
Aktuell sind 2600 extremistische Salafisten in Nordrhein-Westfalen nachrichtendienstlich bekannt. Davon gehören 2000 dem politischen und 600 dem gewaltorientierten Spektrum an, wie es im Lagebericht heisst. Die «abstrakte Gefahr für terroristische Anschläge» durch islamistisch motivierte Extremisten beschreibt der Verfassungsschutz als hoch.
Salafisten relativieren und legitimieren Gewalt
Die grösste Bedrohung geht dabei vom Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISPK) und selbst radikalisierten Einzeltätern aus. Terrorexperten warnen schon länger vor dem IS-Ableger, der auch den Terroranschlag in Moskau im April für sich proklamierte. Sie halten die Terrororganisation für fähig, im Westen grosse koordinierte Anschläge auszuführen.
Die Hauptaktivität politischer Salafisten besteht in der Missionierungsarbeit, dem Gewinnen neuer Anhänger und der Verbreitung eines extremistischen Islamverständnisses. Gewalt wird zur Umsetzung der Ziele in Deutschland zwar nicht eingesetzt, aber auch nicht eindeutig abgelehnt. Sie «relativieren und legitimieren diese als ‹Verteidigung› oder ‹Gegenwehr›», heisst es in dem Bericht. Der Übergang zwischen dem politischen und jihadistischen Salafismus wird deshalb als fliessend eingestuft.
Der Jihadismus gilt als gewaltbereit. Beide Strömungen haben jedoch ein verfassungsfeindliches Islamverständnis und streben die Errichtung eines «islamischen» Staates nach dem Vorbild des früheren IS an.