Im Handelskonflikt gegen Verbündete gehe es dem US-Präsidenten im Kern um China, sagt der Princeton-Professor. Er erklärt, wieso sich die USA mit ihrem Protektionismus selber schaden – und mit welchen Mitteln die Europäer nun zurückschlagen könnten.
Harold James, befinden wir uns im «dümmsten Handelskrieg der Geschichte», wie das «Wall Street Journal» vor kurzem geschrieben hat?
Ja, dieser Handelskrieg ist unnötig und schädlich. Da sind sich Ökonomen und Historiker einig. Allenfalls wären Handelspartner wie Mexiko oder Kanada von den angedrohten Zöllen stärker betroffen als die USA. Doch auch die USA würden Verluste erleiden, es gibt keine Gewinner. Offen bleibt, wie ernst dieser Handelskrieg gemeint ist und welches Ziel Donald Trump verfolgt. Einerseits gibt es Leute wie den früheren Trump-Berater Peter Navarro, die Zölle als Mittel sehen, um verlorene amerikanische Arbeitsplätze zurückzuholen. Andererseits könnte es sich um eine taktische Massnahme handeln, um Druck auf schwächere Länder auszuüben – wie im Fall Kolumbiens, das schnell einlenkte.
Was auffällt: Die ersten Androhungen Trumps richteten sich gegen die Nachbarn Mexiko und Kanada, mit denen Trump in seiner ersten Amtszeit noch ein Handelsabkommen vereinbart hatte. Wie ordnen Sie das ein?
Taktisch geht es vor allem um den Schutz der Grenzen. In einem grösseren Kontext kann es auch als indirekte Massnahme gegen China verstanden werden. China hat in Handelskonflikten oft den Umweg über andere Länder genutzt, um seine Exporte in die USA zu leiten – vor allem über Mexiko, Kanada und Vietnam. Der wachsende Handel zwischen diesen Ländern und den USA deutet darauf hin, dass viele importierte Produkte teilweise aus China stammen oder dort in frühen Produktionsstufen gefertigt wurden. Die Zolldrohungen gegen Mexiko und Kanada könnten ein Versuch sein, solche Handelsumgehungen zu unterbinden.
China bleibt also das Leitmotiv der Zollpolitik.
Ja. Dieser Fokus wird in den USA parteiübergreifend gestützt – von Republikanern und Demokraten. Der wirtschaftliche Wandel der letzten 25 Jahre nach Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation wird als Niederlage für die USA und als Ursache für den Verlust vieler amerikanischer Jobs betrachtet. Diese Argumentation mag teilweise stimmen, sie ist aber verzerrt. Denn ein wichtiger Grund für den Arbeitsplatzabbau ist auch die technologische Entwicklung, insbesondere die Automatisierung. Viele Fertigungen, die in die USA zurückkehren, setzen auf Roboter statt menschliche Arbeitskräfte.
Trump setzte schon in seiner ersten Amtszeit auf Zölle. Welche Lehren zog er daraus, dass er nun erneut diese Karte zieht?
Die Zölle hatten in den USA keine sichtbar negativen Auswirkungen. Sie schufen aber auch keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Weil Letzteres aber kaum wahrgenommen wird und auch die Biden-Regierung die Zölle fortsetzte, besteht weiterhin ein breiter politischer Konsens für diese Politik. Entsprechend gross ist die Versuchung, Zölle weiter auszubauen und zu intensivieren. Doch wenn die Zölle deutlich erhöht und auf Nachbarstaaten angewandt werden, steigen auch die Kosten.
Warum diese Drohungen nach kurzer Zeit im Amt?
Trump will zu Beginn möglichst viele drastische Massnahmen umsetzen – ein Muster, das sich auch in der Aussenpolitik zeigt, etwa bei Themen wie dem Panamakanal, Grönland oder der Idee, Gaza als Touristenregion zu entwickeln und die palästinensische Bevölkerung zu vertreiben. Anders als in der ersten Amtszeit, als der Anfang konfus verlief und es lange Zeit brauchte, bis die Beamten ernannt wurden, soll nun der Kurswechsel so schnell wie möglich erfolgen. Die radikale Neuausrichtung der US-Politik soll klar sichtbar werden.
Gegenüber Kolumbien, Mexiko und Kanada hat Trump Zölle angedroht, dann aber wieder darauf verzichtet – nach zum Teil nur geringen Konzessionen. Läuft er nicht Gefahr, dass seine Drohungen nicht mehr ernst genommen werden?
Die Gefahr besteht. Die Eingeständnisse von Mexiko und Kanada waren gering. Die Ernennung eines Fentanyl-Zaren in Kanada ist Symbolpolitik. Und die von Mexiko versprochenen Soldaten standen ohnehin schon an der Grenze. Es verstärkt sich der Eindruck, die Drohungen seien ein Popanz – und somit ein Zeichen der Schwäche. Bis jetzt geht es aber um relativ kleine Länder. Die ersten Massnahmen gegen China sind eher bescheiden. Wie die USA längerfristig gegenüber Machtzentren wie China und der EU vorgehen werden, bleibt offen.
Vergangene Woche kündete Trump weitere Zölle und Friedensverhandlungen mit Putin an.
Trumps Vorschlag von reziproken Zöllen macht die Handelspolitik komplexer. Die Gegenmassnahmen sollen nämlich nicht nur auf die Zölle anderer Länder, sondern auch auf deren Steuer- und Wechselkursregelungen abzielen. Mit Trumps Äusserungen zu einem allfälligen Frieden in der Ukraine besteht aber nun die akute Gefahr einer Verknüpfung von Handelspolitik und Sicherheitsfragen. Die Schrecken der Zwischenkriegszeit kehren damit zurück.
Schneidet sich Trump nicht ins eigene Fleisch, wenn er zuerst seine Verbündeten gängelt? Das könnte dazu führen, dass sich Europa handelspolitisch stärker China öffnet.
Absolut. Das hat sich schon in Trumps erster Amtszeit abgezeichnet. Denken Sie an das Davoser Weltwirtschaftsforum im Jahr 2017. Damals präsentierten sich Angela Merkel und Xi Jinping als Verteidiger der Globalisierung und stellten sich gegen Trump. Diese Logik ist heute noch zwingender als vor acht Jahren.
China als der lachende Dritte.
Ja. Die Entwicklung kann als beschleunigter Übergang zu einer multipolaren Weltordnung gesehen werden. Die USA verlieren durch ihre Unvorhersehbarkeit die Rolle als Verteidiger einer offenen, regelbasierten Weltordnung. Entsprechend müssen die Staaten mit China neue Beziehungen aufbauen.
Die USA sind eigentlich die Architekten dieser offenen Weltordnung. Wieso stellen sich ausgerechnet die Gründer gegen ihr Modell?
Sie sehen sich als Verlierer dieser Ordnung – und zwar schon lange. Schon in den 1960er und 1970er Jahren gab es Kritik, dass Deutschland und Japan dank Amerikas militärischem Schutz weniger für die Verteidigung ausgeben müssen und stattdessen mehr in die Wirtschaft investieren können. Das war lange vor Chinas wirtschaftlichem Aufstieg.
Vor allem republikanische Präsidenten wie Richard Nixon, Ronald Reagan und George W. Bush sahen multilaterale Institutionen kritisch. Setzt Trump diese Tradition nun einfach fort?
Es gibt Parallelen. Zwischen 2000 und 2008 wurde der Internationale Währungsfonds zunehmend infrage gestellt, vor allem von der Regierung von George W. Bush. Doch mit der Finanzkrise wurde der IWF plötzlich wieder wichtig und gewann an Einfluss. Zuvor hatte in den 1980er Jahren auch die lateinamerikanische Schuldenkrise dazu geführt, dass Reagan den IWF nicht länger kritisierte, sondern zu schätzen begann. Ähnliches könnte sich wiederholen. Wenn höhere Zölle den Dollar massiv stärken, kann das eine Schuldenkrise in Schwellenländern auslösen, weil viele Staaten und Firmen in Dollar verschuldet sind. Das würde nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch Amerikas Wohlstand bedrohen. Die USA wären wieder auf internationale Institutionen angewiesen.
Das heisst: Je forscher Trump mit seiner Zollpolitik vorwärtsmacht, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass er bald zurückrudern muss.
Ja. Wenn die Zölle gegenüber Amerikas Nachbarstaaten wie angedroht eingeführt würden, wären die Folgen in den USA massiv und schnell spürbar. Besonders betroffen wären Industrien mit komplexen Lieferketten, etwa die Autobranche, wo Bauteile oft mehrmals zwischen den USA, Kanada und Mexiko hin und her transportiert werden. Hier kann die Produktion nicht kurzfristig in die USA verlagert werden, da der Aufbau neuer Kapazitäten Monate oder Jahre dauert. In der Zwischenzeit hätten die Arbeiter keine Beschäftigung, und die Autobauer könnten keine Fahrzeuge verkaufen. Das hätte heftige Marktreaktionen zur Folge.
Wie sähen diese Marktreaktionen aus?
Die Börse käme unter Druck – und damit die Altersvorsorge vieler Amerikaner. Denn die meisten Amerikaner haben keine festgelegten Renten, sondern hängen von Kapitalanlagen ab. Ein Kurssturz könnte erhebliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung auslösen. Das würde den politischen Druck auf den Kongress erhöhen.
Der Finanzmarkt zwänge Trump zur Umkehr.
Der Markt ist vielleicht der letzte Regulator von Trump. Der Präsident misst dem Aktienmarkt grosse Bedeutung bei und sieht die Börse als Gradmesser für den Erfolg seiner Politik. Gefahr geht dabei nicht nur von den Aktienkursen aus, sondern auch von den Anleihenmärkten. Ohne solide Finanzpolitik könnten die Anleiherenditen stark steigen. Die Regierung müsste auf ihren Schulden deutlich höhere Zinsen zahlen, was ihre Handlungsfähigkeit einschränkt.
Sind die USA nicht nahezu immun gegen eine Anleihenkrise, weil sie die globale Leitwährung Dollar emittieren und US-Anleihen als liquid und sicher gelten?
Nein. Die USA können das Privileg des Dollars nicht unbegrenzt zur Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Ziele nutzen. Es gibt eine Grenze, an der andere Länder sagen: Genug ist genug! Diese Grenze ist fast erreicht aufgrund der Vermischung der hohen Staatsverschuldung mit der Politisierung des Dollars. Die Tendenz, den Dollar als Waffe einzusetzen, schadet den USA langfristig.
Dann sehen Sie eine reale Gefahr, dass die Märkte das Vertrauen in US-Staatsanleihen verlieren könnten – wie dies 2022 unter Liz Truss in Grossbritannien passierte?
Ja, die Gefahr besteht.
Eigentlich hat Amerika im Zollstreit ein schwaches Blatt. Weil es ein Handelsbilanzdefizit ausweist und wenig spart, ist es auf ausländisches Kapital angewiesen. Sollten die Europäer diese Verletzlichkeit ausnutzen?
Das wäre möglich. Die Biden-Regierung hat diese Verletzlichkeit noch verstärkt, indem sie sehr viele kurzfristige Staatsanleihen herausgegeben hat, die nun verlängert werden müssen. Ziehen sich die Käufer zurück, hat dies weitreichende Folgen. Europäische oder asiatische Regierungen könnten den Kauf von amerikanischen Papieren steuerlich weniger attraktiv machen, etwa mit Blick auf deren Verzinsung. Die Möglichkeit, in den USA zu investieren, wäre dann eingeschränkt, grosse Projekte liessen sich nicht mehr finanzieren. Damit das funktioniert, müssten aber genügend Staaten zusammenspannen. Vielleicht würde dies ein Umdenken in den USA auslösen.
Würde das nicht vor allem eine Eskalation bewirken und eine weltwirtschaftliche Krise?
Natürlich wäre es eine Eskalation. Es könnte aber auch die Grundlage liefern für multilaterale Verhandlungen und die Lösung ernsthafter Probleme.
In Ihrem Buch «Schockmomente» analysieren Sie die grössten weltwirtschaftlichen Schocks seit dem 19. Jahrhundert. Hat Trump das Potenzial, einen solchen Schock auszulösen?
Ja, seine Politik ist vergleichbar mit anderen negativen Angebotsschocks, etwa der Covid-19-Krise oder der russischen Invasion in der Ukraine. Diese Zäsuren zeigten die Bedeutung von Lieferketten. Wenn Staaten glauben, Lieferketten beherrschen zu können, steigt die Versuchung, sie als Waffe einzusetzen. Das war 2022 die Kalkulation Putins, und das ist heute die Überlegung Trumps.
Sie argumentieren, dass Angebotsschocks oft zu einem Motor der Globalisierung werden. Dies deshalb, weil sie den Staaten die Notwendigkeit der Kooperation in Erinnerung rufen. Könnte somit Trump – entgegen seiner Absicht – zu einem Förderer der Globalisierung werden?
Ja, Menschen lernen aus Fehlern. Der «dümmste Zollkrieg aller Zeiten» könnte dazu führen, dass wir klüger werden. Wenn Trumps Strategie scheitert, entsteht Neues und Besseres. Je deutlicher eine Politik ihre Schwächen offenbart, desto deutlicher zeigt sich die Notwendigkeit von Reformen und multilateralen Kooperationen.
Dann würde Trump das Gegenteil dessen erreichen, was er anstrebt.
Ja, man kann sich Trump als Goethes Mephisto vorstellen. Er ist ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Was heisst das mit Blick auf das mögliche Erbe von Trump? Wie werden Historiker auf die Trump-Administration zurückblicken?
Man wird das als Zeit des extremen Chaos betrachten. Die Frage ist: Wie lange setzt sich das Chaos durch, und wie lange braucht die Politik, um wirksame Anreize und Regeln gegen dieses Chaos zu entwickeln?
Ihr Vertrauen in Amerikas Institutionen scheint ungebrochen. Man wird das Chaos bändigen.
Ja. Ein Vorteil der USA ist der Föderalismus; hier gibt es eine Gemeinsamkeit mit der Schweiz. Man kann auf der gesamtstaatlichen Ebene nicht alles machen, was man will. Sehr viel hängt von den Gliedstaaten ab. Das ist das Fundament des amerikanischen Staates.
Ein Kenner der Globalisierung
tf. Harold James gehört zu den international bedeutsamsten Wirtschaftshistorikern. Der 1956 geborene Brite forscht und lehrt an der amerikanischen Princeton University, wo er einen Lehrstuhl für Geschichte und internationale Politik hat. James hat sich vor allem mit seinen Forschungsarbeiten zur deutschen Wirtschaftsgeschichte und Zwischenkriegszeit einen Namen gemacht. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Geschichte der Globalisierung, die auch im Fokus seines jüngsten Buchs («Schockmomente. Eine Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung, 1850 bis heute») steht.