Ab Mitte März messen sich Lugano und Ajoie im Play-out-Final. Es könnte der absurde Fall eintreffen, dass hinterher herauskommt, dass diese Serie gar keine Rolle gespielt hat. Die Vorgänge rund um Auf- und Abstieg sind teilweise ungeheuerlich.
Mit 66 fange das Leben an, hat Udo Jürgens einmal gesungen. Patrick Hauert ist 67 Jahre alt, und wenn der Präsident des HC Ajoie beruflich noch umsatteln möchte, hätte er vermutlich gute Chancen, die Rolle als listiger Bösewicht im nächsten James-Bond-Streifen zu ergattern.
Hauert und Ajoie haben durch einen Coup de Théâtre gerade kunstvoll die Chance auf den Ligaerhalt ihrer Equipe massiv erhöht. Und das kam so: Im Oktober entliessen die Jurassier den Trainer Christian Wohlwend. Als dieser knapp zwei Wochen später ein Angebot des EHC Olten aus der zweitklassigen Swiss League erhielt, muss beim notorisch klammen HC Ajoie jubiliert worden sein, weil es gelang, den Coach rasch von der Lohnliste zu streichen.
Ajoie schaffte es zusätzlich, Olten eine Bedingung für die Freigabe Wohlwends zu stellen: in dieser Saison auf das Aufstiegsgesuch zu verzichten. Seit der EHC Kloten 2008 den Stürmer Thomas Walser in einem Kuhhandel mit dem EV Zug gegen den späteren Liga-Topskorer und NHL-Profi Damien Brunner eintauschte, hat im Schweizer Eishockey nie mehr jemand so liederlich verhandelt wie die Oltner.
Chris McSorley fordert einen Modus wie in Deutschland
Seit Wohlwends Jobantritt bekam Olten auf Leihbasis immer wieder Spieler von Ajoie. Im Play-off-Viertelfinal schalteten die Solothurner auch dank der jurassischen Kavallerie den aussichtsreichsten Aufstiegskandidaten La Chaux-de-Fonds aus, und damit einen für Ajoie potenziell gefährlichen Konkurrenten. Mit dem EHC Visp befindet sich nur noch ein Aufstiegsanwärter im Rennen. Gewinnen die Walliser die Swiss League nicht, entfällt wie schon 2024 die Ligaqualifikation, womit Ajoies Klassenerhalt gesichert wäre.
Setzt sich Visp im Play-off-Halbfinal gegen Thurgau durch, ist sogar dieses Szenario möglich: dass sich Ajoie und Lugano ab Mitte März im Play-out-Final duellieren und erst hinterher herauskommt, dass diese Serie gar keine Rolle gespielt hat. Dann nämlich, wenn Visp gleichzeitig den Swiss-League-Final verliert. Dann hätte es Zuschauer bei Ajoie – Lugano gegeben, die zitterten und litten, mit der Pointe am Schluss: Kleiner Spass, haha, es gibt keinen Absteiger, aber danke, dass ihr trotzdem 66 Franken für den Sitzplatz bezahlt habt. Lässt sich das schon als Betrug am Zuschauer klassifizieren?
Ajoie ist seit dem Aufstieg von 2021 vier Mal in Folge abgeschlagen Tabellenletzter geworden, zu Platz 12 und zum vorzeitigen Klassenerhalt fehlten 9, 18, 26 und jetzt 24 Punkte. Man darf sich bei aller Aussenseiter-Romantik fragen, ob der Klub in der richtigen Liga spielt. Es ist völlig legitim, dass Ajoie im Kampf um den Klassenerhalt jedes Register zieht und Konkurrenten schwächt oder mit Winkelzügen eliminiert. Doch für die Glaubwürdigkeit des Schweizer Eishockeys sind die Vorgänge kontraproduktiv.
𝐂𝐨𝐦𝐦𝐮𝐧𝐢𝐪𝐮𝐞́ 📃
Au terme d’un premier tour de saison régulière bouclé avec 4 points seulement en 13 matchs, la direction du club a décidé de démettre Christian Wohlwend de ses fonctions avec effet immédiat, ceci afin d’apporter un nouveau souffle à l’équipe. pic.twitter.com/d4a1IP2B9v
— Hockey-Club Ajoie (@HC_Ajoie_off) October 21, 2024
Das Problem ist nicht Ajoie per se, sondern die geradezu groteske Ängstlichkeit des Gros der National-League-Klubs. Eigentlich existieren für sie mit den Play-outs und der mit vier Ausländern gespielten Ligaqualifikation mehr als genug Sicherheitsnetze. Wer durch diese fällt, hat den Abstieg vermutlich verdient. Chris McSorley, der Impresario des HC Siders, sagt: «Wir brauchen einen Modus wie in Deutschland: einen direkten Absteiger, sofern es aus der zweiten Liga einen Klub gibt, der die sportlichen und wirtschaftlichen Kriterien erfüllt.»
Heute ist das Utopie, denn einer solchen Modusänderung müssten 8 der 14 National-League-Organisationen zustimmen. Und vielerorts ist die Furcht vor einer potenziellen Relegation viel zu gross, um eine Ja-Stimme auch nur zu erwägen – man könnte ja im Zuge eines reinigenden Gewitters den Job verlieren.
In ihrem fehlgeleiteten Protektionismus unternehmen die National-League-Klubs alles, um das Nadelöhr noch kleiner zu machen. Dabei wäre es ja nichts als fair, dass es Konsequenzen hat, wenn man wie gegenwärtig der HC Lugano so lausig arbeitet, damit man in einer Vierzehner-Liga den letzten Platz belegen könnte.
Unter den National-League-Managern aber formierte sich in letzter Zeit emsiger Widerstand, selbst gegen eine von Siders portierte Regeländerung, die forderte, dass Swiss-League-Vereine bis zum Start der Ligaqualifikation von anderen Teams aus der eigenen Meisterschaft Ausländer verpflichten können. In der nächsten Saison tritt dieser Mechanismus in Kraft, er wurde auf höchster Ebene durchgesetzt.
Es ist ein seltener Triumph der Vernunft: In letzter Zeit hatten die Swiss-League-Klubs monatelang Ausländer beschäftigen und bezahlen müssen, die sie in der Meisterschaft praktisch nie einsetzen konnten – im Unterhaus sind pro Partie nur zwei Söldner spielberechtigt. La Chaux-de-Fonds nahm in dieser Saison vier Ausländer unter Vertrag, unter ihnen den Finnen Teemu Pulkkinen, einen ehemaligen NHL-Stürmer, der von einem Mäzen fremdfinanziert wurde. Er absolvierte nur zwei Spiele.
Gedanken über eine Verkleinerung der National League
Grundsätzlich ist es so, dass sich alle Beteiligten weitgehend darüber einig sind, dass eine Redimensionierung der in der Pandemie auf 14 Teams aufgestockten National League angezeigt wäre. Doch als vor drei Jahren über eine Ligareduktion abgestimmt wurde, war einzig der SC Bern dafür.
Dessen Manager Marc Lüthi, einer der wichtigsten Meinungsmacher in der Branche, sagt: «Die Aufstockung war ein Fehler. Aber wer hat in der Pandemie schon keine Fehler gemacht? Nicht einmal der Bund kann das behaupten. Ich ziehe den Hut vor Ajoie, vor ihrem Ideenreichtum. Wenn du gegen den Abstieg kämpfst, musst du kratzen, beissen, den anderen die Zähe einschlagen und weiss der Teufel was sonst noch bemühen.»
Ein allenfalls umsonst ausgetragenes Play-out sieht Lüthi gelassen, er sagt: «Wenn es so kommt, na und? Wir sind Dealer mit Emotionen. Und da wird es zwei Wochen lang Tränen und Dramen geben. Glauben Sie, dass Lugano nicht feiert, wenn es die Serie gewinnt und der Ligaerhalt geschafft ist?» Vielleicht kann man sich davon schon bald überzeugen.