Nun ist es definitiv: Minderjährige dürfen nicht abstimmen. Die Debatte im Nationalrat verlief recht ruhig – bis der Grüne Balthasar Glättli sich zu einem «Diktatur»-Vorwurf verleiten liess.
Mittwochmorgen um 10 Uhr. Eine Schulklasse steht vor dem Bundeshaus, die Schüler sind 15 Jahre alt, sie gehen ins Progymnasium. Kurze Frage in die Runde: Wisst ihr, was die 13. AHV ist, über welche das Volk am Sonntag abstimmt? Fast alle nicken. Nächste Frage: Wisst ihr, was Ergänzungsleistungen sind? Alle schütteln den Kopf.
Der Lehrer weiss es: Ergänzungsleistungen bekommen Pensionierte und Bezüger einer Invalidenversicherung, deren Rente nicht zum Leben reicht. Doch die nächste Frage kann auch der Lehrer nicht beantworten: Was passiert mit den Ergänzungsleistungen, wenn die Bevölkerung die 13. AHV-Rente annimmt?
Dafür kennt der 17-jährige David Rietzler die Antwort: «Rentnerinnen und Rentner erhalten weiterhin gleich viele Ergänzungsleistungen, auch wenn sie in Zukunft eine 13. AHV-Rente bekommen sollten.»
Rietzler muss es wissen. Der Gymnasiast engagiert sich für die Juso der Stadt Bern. Und er hat sich in den letzten Jahren für das Stimmrechtsalter 16 eingesetzt und war am Mittwoch deshalb auch im Bundeshaus zu Gast.
Ewiges Hin und Her
Dort hat der Nationalrat nun definitiv entschieden: Jugendliche müssen weiterhin warten, bis sie 18 Jahre alt sind. Vorher dürfen sie auch auf Bundesebene nicht abstimmen und wählen.
Dem Entscheid ist ein jahrelanges Hin und Her vorausgegangen. Die entsprechende parlamentarische Initiative kam 2019 von der Basler Nationalrätin Sibel Arslan: «Junge Menschen sind am längsten betroffen von den Entscheiden, die wir heute treffen», begründet Arslan, «beispielsweise in der Klimapolitik oder in Rentenfragen.» Deshalb müssten sie bereits früher mitentscheiden.
In der letzten Legislatur hatte Arslan noch eine Mitte-links-Mehrheit hinter sich. Der Nationalrat beauftragte damals die zuständige Staatspolitische Kommission wider ihren Willen, eine Vorlage auszuarbeiten.
Doch die Kommission arbeitete keine Vorlage aus, sondern empfahl dem Nationalrat am Mittwoch zum dritten Mal eine Abschreibung des Begehrens. Christian Wasserfallen (FDP) begründete den Entscheid im Namen der Kommissionmehrheit mit dem fehlenden Volkswillen und stützte sich dabei auf die Vernehmlassung aus dem Jahr 2022. 25 Kantone hatten mitgemacht, 15 sprachen sich gegen das Stimmrechtsalter 16 aus, 7 waren dafür, 3 hatten sich enthalten. Ausserdem haben Bern und der Kanton Zürich im Jahr 2022 das Stimmrechtsalter 16 auf kantonaler Ebene deutlich abgelehnt. Wasserfallen schloss daraus: «Das doppelte Mehr ist im Volk schlicht unerreichbar.»
Und dann noch ein «Diktatur»-Vorwurf
Die linke Minderheit warf der Kommission daraufhin «Arbeitsverweigerung» vor. Der Grüne Balthasar Glättli war sich dabei nicht zu schade, sogar die Worte «Diktatur der Kommissionsmehrheiten» in den Mund zu nehmen. Diese drohe, wenn das Beispiel Stimmrechtsalter 16 Schule mache. Es gehe nicht an, dass gerade die Staatspolitische Kommission, die unter anderem für die Gewaltenteilung zuständig ist, dem Auftrag des Nationalrats nicht folge.
Der Vorwurf sei «Unsinn», widersprach Christian Wasserfallen. «Eine Kommission kann laut Parlamentsgesetz eine Abschreibung einer parlamentarischen Initiative beantragen», rief Wasserfallen in Erinnerung und sprach Glättli ins Gewissen: «Benutzen Sie das Wort ‹Diktatur› bitte vorsichtig in der Schweiz.»
Neue Legislatur, neues bürgerliches Glück
Für die Bürgerlichen hiess es bei der Schlussabstimmung: neue Legislatur, neues Glück. Die Mitte war zwar nach wie vor gespalten, doch der kleine Rechtsrutsch bei den Wahlen im Oktober machte sich bemerkbar. Die Mehrheit des Nationalrats schickte die parlamentarische Initiative bachab. Das Stimmrechtsalter müsse an die Mündigkeit geknüpft bleiben, argumentierte die Mehrheit. Es ergebe keinen Sinn, abzustimmen, aber beispielsweise keine Verträge abschliessen zu können. Thomas Matter (SVP) fragte beispielsweise: Sollen die 16-Jährigen auch eine Steuererklärung ausfüllen? Und sein Parteikollege Paolo Pamini doppelte nach: Sollen 16-Jährige auch ins Militär und das Vaterland verteidigen? Worauf die Linke wiederum erwiderte, bei Ausländern seien Stimmrecht und Steuern auch nicht verknüpft.
Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist das Verdikt nicht so klar. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass 16-Jährige gleich gut (oder schlecht) informiert sind wie 18-Jährige. Entscheidend ist, ob sie abstimmen oder wählen dürfen: Ist es ihnen erlaubt, informieren sie sich vorher. Natürlich nur, sofern sie politikinteressiert sind – was wiederum vor allem vom Elternhaus abhängt.
Der 17-jährige David Rietzler ist enttäuscht vom Entscheid des Nationalrats. Und freut sich umso mehr, bis er endlich 18 Jahre alt ist. Derweil hoffen seine Genossen in Riehen auf den 3. März. Die Basler Gemeinde stimmt dann über ein Stimmrechtsalter 16 auf kommunaler Ebene ab.