Sonst weiss er immer eine Geschichte, doch das wuchtige Nein zur neuen Kantonsverfassung macht auch den redseligsten Walliser sprachlos.
Im Wallis werden dieser Tage wieder einmal die historischen Daten hervorgekramt. Das am häufigsten genannte: 1907. Von dann stammt die heutige Kantonsverfassung, was sie zu einer der schweizweit ältesten macht.
Nun hätte sie totalrevidiert werden sollen – doch der Plan scheiterte am Sonntag krachend. Mit über 57 Prozent sagte die Stimmbevölkerung Nein zum neuen Grundgesetz. Die viereinhalbjährige Arbeit des eigens gewählten Verfassungsrats ist zumindest vorderhand Makulatur.
Besonders frappant: Sogar im französischsprachigen Unterwallis fand die Vorlage keine Mehrheit. Wie es nun weitergeht, das weiss zum jetzigen Zeitpunkt niemand – möglich ist, dass einzelne Bestandteile in Gesetze oder in Teilrevisionen der bestehenden Verfassung aufgehen. Klar ist einzig: So schnell wird es im Wallis keine Totalrevision mehr geben.
Die einflussreiche Familie
1907 ist selbstverständlich auch für den Historiker Philippe Bender ein Meilenstein. Doch wer sich mit ihm unterhält, sieht vor lauter Jahreszahlen die Bäume im (Pfyn-)Wald kaum mehr: die Schlacht auf der Planta zwischen den Savoyern und den Eidgenossen (1475), der Aufstand gegen die Oberwalliser zum Ende des Ancien Régime (1798), der Beitritt zur Eidgenossenschaft natürlich (1815).
Dazwischen flicht Bender, der selbst aus einer einflussreichen Walliser Familie stammt (sein Vater Arthur war langjähriger Staatsrat, sein Bruder Léonard Vizepräsident der FDP Schweiz), am Laufmeter Anekdoten ein – über den Stammbaum der Zen Ruffinen über das Immobilienimperium von FC-Sion-Präsident Christian Constantin bis zum richtigen Oechslegrad des Dôle (er ist selbst Hobbywinzer). Und das gerne auf allen möglichen Vektoren.
Der 73-Jährige tritt derart häufig in den lokalen und regionalen Medien auf, dass man sich im Wallis zuweilen darüber lustig macht. Das einzig Gute an der Verfassungsabstimmung sei, dass Bender danach am TV «von der legendären Debatte von 1931 zwischen Camille Crittin und Joseph Kuntschen im Schloss Turtmann» erzählen könne, schrieb am Sonntag jemand ironisch auf X. Auch in seinem Hausblatt, dem freisinnigen «Confédéré» aus Martinach, holt er gerne aus. Geht man mit ihm durch Unterwalliser Dörfer, kommt man keine hundert Meter weit, ohne dass ihn jemand grüsst.
Kurz: Es gibt nur wenige Themen mit Walliser Bezug, zu denen sich Bender nicht äussern würde. Er tut dies so wortgewaltig, mit verschmitzten Augen und der Wucht seines ganzen Körpers, dass er kaum zu stoppen ist. Alles scheint Sinn zu ergeben, alles wirkt kohärent – bis einen zuweilen Zweifel beschleichen, ob sich die (Walliser) Welt wirklich so linear entwickelt hat.
Mal überzeugend, mal unberechenbar
Dieser Philippe Bender, er gehört am Tag nach dem historischen Volksentscheid zu den grossen Verlierern: Der FDP-Mann war selbst einer der 130 Verfassungsräte, die in monatelanger Kleinarbeit Artikel um Artikel ausformuliert haben. Ziemlich sicher war er im Gremium derjenige mit der meisten Redezeit – mal überzeugend, mal erratisch und unberechenbar. Unbemerkt blieb der langjährige Mitarbeiter des Roten Kreuzes jedenfalls nicht.
Umso mehr schmerzt ihn nun das Verdikt der Bevölkerung, die er so gut zu kennen dachte. «Natürlich trifft es mich auch persönlich», sagt er. Er bedauert, dass insbesondere im deutschsprachigen Oberwallis identitäre Komponenten die Diskussion dominiert hätten. «Als ginge es darum, den besten Walliser oder die beste Walliserin zu finden», sagt er.
Was aber hat den Ausschlag gegeben, dass gar der französischsprachige Kantonsteil den Text bachab schickte? Die befürchteten Zusatzausgaben, der Umfang, die zeitgeistigen Themen? «Darüber muss ich nun einen Monat nachdenken», sagt er. Es ist ein Satz, der so gar nicht zu Bender passt.