Ein riesiger Lastzug sorgte für den Bau eines Frühwarnsystems der USA und Kanadas gegen eine russische Invasion. Heute ruhen die Überreste des fahrenden Mammuts neben einer Schnellstrasse.
Man muss schon ganz genau hinschauen, um auf dem Satellitenbild vom 31. Mai 2024 zu erkennen, welch geschichtsträchtige Ruine in der Nähe von Fairbanks im Zentrum Alaskas neben einem Highway parkiert ist. Es handelt sich um die Überreste eines Lastenzugs der besonderen Art. Des LeTourneau Sno-Freighter.
Das fast 4 Meter 30 hohe Fahrzeug ist 4 Meter 90 breit und war in vollem Einsatz mit fünf Anhängern insgesamt fast 85 Meter lang. Übriggeblieben sind das Zugfahrzeug und zwei der vier riesigen Anhänger.
Wer das Fahrzeug im Gestrüpp neben der Schnellstrasse findet, erkennt die Originallackierung in Senfgelb und die noch immer gut lesbare Beschriftung. In Auftrag gegeben hat den überdimensionierten Anhängerzug mit Rädern die Firma Alaska Freight Lines. Damit wollte die Frachtfirma in den 1950er Jahren im Auftrag der US-Regierung bis zu 500 Tonnen Material quer durch unwegsames Gelände transportieren, und dies nach Möglichkeit im 24-Stunden-Betrieb.
Hintergrund war ein Partnerschaftsprojekt der Regierungen der USA und Kanadas zum Bau eines der grössten Bollwerke der Geschichte. Die «DEW Line» (Distant Early Warning Line) diente als Frühwarnsystem im Kalten Krieg. Es bestand auf einer Länge von 4200 Kilometern aus einer Aneinanderreihung von Radarstationen zur Früherkennung von nuklearen Lenkwaffen. Die DEW Line erstreckte sich von der Ostküste Kanadas entlang der Arktis quer durch die nordwestlichen Territorien bis hinüber zur Nordwestküste Alaskas und der Inselgruppe der Aleuten.
Die DEW Line war Teil eines weltweiten Systems an Frühwarnstationen, die sich auch auf den Färöer-Inseln, Grönland und Island befanden. Per Radar sollten sie von der Sowjetunion entsendete Kampfflugzeuge aufspüren, die den Luftraum der USA und ihrer Verbündeten zu durchbrechen versuchten. Auch sollten so Angriffe über den See- und den Landweg frühzeitig entdeckt werden.
Zum Einsatz kamen konventionelle Radaranlagen. Da sie im äussersten Norden platziert waren, ergaben sich mehrere Stunden Zeit, um eine Verteidigung des Territoriums vorzubereiten. Zudem wäre es dem Strategischen Luftkommando der US Air Force rechtzeitig möglich gewesen, eigene Kampfflugzeuge starten zu lassen. Der DEW Line wurde höchste Priorität gegeben, erste Vorarbeiten dazu begannen im Dezember 1954.
Um im Eiltempo die zum Bau der Radarstationen erforderlichen Materialien und Güter quer durch das teilweise schwer zu überwindende Gelände Alaskas nach Nordwesten zu transportieren, musste ein Fahrzeug der Sonderklasse gebaut werden. Die Küstengebiete über den Seeweg zu erreichen, wurde durch das hohe Aufkommen von Meereis verunmöglicht. Doch auf dem Landweg musste sich der Geländetross eine Route bahnen, die ganz ohne Strassen auskommen musste. Der Grossteil des Geländes war noch nicht erschlossen.
Den Auftrag für das Zugmaschinenprojekt mit dem anspruchsvollen Pflichtenheft erhielt Anfang 1955 der amerikanische Geschäftsmann und Erfinder Robert Gilmour LeTourneau, der bereits zuvor schwere Baumaschinen für schwierige Geländeanwendungen sowie militärische Basisfahrzeuge für Raketenwerfer gebaut hatte.
Der Auftrag an LeTourneaus texanische Firma lautete auf den Bau einer Zugmaschine mit bis zu sechs Anhängern. Der Lastenzug sollte bis zu 150 Tonnen Traglast aufweisen und Flüsse mit bis zu 1 Meter 20 Tiefe genauso wie Schneeverwehungen durchfahren können. Dies alles sollte bei Temperaturen bis minus 56 Grad Celsius möglich sein.
LeTourneau baute daraufhin den zweiachsigen VC-22 Sno-Freighter, der aus bereits bestehenden Teilen anderer allradgetriebener Sechsrad-Fahrzeuge zusammengesetzt wurde. Bereits Mitte Februar 1955 stand die Maschine mit ihrem 400 PS starken Cummins-Dieselmotor und vier Rädern à zwei Meter Durchmesser fertig lackiert und beschriftet sowie mit fünf elektrisch angetriebenen Anhängern beim Auftraggeber Alaska Freight Lines.
Der Sno-Freighter kam während des gesamten Jahres 1955 zum Einsatz, doch im Folgejahr geriet die Zugmaschine im Antriebsbereich in Brand. Daraufhin liess die Frachtfirma den riesigen Lastenzug mit zwei Anhängern neben der Schnellstrasse Stees Highway nahe Fairbanks zurück. Dort steht er noch heute, als vergessenes Mahnmal aus dem Kalten Krieg.
1985 vereinbarten die USA und Kanada, die DEW Line in das Frühwarnsystem North Warning System (NWS) zu integrieren. Ab 1988 wurden die meisten Radarstationen aus den 1950er Jahren deaktiviert, bis 1993 wurden die übrigen Stationen mit neustem Material aufdatiert. Für Lastenzüge in der Grösse des Sno-Freighter gab es jedoch keinen Bedarf mehr.