In der autonomen Region Gagausien ist Russlands Einfluss besonders stark. Die dortige Gouverneurin will den proeuropäischen Kurs der Moldau sabotieren und erhält dabei die Rückendeckung Putins.
Wer die Überlagerung von Kulturen studieren will, muss in den Süden der Moldau reisen, in die autonome Region Gagausien. Die Gagausen sind ein christlich-orthodoxes Turkvolk, das gegenüber dem moldauischen Zentralstaat auf seine Minderheitsrechte pocht. Bereits im Minibus von der Hauptstadt Chisinau in das autonome Gebiet sprechen die Babuschki Gagausisch, eine Varietät des Türkischen, wechseln aber mitten im Satz ins Russische.
In Comrat, dem gagausischen Hauptort, ist der moldauische Staat bestenfalls auf den Nummernschildern der Autos präsent. Sonst erinnert der staubige Ort mit seiner Zwiebelturmkirche an ein russisches Provinzstädtchen. Die Verwaltungsgebäude sind pro forma auf Gagausisch angeschrieben, die regionalen Angelegenheiten werden aber auf Russisch erledigt. Neben der erdrückenden Präsenz Russlands versucht auch die Türkei ihre neoosmanische Politik auf Gagausien auszudehnen. Sie finanziert eine Gemeindebibliothek und eine Schule. Präsident Erdogan besuchte Comrat 2018 sogar persönlich. Allerdings hat die Türkei einen schweren Stand gegen die russischen Initiativen.
Einfluss dank Gas und Fernsehen
Die Verbundenheit der Gagausen mit Russland hat viele Gründe. Wenn gagausische Gymnasiasten wegen ungenügender Leistungen in der moldauischen Staatssprache (seit vergangenem Jahr heisst sie offiziell Rumänisch) keinen gültigen Abschluss erreichen, können sie in Russland studieren und arbeiten. Während die Moldau unter der proeuropäischen Präsidentin Maia Sandu teures rumänisches Gas importiert, gibt es in Comrat eine eigene russisch-gagausische Gasgesellschaft. Zudem schauen die Gagausen eifrig das russische Staatsfernsehen, das ohne Hindernisse empfangen werden kann.
Vor einem Jahr wurde in Gagausien eine neue Gouverneurin (Baschkan) gewählt, Evghenia Gutul. Zuvor kannte niemand die 37-Jährige, die der zwielichtige Politiker und Unternehmer Ilan Sor aus dem Hut gezaubert hatte. Sor war 2019 wegen des moldauischen Bankenskandals zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, setzte sich aber nach Israel ab. Seine Partei wurde vom moldauischen Verfassungsgericht verboten, aber die Strukturen sind immer noch vorhanden.
Der Kreml verbirgt seine Einflussnahme in der Moldau nicht; Sor und seine Marionette Gutul schmieden ihre Pläne ganz offen in Russland. Im April präsentierten die beiden in Moskau den neugegründeten moldauischen Oppositionsblock «Sieg», der sich gegen die EU-Mitgliedschaft und für einen Beitritt zur russisch dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion einsetzt. Separat hatte Gutul bereits im März dem russischen Präsidenten Putin ihre Aufwartung gemacht. Sie veröffentlichte danach ein Doppelporträt mit ihm und kündigte an, dass das russische Bezahlkartensystem «Mir» in Gagausien eingeführt werde. Allerdings wurde sie sofort von der moldauischen Nationalbank zurückgepfiffen, die daran erinnerte, dass sie als Baschkan nicht über die Kompetenz zur Einführung ausländischer Zahlungssysteme verfüge.
Mit ihrer fieberhaften Tätigkeit wollen Sor und Gutul die Pläne ihrer Gegnerin, Präsidentin Maia Sandu, durchkreuzen. Diese hat für den 20. Oktober ein Referendum über den EU-Beitritt des Landes angekündigt. Am selben Tag findet die Präsidentschaftswahl statt, bei der Sandu eine weitere Amtszeit gewinnen will. Das Vorgehen der Präsidentin ist riskant. Sie setzt mit der Kombination von Wahl und Abstimmung alles auf eine Karte. Zweifellos beobachten auch die Politstrategen im Kreml die Entwicklung genau. Sie wissen genau, dass sich nun ein Zeitfenster öffnet, in dem sie die Westorientierung der Moldau sabotieren können.
Ilan Sor schiesst bereits seit geraumer Zeit aus allen Rohren gegen Maia Sandu. Sonst sind seine politischen Instrumente eher primitiv. Er setzt auf die traditionelle Kombination von «Brot und Spielen». Er bezahlt seinen Anhängern «Unterstützungsbeiträge» und sichert sich so ihre Stimmen. Von 2015 bis 2019 war er Bürgermeister der Kleinstadt Orhei und baute dort den Vergnügungspark Orheiland. Der Eintritt ist kostenlos. Nach diesem Vorbild entsteht nun auch südlich von Comrat das Gagauziyaland, das am 1. Juni seine Tore öffnen soll. Evghenia Gutul preist das Projekt nicht nur als touristische Attraktion, sondern auch als wirtschaftlichen Faktor für die autonome Region.
Wenig Rückhalt für Sandu in Gagausien
Mittlerweile herrscht offener Krieg zwischen Sandu und Gutul. Bis heute hat die Präsidentin der Gouverneurin den ihr verfassungsmässig zustehenden Einsitz in die moldauische Regierung verwehrt. Sandu begründet ihre Weigerung mit dem Argument, Gutul gehöre einer kriminellen Organisation an. Umgekehrt ist Sandu in Gagausien unpopulär. Zwei Besuche im März und April endeten in Protesten, die von Sor-Anhängern organisiert wurden. Bereits vor Gutuls Amtsübernahme waren die Beziehungen zwischen Comrat und Chisinau frostig. Entsprechend gering war die gagausische Unterstützung für Sandu bei der Präsidentschaftswahl von 2020 – sie bewegte sich im einstelligen Bereich.
Die Geschichte der russischen Einflussnahme in der Moldau ist lang. Die Abspaltung der prorussischen Region Transnistrien im Jahr 1992 war nur durch die Parteinahme Moskaus möglich. Der moldauische Präsident Wladimir Woronin, ein sowjetisches Urgestein, verhandelte im Jahr 2003 mit dem Kreml über eine Lösung für Transnistrien. Moskau schlug eine Föderalisierung des moldauischen Staats vor. Allerdings scheiterte das Projekt, weil Putin in letzter Minute eine Bestimmung in das Abkommen aufnehmen wollte, das die Errichtung einer russischen Militärbasis für zwanzig Jahre in der neutralen Moldau vorsah.
Anschliessend verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Chisinau und Moskau für mehrere Jahre. Erst 2017 kam es wieder zu einem Gipfeltreffen. Allerdings führte der damalige prorussische Präsident Igor Dodon seine Geschäfte so chaotisch, dass er sich selbst diskreditierte und die Wiederwahl verpasste. Maia Sandu hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine klar verurteilt und wiederholt vor einem russischen Putschversuch in der Moldau gewarnt. Selbst wenn sie am 20. Oktober das Referendum und die Wahl gewinnt, steht ihr das Schwierigste noch bevor: Sie muss auch ihren politischen Gegnern zeigen, dass sie eine Präsidentin für das ganze Land ist.