Die Transgender-Rechte stehen in den USA unter Druck. Konservative Gliedstaaten schränken den Zugang zu Therapien zunehmend ein. Wie eine Anhörung nun zeigt, haben sie den Supreme Court wohl auf ihrer Seite. Und auch Trump erwägt landesweite Anti-Trans-Massnahmen.
Transgender-Personen in den USA sind eine kleine Minderheit – schätzungsweise rund 1 Prozent der Bevölkerung. Doch gemäss Erhebungen ist ihr Anteil vor allem unter Teenagern in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Ihre Zahl hat sich zwischen 2017 und 2020 verdoppelt. Der Trend löste eine konservative Gegenbewegung aus, die bisher vor allem in den Gliedstaaten zu Gegenmassnahmen führte.
Die Zahl der sogenannten «Anti-Trans-Gesetze» ist in den vergangenen drei Jahren regelrecht explodiert. Im Jahr 2021 diskutierten die lokalen Parlamente lediglich 143 solche Vorlagen und verabschiedeten 18 von ihnen. Im laufenden Jahr sind es bis jetzt 669, wobei 48 von ihnen in Kraft gesetzt wurden. Die Mehrheit dieser Gesetze betreffen einerseits die Bildungspolitik und anderseits die Gesundheitspolitik. Sie schränken etwa die Diskussionen über Geschlechtsidentitäten im Schulunterricht ein. Sie verbieten es, Trans-Schüler bei ihrem gewünschten Namen zu nennen. Oder sie verpflichten Lehrer, die Eltern zu informieren, sollte ein Kind sich als transgender outen. Vor allem aber limitieren sie oft den Zugang zu geschlechtsverändernden Therapien oder Operationen für Minderjährige.
Eine Frage für Politiker, nicht für Richter
Im Frühjahr 2023 verabschiedete auch Tennessee ein solches Verbot. Medizinische Prozeduren, welche das «hormonelle Gleichgewicht» veränderten oder Geschlechtsorgane entfernten, seien für Minderjährige schädlich, heisst es in dem Gesetzestext. Durch solche Behandlungen könnten sie ihre Fruchtbarkeit verlieren oder diese könnten «fatale psychologische Folgen» haben. Viele Personen würden solche Eingriffe später als Erwachsene bereuen.
Mehrere Familien mit Transgender-Kindern klagten indes gegen das Gesetz. Sie sehen eine positive Wirkung in den Hormontherapien. Präsident Bidens demokratische Regierung unterstützte die Klage. Am Mittwoch konnte die Generalanwältin des Justizministeriums, Elizabeth Prelogar, bei einer Anhörung vor dem Supreme Court die Argumente der Kläger präsentieren. Prelogar versuchte die Richter allerdings nicht in erster Linie mit medizinischen Überlegungen zu überzeugen. Sie stützte sich auf das in der Verfassung verankerte Prinzip der Gleichstellung vor dem Gesetz. Tennessee diskriminiere Transgender-Personen auf der Grundlage ihres Geschlechts, meinte Prelogar. Der Gliedstaat könne allgemein zugelassene Therapien nicht für minderjährige Transgender-Personen verbieten, während er diese für die Behandlung anderer Krankheiten erlaube.
Dieses Argument schien bei den mehrheitlich konservativen Richtern jedoch nicht zu verfangen. Das Gesetz betreffe Buben und Mädchen auf gleiche Weise, meinte Amy Coney Barrett. Beiden werde die Möglichkeit einer Transition zu einem anderen Geschlecht verwehrt. Für Brett Kavanaugh scheint es sich derweil um eine Streitfrage zu handeln, die nicht von Richtern entschieden werden sollte. «Kinder werden auf die eine oder andere Weise darunter leiden.» Kavanaugh erinnerte an das erhöhte Risiko von Depressionen und Selbstmordgedanken bei Transgender-Kindern, aber auch an jene, welche ihre Transition später bereuen. «Wie sollte sich das Gericht zwischen diesen beiden Gruppen entscheiden? Warum sollte das nicht eine Wahl für Politiker sein?»
Ähnlich argumentierte auch der Vorsitzende Richter John Roberts. Die neun Richter des Supreme Court sollten sich nicht in diesen politischen Streit einmischen: «Nach meinem Verständnis überlässt die Verfassung diese Frage den Volksvertretern, vielmehr als neun Leuten, von denen keiner ein Arzt ist.» Dies deutet darauf hin, dass die konservative Richtermehrheit im nächsten Sommer die Klage ablehnen wird. Dies wiederum würde die Tür für weitere «Anti-Trans-Gesetze» in den Gliedstaaten offen halten. Bisher haben über 20 Teilstaaten solche Vorlagen in Kraft gesetzt.
Trump will «linken Gender-Irrsinn» stoppen
Trotzdem gab sich der Anwalt der klageführenden Familien, Chase Strangio, nach der Anhörung optimistisch. Ihr Kampf habe nicht heute begonnen und werde auch nicht im nächsten Juni enden, was auch immer das Gericht entscheide. «Unsere Macht wird weiter wachsen», meinte Strangio, der selbst ein Transgender-Mann ist.
Künftig müssen Strangio und seine Mitstreiter jedoch auch mit wachsendem Widerstand aus dem Weissen Haus rechnen. Donald Trump und sein Wahlkampfteam haben im Wahlkampf viele Millionen Dollar für Transgender-kritische Werbung ausgegeben. Er hat damit gedroht, Bundesgelder für Schulen und Spitäler zu streichen, welche die Idee von Geschlechtsumwandlungen verbreiteten oder sie operativ durchführten. Zudem kündigte er Klagen gegen Ärzte an, welche solche Prozeduren an Minderjährigen durchführten. Trump versprach, die «chemische, physische und emotionale Verstümmelung unserer Jugend zu stoppen».
Wie er seinen Plan gegen «den linken Gender-Irrsinn» umsetzen kann, muss sich indes noch zeigen. Für einschneidende Gesetzesänderungen auf nationaler Ebene dürften ihm die notwendigen Mehrheiten im Kongress fehlen. Sollte er die Massnahmen mit Verordnungen durchsetzen, werden Bürgerrechtsorganisationen versuchen, diese gerichtlich anzufechten. Die britische «Times» berichtete kürzlich, dass Trump sämtliche 15 000 Transgender-Personen aus den Streitkräften entlassen wolle. Ein Sprecher des Präsidenten dementierte dies jedoch vorerst: «Zu dieser Frage wurden noch keine Entscheidungen getroffen.»
Im Wahlkampf hatte das Thema Trump vermutlich geholfen. Doch zu restriktive Massnahmen könnten für ihn auch kontraproduktiv sein. Gallup-Umfragen zeigen, dass eine knappe Mehrheit der Amerikaner Geschlechtsumwandlungen immer noch für «moralisch falsch» halten. Gleichzeitig lehnt jedoch auch eine klare Mehrheit gesetzliche Verbote ab, die Transgender-Kindern den Zugang zu medizinischer Beratung oder Behandlung verbauen.