Der Niederländer Arne Slot dürfte im ersten Jahr als Liverpool-Coach den Meistertitel erringen. Weil er das Team kaum verändert, den Spielstil aber weiterentwickelt hat.
Vor kurzem verriet der Niederländer Arne Slot einen überraschenden Grund für seinen erfolgreichen Einstand als Trainer des Liverpool FC: seine Vorbereitung auf den Job.
Slot sagte der BBC, er habe den englischen Fussball schon vor seinem Wechsel von Feyenoord Rotterdam an die Merseyside im Sommer 2024 intensiv verfolgt. Der Grund dafür sei, dass die Zusammenfassung der Premier-League-Spieltage in seiner Heimat nach den Highlights der niederländischen Liga im Fernsehen gezeigt werde. Und er die Partien der Liverpooler gezielt analysiert habe – diejenigen aus der vergangenen Saison ebenso wie jene aus dem Meisterjahr 2020.
Zusätzlich habe er die Aufzeichnung vieler Trainingseinheiten angefordert. Davon habe er sich ein Verständnis dessen erhofft, wie sein Vorgänger Jürgen Klopp mit den Spielern gearbeitet habe. So habe er bemerkt, dass ausser einigen Details kaum Änderungen vorzunehmen seien.
Liverpool steht unangefochten an der Spitze
Nach drei Vierteln der laufenden Saison steht fest: Dank seinem Vorwissen hat Slot die Premier League mit seinem Team im Sturm erobert. Der 56-Jährige dürfte der fünfte Trainer in der Geschichte der Premier League werden, der im ersten Jahr als Coach sogleich den Meistertitel gewinnt. Nur José Mourinho, Carlo Ancelotti und Antonio Conte mit dem Chelsea FC sowie Manuel Pellegrini mit Manchester City haben das zuvor erreicht.
Liverpools Vorsprung vor dem zweitplatzierten FC Arsenal beträgt zurzeit dreizehn Punkte, wobei die «Reds» ein Spiel mehr absolviert haben. Eine solche Reserve hat zu diesem Zeitpunkt kein Klub noch verspielt – ausser Manchester United, das in der Saison 1997/98 trotz einem Zwölf-Punkte-Abstand im Februar von Arsenal noch abgefangen wurde.
Die erdrückende Dominanz der «Reds» dürfte eine Zeitenwende in England zur Folge haben: Der Liverpool FC würde Manchester City nach vier Titeln in Folge als neuer Meister ablösen und mit dem 20. Meistertitel mit dem Rekordhalter und Erzrivalen Manchester United gleichziehen. Im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt in der vergangenen Spielzeit mit dem Trainer Jürgen Klopp hat Liverpool die fast gleiche Punktzahl und fast das gleiche Torverhältnis.
Dass der Klub in dieser Saison allerdings unangefochten an der Spitze steht, liegt nicht nur an den schwächelnden Konkurrenten. Sondern vor allem auch an der Weiterentwicklung der eigenen Spielweise. Im Gegensatz zu Klopps Stil, der immer auf Vollgasfussball ausgerichtet war, beherrscht Slots Mannschaft heuer sämtliche taktische Varianten auf höchstem Niveau: Sie kann abwarten, tief verteidigen, dominieren, angreifen und umschalten – das verdeutlicht die sich ständig ändernde taktische Ausrichtung.
Zwar hat sich der eigene Ballbesitz leicht verringert. Doch das kommt dem Team auf eine andere Art zugute: Es schiesst wieder mehr Kontertore, dreizehn Treffer resultierten in dieser Saison bereits nach Gegenangriffen. In der gesamten letzten Spielzeit waren es bloss deren sechs.
Mit dieser Flexibilität ging eine grössere Kontrolle in den Partien einher, wodurch die Spieler wichtige Kräfte sparen konnten. Derzeit beklagen die Liverpooler keinerlei Ausfälle wegen Verletzungen, derweil vor einem Jahr fast die gesamte Startformation wochenlang fehlte. Um die Ressourcen zusätzlich zu schonen, verzichtete Slot unlängst bei der Niederlage im FA Cup gegen den Zweitligisten Plymouth auf zehn Stammspieler. Slot kommt zudem zugute, dass sich die Substanz des Kaders dank Klopps Entwicklung von Talenten aus dem eigenen Nachwuchs in der vergangenen Europa-League-Kampagne nochmals erhöht hat.
Ryan Gravenberch gibt der Mannschaft den Takt vor
Den ganzheitlichen Ansatz von Slot veranschaulicht ein personeller Wechsel, der die einzige bedeutende Veränderung in der Startformation darstellt. Slot berief seinen Landsmann Ryan Gravenberch, der 2023 vom FC Bayern gekommen war und für den Klopp kaum Verwendung gefunden hatte, als Spielorganisator ins defensive Mittelfeld. Mit seiner Übersicht und Ballsicherheit gibt Gravenberch den Takt der Mannschaft vor. Für ihn musste der Japaner Wataru Endo weichen, dessen Vorzüge in der Abräumarbeit liegen. Um Gravenberch zu unterstützen, veränderte Slot die taktische Formation geringfügig. Anders als Klopp lässt er mit zwei statt einem Spieler vor der eigenen Abwehrreihe agieren.
In gewisser Hinsicht verhält sich das Team auf dem Platz wie sein Trainer am Seitenrand: Es wirkt souverän und selbstbewusst. Slot stützt diesen Eindruck mit seiner Rhetorik: Im Dezember hob er hervor, dass es das Selbstverständnis seines Vereins und seiner Spieler sei, an der Tabellenspitze zu stehen; entsprechend sei der gegenwärtige Erfolg keine besondere Sache. Im Gegensatz dazu vermittelte Klopp in seinen Äusserungen stets den Eindruck, seine «Reds» seien in allen Wettbewerben eher ein Herausforderer als der Favorit.
Da der Liverpool FC das Championat so gut wie gewonnen hat, kann er sich nun bereits auf den League-Cup-Final in anderthalb Wochen gegen Newcastle United sowie auf das Champions-League-Duell mit Paris Saint-Germain vorbereiten. Das Achtelfinal-Hinspiel findet am Mittwoch um 21 Uhr im Pariser Parc des Princes statt. Eine ausgeruhte Liverpool-Equipe wird nötig sein, soll das junge, aufstrebende PSG-Ensemble kontrolliert werden. Bisher ist es Liverpool nur 1977 gelungen, in einer Saison sowohl den Meistertitel als auch einen Titel im Europacup zu erringen.
Als Dank für die reibungslose Übergabe und das grosszügige Vermächtnis hat Slot seinen Vorgänger Klopp bereits mehrmals zu Heimspielen an die Anfield Road eingeladen. Bisher wies der Deutsche das Angebot stets zurück. Doch wenn der Meistertitel feststeht, wird sich Klopp vielleicht doch noch vor Ort ansehen, wie Arne Slot sein Werk veredelt hat.