Im Kampf gegen die AfD wollten sich die Festivalmacher profilieren. Dass sie linker Israel-Verachtung Tür und Tor öffneten, schien sie weniger zu beschäftigen.
Nach der Documenta jetzt also die Berlinale: Deutschlands Kulturszene bietet weiter Hand, um sich an Israel abzuarbeiten. Bei der Verleihung der Goldenen Bären am Samstagabend versicherten sich die Preisträger praktisch reihum ihrer Solidarität mit Palästina. Damit einher ging Israel-Hass auf offener Bühne.
Zu den harmlosen Accessoires, mit denen sich auch Jurymitglieder schmückten, gehörten Pins und Aufkleber mit Waffenstillstandsforderungen, die sich selbstredend einseitig an Israel richten. Vor allem aber wurde von Filmemachern die wirkmächtigsten Vorwürfe durchbuchstabiert: Apartheid. Genozid. Der Berlinale-Abschluss war eine abendfüllende Gala für Palästina. Im Publikum wurde viel applaudiert, auch von Claudia Roth.
Inzwischen hat es sich die Kulturstaatsministerin anders überlegt: Nach einem Tag Bedenkzeit verurteilte sie am Montag den Israel-Hass. Ein stärkeres Zeichen wäre es gewesen, die Veranstaltung frühzeitig zu verlassen. Auch die Gute-Laune-Moderatorin Hadnet Tesfai und die Festivalleitung müssen sich die Frage gefallen lassen, wieso sie nicht intervenierten.
Keiner der ausgezeichneten Filmemacher fand das Massaker vom 7. Oktober eine Erwähnung wert, das Schicksal der israelischen Geiseln schien auf der Bühne niemanden zu beschäftigen. Immerhin die Geschäftsführerin der Festspiele, Mariette Rissenbeek, erwähnte die Hamas, wenn auch notdürftig in einem Nebensatz. Der künstlerische Leiter Carlo Chatrian verpasste seinerseits die nächste Gelegenheit, wenigstens auf David Cunio aufmerksam zu machen: Der Israeli war vor zehn Jahren als Schauspieler in «The Youth» auf der Berlinale vertreten; am 7. Oktober wurde er von Hamas-Terroristen entführt, bis heute ist er in Geiselhaft. Die Berlinale, sonst nie um ein Statement in politischer Sache verlegen, sah hier offensichtlich keinen Bedarf.
Überraschend ist die israelkritische Schlagseite beim Filmfestival nicht. Am Potsdamer Platz kommt vieles zusammen. Angefangen damit, dass er in Berlin liegt: Berlin ist mittlerweile eine Stadt, in deren Strassen einem Träger des Palästinensertuchs auf die Schulter geklopft wird. Der Träger einer Kippa kriegt eher einen Schlag ins Gesicht.
Dann hat die Berlinale beschlossen, in diesem Jahr alle Energien für den Kampf gegen die AfD zu verwenden. Mit dem Aufruf «No Racism, no AfD» wurde auch bei der Preisverleihung am Samstagabend der Bühnenhintergrund bespielt. Mit dem Protest «gegen rechts» holte sich das Festival den Applaus aus der linken Kulturszene. Ein entschiedenes Auftreten auch gegen muslimischen und linken Antisemitismus hätte mehr Mut erfordert.
Dass im Berlinale Palast eine antiisraelische Stimmung herrschte, hat aber auch mit der Filmauswahl zu tun. Aktivismus steht im Kurs: Der amerikanische Experimentalfilmer Ben Russell, mit einer Arbeit über französische Landbesetzer-Aktivisten ausgezeichnet, wird gleichsam als das Gesicht der Pro-Palästina-Bewegung in Erinnerung bleiben. Russell, der sich das Palästinensertuch besonders schön über die Schultern geworfen hat, ist ein Festivalliebling. Er bezeichnet seine Arbeiten als «psychedelische Ethnografie». Man könnte auch sagen: Sein Blick auf andere Kulturen ist benebelt.
Oder der palästinensische Dokumentarfilm «No Other Land»: Wie er brutale israelische Räumungen im Westjordanland einfängt, ist eindringlich. Doch das israelisch-palästinensische Kollektiv dahinter versteht sich nach eigener Aussage als Aktivisten. Aktivismus ist naturgemäss einseitig. Man kann einen solchen Film zeigen, hätte ihn jedoch kritisch in einen Gesprächsrahmen einbetten müssen. Nun prämierte eine Jury «No Other Land» sogar als besten Dokumentarfilm. Manchmal nehme einen ein Film «jenseits von ästhetischen oder formalen Kriterien» mit, begründeten die Preisrichter ihre Auswahl. Darin zeigt sich exemplarisch der Geist an der Berlinale: Aktivismus wird gefeiert, die Filmkunst ist zweitrangig.