Angetrieben von Essenslüsten und Kindheitserinnerungen, durchkämmt der Mensch gierig das Unterholz. Doch was findet er wirklich? Nicht den Überfluss an Pilzen wie früher. Und erst recht keine Trüffeln.
Kriecht im Herbst feuchter Dunst leise aus den Wäldern und macht die Nacht nur widerwillig dem neuen Tag Platz, kriecht etwas anderes dort hinein: Schwärme von Menschen, die Augen starr auf den mit herabgefallenen Blättern bedeckten Waldboden fixiert. Das, wonach sie suchen, könnte sich ja darunter verstecken und sich damit erfolgreich gegen Ausgraben und -reissen, Ab- und Wegschneiden und weitere schändliche Taten zur Wehr setzen. Nur weglaufen können Pilze nicht, noch nicht. Die Evolution wird ihnen vielleicht Beine machen, irgendwann.
Doch bis dahin sind sie der gierigen Spezies Mensch mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Verstecken ist ihre einzige Strategie, und sie sind ziemlich gut darin. Doch das alles hilft nicht, wenn die meisten Leute auf Pilzpirsch Tomaten, äh, Champignons auf den Augen haben und das, was sie suchen, eher niedertrampeln, als es zu entdecken. Dass sie keine Ahnung haben, in welcher Art Waldboden die verschiedenen Pilze am ehesten zu finden sind, macht die Sache leider auch nicht besser.
Der Wald, einst ein Ort des Findens
Dabei ist Pilzesuchen die reinste Kontemplation. Gedanklich beamt es mich zurück in die Kindheit, eine meiner liebsten Erinnerungen an die Salzburger Bergbauernheimat meiner Mutter. Eine grosse Lichtung, lose mit Wiese und Wildblumen bewachsen; nach dem Regen im Spätsommer leuchtete sie goldgelb, wie ein Teppich aus Löwenzahnblüten. Aber es waren Eierschwämme. Es mussten Tonnen gewesen sein, die dort explosionsartig aus der Erde schossen. Wir wussten nichts Besseres, als diese gelbe Pilzpracht hastig rennend umzupflügen, Handvoll um Handvoll einander an die Köpfe und in die Luft zu werfen. Aber natürlich brachten wir auch körbeweise Pilze heim. Niemals mehr erlebte ich solch einen Überfluss. Der Wald verwandelte sich damals von einem Ort des Verlierens in einen Ort des Findens.
Während ich durch das Unterholz streife, sind die Gedanken bereits bei der Zubereitung. Sie gründen auf meiner unerschütterlichen Zuversicht, dass ich in Kürze auf ein sattgelb leuchtendes Meer von Eierschwämmen treffe. Mache ich mir eine Pasta damit oder doch eher ein Risotto? Bruschette wären auch fein, mit viel Knoblauch und Prezzemolo. Vielleicht stosse ich gar auf Steinpilze, die sind roh, in Scheiben geschnitten, äusserst gut. Darüber als besondere Belohnung einige Scheibchen Weisser Trüffel?
Die Suche nach solchen ist hier allerdings vergebens. Auch wenn der Klimawandel vor einiger Zeit in Genf ein kleines Exemplar der seltenen Pilze hat wachsen lassen, sind Weisse Trüffeln (Tuber magnatum pico) noch immer ausschliesslich im geografischen Gürtel Norditaliens, in Slowenien, von Serbien bis Rumänien zu finden. Was allerdings mehr und mehr Hundebesitzer hier nicht davon abhält, ihre kläffenden Freunde auf das Suchen (und im besten Falle auch Finden) der Knollen abzurichten.
Hier bei uns stossen sie aber nur auf den Tuber uncinatum, auch (ordinärer) Herbst- oder Burgundertrüffel genannt. Was mir unverständlich ist. Setze ich doch das Wort Burgund mit kulinarischen Höhenflügen gleich. Diese rieche ich hingegen an einem hier ausgegrabenen Trüffel vergebens. Unterirdisch sind nicht nur sein Vorkommen und der Preis, leider ist es auch der Geschmack. Wenn dann einer vorhanden ist ausser jenem nach nassem Dreck, feuchtem Waldboden und leicht modrigem Pilz.
Noch schlimmer ist wirklich nur Trüffelöl. Das nicht wenige (bekannte) Gastronomen dazu verwenden, einheimischem Trüffel (widerlichen) Geschmack zu verleihen. All jenen, die sich mit verzücktem Gesicht eine solche Knolle über ihre Pasta oder ihr Rührei reiben (und dafür pro Kilo bis 700 Franken geblecht haben), rate ich, noch mehr auszugeben und sich dafür einen Périgord-Trüffel (Tuber melanosporum) zu leisten. Danach will ganz bestimmt niemand mehr Geld für Schweizer Trüffeln ausgeben. Oder, um beim Duft zu bleiben: Es ist wie Pitralon zu Le Labo Santal 33.
Dieser Trüffelsuch-Boom hierzulande gründet auf der wachsenden Beliebtheit des Lagotto Romagnolo, einer den Pudeln nicht unähnlichen Hunderasse. Sie löste vor hundert Jahren das Hausschwein ab, das früher zur Trüffelsuche in die Wälder mitgenommen wurde. Da sich sehr wenige Menschen ein Schwein in die Stube holen, gegenüber sehr vielen, die einen Hund vorziehen, ist Trüffelsuchen nun auch noch das neue «Pokémon Go» geworden.
Augen auf für Kaiserlinge
Als Trailrunner ziehe ich meine Bahn öfter abseits von Waldpfaden, quer durch das Unterholz. Da ich so in einer Stunde, anders als herumschleichende Pilzsucher, eine ziemliche Strecke zurücklege, stosse ich öfters auf die Objekte der Begierde. Natürlich fehlt mir dann ein Korb für die Ernte oder das Wissen darüber, ob sie essbar sind. Ich merke mir die Stellen und finde – auch dank meiner Lauf-App – immer wieder an diese Orte zurück.
Kürzlich auf einer Wanderung im Bergell leuchteten mir goldgelbe Kugeln entgegen, ich dachte zuerst an Eierschwämme. Doch es waren Kaiserlinge. Ein überaus seltener Pilz, in Italien aufgrund seiner Eierform Ovoli genannt. Er gilt als der edelste und schmackhafteste Speisepilz überhaupt, noch feiner als der königliche Steinpilz. Seine Bezeichnung verdankt er seiner Beliebtheit in den kaiserlichen Küchen Roms. Sein milder und nussiger Geschmack kommt am besten roh oder sanft und kurz in Butter gebraten zur Geltung. Er ist rar und teuer, trotzdem kostet er einen Bruchteil davon, was hier für nach allem, nur nicht nach Trüffel schmeckenden, schwarzen Knollen, bezahlt wird.
Mein Lieblingsrezept davon geht so: Pro Person je einen grossen Steinpilz und Kaiserling in Scheiben schneiden. Ein hartgekochtes Ei durch ein Kaffeesieb drücken, mit bestem Olivenöl, gehackten Sardellen und Prezzemolo, Salz und Zitronensaft zu einer cremigen Sauce rühren, idealerweise mit einer Gabel mit darauf gesteckter Knoblauchzehe. Pilze auf dem Teller arrangieren, mit der Sauce übergiessen, mit ganz fein gescheibeltem Stangensellerie bestreuen und weisse Trüffel darüber hobeln. Kaiserlicher geht nicht!
Richard Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Er isst einmal im Jahr weisse Trüffel, im «Amerigo» bei Bologna. Seine Rezepte veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch.