Die Abstimmung über eine alpine Solaranlage in Oberiberg (SZ) wird zu einem nationalen Testfall. Das liegt nicht zuletzt am bekanntesten Dorfbewohner, dem Nationalrat Marcel Dettling.
«Am 3. März blickt die Schweiz nach Oberiberg», titelte die Schwyzer Lokalzeitung «Bote der Urschweiz» vor kurzem. Natürlich schwingt da etwas viel Lokalpatriotismus mit, werden doch am Abstimmungssonntag schweizweit andere Entscheide im Mittelpunkt stehen. Doch ein gewisser Reiz ist dem Urnengang in der 900-Einwohner-Gemeinde nicht abzusprechen. Geht es doch um ein nationales Grossprojekt, einen designierten Parteipräsidenten und die Frage, wer im Dorf das Sagen hat.
Das Projekt «Alpin Solar Ybrig», über das die Oberiberger abstimmen, ist eine von rund 200 Photovoltaikanlagen, die bis 2025 in den Schweizer Bergen entstehen sollen und somit Teil des alpinen Solarexpresses. Konkret plant das Elektrizitätswerk Schwyz (EWS) zusammen mit der Axpo auf einer Fläche von rund 10 Hektaren eine Anlage, die im Jahr 10 Gigawattstunden Strom produzieren soll. Die Solarpanels sollen im Gebiet Roggenegg auf rund 1500 Meter über Meer aufgestellt werden.
Dettlings vorläufiges Schweigen
Als der Gemeinderat das Vorhaben im vergangenen Dezember an der Gemeindeversammlung vorstellte, war der Tenor in der Bevölkerung vorwiegend positiv. Kritische Stimmen kamen nur von den Oberiberger Bauern. «Es schien, dass die meisten im Dorf offen sind und ihren Beitrag leisten wollen, dass auch unser Dorf seinen Teil zum Gelingen der Energiewende beitragen kann. Das hat mich gefreut», erklärt der Gemeindepräsident Walter Marty (parteilos).
Lange Zeit äusserte sich der prominenteste Einwohner von Oberiberg, Marcel Dettling, nicht zu dem Grossprojekt. Es schien fast, als hätte Dettling, der zwischen der Gemeindeversammlung und der Urnenabstimmung vom normalen SVP-Nationalrat zum designierten Parteipräsidenten aufgestiegen war, ein Stillhalteabkommen abgeschlossen. Dies in einer Gemeinde, in der bei den Nationalratswahlen 2023 48,4 Prozent der Wählerinnen und Wähler sich für die SVP entschieden hatten.
Am 1. Februar war es dann so weit. Bei «Tele Züri» outete sich Dettling als Gegner des Solarparks im Hoch-Ybrig. «Ich tendiere voraussichtlich zu einem Nein», erklärte er vor laufender Kamera und liess sich damit noch ein Hintertürchen offen. Ein definitives Nein will er auch auf Anfrage der NZZ nicht äussern. Doch Dettling zählt diverse Gründe auf, warum er kritisch gegenüber der alpinen Solaranlage eingestellt ist. «Der so produzierte Strom kostet 12,5 Rappen pro Kilowattstunde und dies bei 60 Prozent staatlichen Subventionen. So wird der Strom für den Konsumenten noch viel teurer», sagt Dettling.
Ausserdem kritisiert der Oberiberger Bauer, dass bis heute nicht klar sei, welche Umweltmassnahmen der Landwirtschaft definitiv aufgebürdet würden und wie viel wertvolles Land damit verlorenginge. Zudem würde die wunderbare Landschaft kaputtgemacht. Alle diese Gründe hätten dazu geführt, dass die Oberiberger Landwirte einstimmig die Nein-Parole beschlossen hätten.
Zu den Gegnern von «Alpin Solar Ybrig» gehört das Aktionsbündnis Urkantone. Dieses wurde von Kritikern der Corona-Massnahmen während der Pandemie gegründet und schaut heute den Behörden auf die Finger. In einem in der vergangenen Woche verschickten Flyer schreibt die Organisation: «Solar auf die Dächer, nicht auf Alpweiden!» Zur Untermauerung zitieren die Autoren des Flyers dabei genüsslich die Aussagen von Marcel Dettling bei «Tele Züri».
Gemeindepräsident Walter Marty bedauert die entstandene Situation. «Eigentlich wäre die Gemeindeversammlung vom Dezember 2023 der richtige Platz gewesen und nicht die Medien, um solche Äusserungen zu machen, die nun als Negativwerbung genutzt werden.» Ganz allgemein würden die alpinen Solaranlagen schlechtgeredet. «Man hört fast nur etwas von jenen Gemeinden, die Nein sagen zu solchen Projekten. Dass sie vielerorts bewilligt werden, nimmt kaum jemand zur Kenntnis.» So haben die Bündner Gemeinden Disentis, Scuol und Davos grossen Solaranlagen zugestimmt. Ebenso die Einwohner von Adelboden im Berner Oberland.
Marty stellt fest, dass die Stimmung im Dorf nach Dettlings Äusserungen gekippt ist. «Es wäre schade, wenn es am 3. März ein Nein geben würde, denn für uns stimmt es.» Oberiberg erhalte jährlich 20 000 Franken, und langfristig könne der Gewinn aus der Photovoltaikanlage dafür sorgen, dass der Steuerfuss gesenkt werden könne. «Wir verpassen die Gelegenheit, vor unserer eigenen Haustür etwas für eine gesicherte Energieversorgung zu unternehmen», bedauert er.
Solaranlage auf dem eigenen Dach
Persönlich nutzt Marcel Dettling die Solarenergie. Im letzten Herbst hat er auf seinem Privathaus eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von rund 18 Kilowattstunden installiert. Die dafür vorgesehenen Fördermittel des Staates hat der Politiker gerne genommen. «Als SVP wehren wir uns gegen die Einführung solcher Subventionen. Doch am Schluss gelten die Abzüge und die Zuschüsse für alle», sagt er.
Zu einem Umdenken in Sachen Solargrossanlagen haben ihn die Erfahrungen auf dem eigenen Hausdach nicht bewogen. Vielmehr haben sie seine Skepsis noch verstärkt. «Meine Anlage produziert nur Strom, wenn sie schneefrei ist und die Sonne scheint», sagt er. «Auch der ‹Alpin Solar Ybrig› trägt bei schlechtem Wetter und in der Nacht nichts zur Deckung der Stromlücke bei.»
Ob der designierte SVP-Präsident mit diesen Argumenten die Mehrheit der Dorfbewohner überzeugen kann, wird die Schweiz wissen, wenn sie am 3. März nach Oberiberg blickt.