Die SBB schaffen es immer wieder einmal, in ihren Speisewagen Schweizer Spezialitäten in den Sand zu setzen. Machen’s die Österreicher besser? Ein kleiner Ländervergleich auf Schienen anhand der zwei berühmtesten Nationalgerichte.
Zuletzt ging es hier um Kulturaustausch – jüngst beim Fondueplausch in Zürich, davor im Wiener Nachtleben. Nun führen wir die beiden Fäden zusammen, assistiert von Väterchen Zufall: Er will es, dass die Staatsbahnen beider Länder zurzeit die gloriose Idee umsetzen, das jeweils berühmteste Nationalgericht im Speisewagen anzubieten. Da drängt sich ein Vergleich auf.
Zu diesem Zweck habe ich bei der Reise in die österreichische Hauptstadt im Railjet mit einiger Skepsis das Wiener Schnitzel (Fr. 14.80) geordert: Schaffen die ÖBB, die uns vor Jahren mit ihrem «Mehrkomponenten-Frühstück» im Nachtzug beeindruckt haben, das Kunststück, das Austria-Signature-Dish einigermassen adäquat aufzugleisen?
Eine sympathische Angestellte mit ungarischen Wurzeln bringt uns das Bestellte an den Platz und betont strahlend, es frisch zubereitet zu haben. Damit meint sie, wie sich herausstellt, dass sie das vorgefertigte Produkt im Backofen und nicht in der Mikrowelle aufgewärmt hat. Eine solche komme ihr auch daheim nicht ins Haus.
Nun ja, nehmen wir das Fazit vorweg: «Schwein drin, Schwamm drüber.» Auf dem Teller drängen sich traurig und trocken ein paar Petersilien-Kartöffelchen um einen Fleischlappen mit lascher Panade; in der Mitte weicht ein Zitronenschnitz sie ganz auf, dafür wird sie zu den Rändern hin spröde. Im Vergleich zu Kalbs-Pendants im einzigartigen Wiener «Steirereck» oder im darauf spezialisierten «Meissl & Schadn» fällt das ÖBB-Schnitzel ohnehin komplett durch. Keine Steigerung des Genusses bringt leider die Nachspeise, sie erweist sich als Waschlappen trotz klingendem Namen: Palatschinken (Fr. 10.10) mit Hagebuttensauce.
Als hungriger Liebhaber des Reisens auf Schienen lasse ich mich noch nicht entmutigen. So bestelle ich ein paar Tage später mit an Dummheit grenzender Kühnheit in einem SBB-Intercity das Mini-Fondue (Fr. 14.90), das dort zurzeit «für den kleinen Hunger» angeboten und mit dem Slogan «Swissness pur» beworben wird.
Dass SBB-Speisewagen trotz Stofftischtüchern den Charme eines Operationssaals verbreiten, muss noch nichts bedeuten: Gemäss meiner Überzeugung schmeckt ein Fondue immer und überall, solange die Qualität stimmt. Aufs Tischchen kommt jedoch ein gewärmtes Fertigprodukt der Firma Gerber, das man bei Coop für einen Fünfliber erhält. Immerhin ist vor dem Servieren der Deckel entfernt und der Kunststoffbecher in einem Glasschälchen versteckt worden.
Der Inhalt schmeckt, nun ja, halt wie geschmolzene Gerberkäsli, plus das zu dominante Aroma alkoholischer Zutaten. Es gibt üblere Massenware, klar, diese hat keine Konservierungsstoffe und eine sämige Konsistenz (dank dem Einsatz von Schmelzsalz). Und immerhin belästigt das lauwarme Gericht den Geruchssinn der Mitreisenden nicht. Aber beim Betrachten des Becherrands, an dem die Masse unappetitlich eingetrocknet ist, sehnt man sich nach einer richtigen Kruste auf dem Boden eines Caquelons.
Kurz: Diese überflüssige Leistung wird hoffentlich nicht mit «Swissness pur» gleichgesetzt. Das Ergebnis ist ein Abklatsch im Vergleich zu erstklassigen Fondues, wie es in Zürich etwa «Le Dézaley» auftischt. Den übelsten Fehlgriff aber leistet sich der SBB-Caterer Elvetino mit dem Brot zum Tunken: Es ist ein weiches, süssliches Weissbrot ohne Charakter und Kruste, dafür mit einem Bauchmuskel-Sixpack wie die Mini-Ausgabe eines Tessinerbrots. Das ist etwa so passend, wie zur Bergwanderung in den Rucksack eine Crèmeschnitte zu packen.
Auf ein Caramelchöpfli verzichte ich zugunsten einer hiesigen Süssware, die mich nicht enttäuschen kann: Die «Swiss Military Biscuits» (Fr. 4.50) sind so staubtrocken, wie ich sie von der Rekrutenschule in Erinnerung habe. Als Imbiss auf Schienen sind sie sinnvoller als ein husch, husch gewärmtes Fondue oder ein «Tessiner Risotto», das die SBB vor einigen Jahren boten: Sie priesen ihren Reis auf Reisen als «sämig, köstlich, einzigartig» an – und verkochten ihn so tüchtig, dass die Konsistenz an Porridge erinnerte. Immerhin hat man dazugelernt: Gerade bieten die SBB wieder «Tessiner Wochen», mit Polenta und Minestrone, das könnte auch aufgewärmt funktionieren.
Bleibt die Frage, ob die Bundesbahnen von Österreich und der Schweiz dem Tourismus einen Gefallen tun, wenn sie unter den beschränkten Bedingungen einer Bordküche dafür ungeeignete Nationalspeisen auf ein solches Niveau senken. Wird damit nicht vielen die Lust verdorben, diese später in einem Wirtshaus der Reisedestination zu bestellen?
Bordrestaurants
ÖBB-Railjet, Strecke Zürich–Wien
SBB-Speisewagen, Strecke Zürich–Bellinzona
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.