Am Montag verloren die Rüstungstitel Rheinmetall, Hensoldt und Renk mehr als 5%. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor bestimmt, dass keine weiteren Militärhilfen für die Ukraine mehr finanziert würden. Doch das Diktum dürfte kaum über die Landtagswahlen vom September hinaus bestehen. Und Hensoldt sieht keine Auswirkungen auf das eigene Geschäft.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,
Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Montag an der Börse für Bewegung gesorgt. Am Wochenende hatte die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» berichtet, dass Scholz den Bundesfinanzminister Christian Lindner angewiesen habe, keine weiteren Militärhilfen für die Ukraine mehr zu bewilligen. Schon im kommenden Jahr solle die militärische Unterstützung nahezu halbiert werden und 2027 auf weniger als ein Zehntel der heutigen Summe zusammenschmelzen. Die Aktienkurse der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Renk fielen am Montagmorgen zeitweise um gut 5%, der von Hensoldt gar zwischenzeitlich um 7,5%.
Für die Unternehmen wäre es geschäftlich ein Rückschlag, wenn die militärischen Hilfen aus Deutschland wirklich dauerhaft enden würde. Aber das ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich und auch gar nicht beabsichtigt.
Doch der Reihe nach. Zunächst wirkt die Kursreaktion verständlich: Würde Deutschland keine Militärhilfen für die Ukraine mehr finanzieren und diese ersatzlos streichen, wäre das ein geschäftlicher Rückschlag für viele Rüstungsunternehmen.
Dennoch teilte der Rüstungskonzern Hensoldt am Montagmittag nach einer Anfrage von The Market mit: «Wir sehen keine kurz- oder mittelfristigen Auswirkungen der Diskussion um die Ukrainehilfe auf unser Geschäft.» Es erfolge kein Stopp oder Abbruch von Vorhaben, sämtliche beauftragte Vorhaben würden abgewickelt. Ausserdem gebe es bei der politischen Diskussion des Haushaltsentwurfs im Bundestag nach der Sommerpause noch Raum für Anpassungen und Aufstockungen.
Im Halbjahresbericht per Juni 2024 des Rüstungstechnik-Herstellers Hensoldt steht gleich auf Seite 2, dass der stark erhöhte Auftragseingang von 1,4 Mrd. € (nach 1,1 Mrd. € im ersten Halbjahr 2023) als einen der Haupttreiber «Auftragseingänge für weitere TRML-4D-Radare zur Unterstützung der Ukraine» gehabt habe. Diese Systeme werden unter anderem im Flugabwehrsystem IRIS-T SLM eingesetzt, das in der Ukraine verwendet wird. Doch die Ukraine war bei weitem nicht der einzige Treiber. Des Weiteren genannt wird unter anderem die European Sky Shield Inititative für Lettland und Slowenien. Die Auftragseingänge lagen deutlich über dem Halbjahresumsatz von 849 Mio. € (plus 17% zum Vorjahreszeitraum). Ausserdem finanziert nicht nur Deutschland die Lieferungen deutscher Konzerne für die Ukraine. Hensoldt teilte mit, dass sich das Unternehmen darauf konzentriere, «den hohen Auftragsbestand von über 6,5 Mrd. € abzuarbeiten und unseren Kunden die dringend benötigten Fähigkeiten vor allem im Bereich der Luftverteidigung möglichst schnell zur Verfügung zu stellen».
Überlebenskampf der Koalition verursacht wilde Kapriolen
Dem Zeitungsbericht zufolge möchte Scholz die deutschen Militärhilfen für die Ukraine auch nicht ausfallen lassen. Er setze darauf, dass diese aus beschlagnahmten russischen Vermögen bezahlt werden. Die G-7-Staaten hatten 300 Mrd. $ beschlagnahmt und beschlossen, der Ukraine aus den Erträgen einen 50-Mrd.-$-Kredit zu gewähren. Die internationalen Verhandlungen seien im Gang und in den betroffenen Berliner Ministerien herrsche Skepsis, ob das Geld am Ende fliessen werde. Bundesfinanzminister Lindner gehe laut einem Brief vom 5. August jedoch davon aus, dass die Ukraine mit den Mitteln bald ihren Bedarf bestreiten können werde und erwartet keinen jähen Abbruch der Militärhilfen aus finanziellen Gründen.
Falls diese Kreditmittel nicht schnell genug kommen, dürfte Deutschland jedoch weiter zahlen. Vieles spricht dafür, dass Bundeskanzler Scholz auch diesmal am Ende umknickt, wie schon so oft bei seiner zaudernden, durch multiple 180-Grad-Wenden gekennzeichneten Ukraine-Politik. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste lautet: Deutschland hat ein starkes sicherheitspolitisches Interesse daran, dass der russische Angriff auf die Ukraine abgewehrt wird. Denn eine erfolgreiche Aggression Putins könnte nicht die letzte ihrer Art gewesen sein.
Das angekündigte Ende der Finanzierung für die Militärhilfen entspringt keiner strategischen Wende im Kanzleramt, sondern den politischen Nöten eines angeschlagenen Regierungschefs. Scholz scheint offenbar fast jedes Mittel recht, um ein Auseinanderbrechen seiner Koalition aufgrund des Haushaltsstreits zu verhindern. Das Streichen der Finanzierungen half wohl dabei, den am Wochenende verkündeten, problematischen Haushaltskompromiss zu erzielen. Die Hoffnung auf schnelles Geld aus den per Russland-Guthaben gedeckten Krediten klingt dabei ähnlich realistisch wie die Vision, die verbliebenen Haushaltslücken durch ein unerwartet starkes Wirtschaftswachstum zu schliessen. Die Regierungsspitzen flüchten offenbar in Wunschdenken, das niemand allzu ernst nehmen sollte.
Vermutlich taktiert Scholz auch in der Hoffnung, seiner SPD in der Endphase des Landtagswahlkampfes in Thüringen und Sachsen (wo am 1. September gewählt wird) mit der Absage an weitere Zahlungen helfen zu können. In Ostdeutschland sind die Ukrainehilfen unpopulär, ein Teil der Wähler hält Gespräche mit dem Aggressor Russland für eine aussichtsreiche Alternative. Das zeigt auch die Zustimmung für das Putin-freundliche Bündnis Sahra Wagenknecht in den Umfragen.
Realpolitische Zwänge sind stärker als das Wunschdenken
Doch schon jetzt steht der Kanzler wegen seiner Aussage politisch stark unter Druck. Der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, Robin Wagner von den Grünen, kritisierte die Pläne scharf. Er sprach von einem innenpolitischen Reflex, der dem Ernst der Lage nicht angemessen sei. «Man hat den Eindruck, dass es darum geht, Frieden und Freiheit zu opfern, dafür aber schuldenfrei zu bleiben.» Die Zeitung berichtete, dass schon jetzt ein Flugabwehrsystem des Typs IRIS-T, das die Industrie nach der Bombardierung einer Kinderklinik in Kiew angeboten habe, nicht mehr geliefert worden sei, weil die Bundesregierung es nicht habe finanzieren wollen. Es ist fraglich, ob derartige Nachrichten die Popularität des Kanzlers und seiner Partei bei der Gesamtbevölkerung steigern.
Leider bleiben die Geschäftsaussichten der Rüstungsunternehmen auf absehbare Zeit ausserordentlich gut. Der Auftragsbestand bei Rheinmetall ist auf das Fünffache des Jahresumsatzes angewachsen, wie The Market Mitte April in einer Analyse des Unternehmens zeigte. Aussichtsreich scheinen auch die Aktien von Hensoldt sowie Renk, wie die Analyse von Anfang August feststellte. An den Empfehlungen für die Aktien halten wir fest.
Die Sicherheitslage in Europa und dem Nahen Osten erlaubt keine Einsparungen bei den Verteidigungsausgaben. Stattdessen müssen viele Staaten mehr in das Militär investieren als in den zurückliegenden Jahrzehnten, allen voran Deutschland, das seine Streitkräfte arg vernachlässigt hat. Bundeskanzler Scholz und auch seine Nachfolger werden sich dieser Realität stellen müssen. Daher sind Rückschläge wie die Kursverluste vom Montag für langfristige Anleger eine Einstiegsgelegenheit in die Branche.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Mark Böschen