Der oberste Bankenaufseher wünscht sich eine schlagkräftige Finanzmarktaufsicht und fordert mehr Personal. Er will früher eingreifen und Bussen aussprechen. Für ihn ist auch klar: Die UBS braucht zusätzliches Kapital.
Herr Walter, der Bundesrat hat Sie für einen Job in die Schweiz geholt: die UBS zu beaufsichtigen. Warum sind Sie der Richtige für diese Aufgabe?
Ich habe in meinen über dreissig Jahren in der Bankenaufsicht vieles gesehen und erlebt. Ich habe bei der amerikanischen Zentralbank Fed, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und der Europäischen Zentralbank gearbeitet. Dabei habe ich eine solide Perspektive darauf entwickelt, was Best-in-Class-Aufsicht bedeuten kann. Diese Erfahrung werde ich nun bei der Finma einbringen.
Sie wollen mit der Finma also Klassenbester werden. War das in der CS-Krise im März 2023 nicht der Fall?
Ich habe die CS-Krise aus der Euro-Zone beobachtet. Das war eine sehr systemische Situation. Zuerst lösten einige Regionalbanken in den USA eine Finanzkrise aus, die dann in die Schweiz überschwappte. Die Schweizer Behörden, inklusive der Finma, haben das Problem gelöst und die Stabilität wiederhergestellt.
Sie weichen aus: Gab es in der CS-Krise Dinge, die die Finma hätte besser machen können?
Es ist nicht meine Rolle, zu hinterfragen, was die Finma hätte besser machen sollen. Es liegen bereits mehrere Berichte zu dieser Frage vor – auch derjenige der Finma –, und Ende des Jahres erscheint der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission. Mein Fokus liegt darauf, nach vorne zu schauen und für eine Best-in-Class-Aufsicht zu sorgen: Wir wollen Risiken frühzeitig erkennen und Missstände schnell beheben. Dafür braucht es die nötigen Kompetenzen, um in der Phase der Ruhe effektiv eingreifen zu können.
Die Finma kämpfte oft damit, von den CS-Bankern nicht ernst genommen zu werden. Wie wollen Sie sich den Respekt der UBS verschaffen?
Die Finma braucht zusätzliche Kompetenzen und Instrumente, um in der Aufsicht effektiv zu sein. Mit diesem neuen Rahmen werden wir konsequent eingreifen, wenn wir Probleme sehen, und wenn nötig eskalieren. Bei der Fed und in der Euro-Zone habe ich gelernt: Es hilft, wenn man diese Möglichkeit in der Hinterhand hat.
Und auf der psychologischen Ebene: Wie verschafft man sich Respekt gegenüber dem Topmanagement einer globalen Grossbank?
Entscheidend ist, klare Regeln und Erwartungen festzulegen. Ein wichtiger Grundsatz lautet: keine Überraschungen. Ich erwarte, dass mich ein Finanzinstitut proaktiv über alle Entwicklungen informiert, die für die Stabilität des Instituts materiell sind. Ich verlange vollständigen und ungefilterten Zugang zu allen Informationen. Ich will das Institut so sehen, wie es ist. Ich will nicht gemanagt werden.
Und wenn eine Bank nicht kooperiert?
Dann kann man härtere Aufsichtsmethoden einsetzen, beispielsweise mehr Vor-Ort-Kontrollen. Im Extremfall muss man die Möglichkeit haben, einzelne Personen verantwortlich zu machen und, wenn nötig, zu entfernen. Diese Kompetenzen braucht die Finma in Zukunft.
Sie haben bereits die Möglichkeit, hochrangigen Bankvertretern die Gewähr zu entziehen. Warum brauchen Sie noch mehr Instrumente?
Es geht darum, einzelnen Personen Verantwortung zuzuweisen. Die Hürde dafür ist gemäss heutiger Rechtslage sehr hoch. Darum benötigen wir ein Senior-Manager-Regime, um früher und stärker eingreifen zu können, wenn Warnsignale vorliegen.
Die Finma fordert auch die Kompetenz, Bussen gegen einzelne Banken auszusprechen. Die Wirkung dieses Instruments ist umstritten, da letztlich der Aktionär die Strafe zahlt.
Die Bussgelder müssen hoch genug sein, um nicht einfach als Teil des Geschäftsaufwands verbucht zu werden. Sie müssen veröffentlicht werden können, um einen «Naming and Shaming»-Effekt zu haben. In der Euro-Zone gibt es zudem das sogenannte «Periodic Penalty Payment»: Jeden Tag, an dem ein Missstand nicht behoben wird, wird ein bestimmter Betrag fällig. Das kann sehr effektiv sein.
Was halten Sie von Rückforderungsklauseln für bereits ausbezahlte Boni?
Sie können als Abschreckungsmittel hilfreich sein. Noch effektiver sind aber präventive Massnahmen. Mit dem Senior-Manager-Regime können wir die verantwortliche Person im Management direkt angehen und auf die Vergütung einzelner Manager Einfluss nehmen. Die britischen Aufsichtsbehörden haben damit grossen Erfolg.
Sie wollen also Boni-Kürzungen als Aufsichtsinstrument einsetzen?
Nicht routinemässig, nur in schwerwiegenden Fällen. Das heutige «Too big to fail»-Gesetz erlaubt es, Vergütungen erst zu kürzen, wenn bereits Steuergelder geflossen sind.
Sie wollen künftig häufiger informieren, wenn Sie gegen Finanzinstitute Durchsetzungsverfahren eröffnen. Was ist die Idee dahinter?
Heute ist die Veröffentlichung von Enforcement-Verfahren die Ausnahme. Künftig soll die Nichtkommunikation die Ausnahme sein.
Was ist der Nutzen des «Naming and Shaming»?
Es hat eine disziplinierende Wirkung, wenn ein Institut weiss, dass eine aufsichtsrechtliche Massnahme öffentlich wird. Zusätzlich zeigt es, was die Aufsicht bewirkt. Das Dilemma jeder Aufsichtsbehörde ist: Wenn etwas schiefgeht, weiss es jeder. Wenn etwas verhindert wird, weiss es keiner.
Zusammengefasst wollen Sie früher und schlagkräftiger eingreifen. Ab wann ist Frühintervention gerechtfertigt?
Es gibt keinen einzelnen Indikator, das hängt von der Situation ab. Eine Option sind Stresstests. Wenn die Risiken im Verhältnis zur Kapitalisierung schlecht sind, verlangen wir Zuschläge beim Eigenkapital. Wenn eine Bank in einem Geschäftsbereich Risikokontrollen vernachlässigt, kann ein Wachstumsverbot sinnvoll sein, bis der Missstand behoben ist. Je früher man ein Problem erkennt, desto wirkungsvoller ist man.
Bei den Eigenkapitalauflagen wollen Sie weiter gehen und fordern, dass die UBS die Beteiligungen des Stammhauses mit mehr Eigenkapital unterlegen muss. Gehen Sie damit kurz nach Amtsantritt auf Konfrontationskurs mit der UBS-Führung?
Es geht nicht darum, eine Fehde zu starten, sondern um die Frage, welche Rahmenbedingungen die Aufsicht braucht, um die Stabilität des Instituts zu sichern. Mein Fokus ist, dass Steuerzahler nicht einspringen müssen, um ein Institut in der Krise zu retten.
Wo braucht die UBS Ihrer Meinung nach mehr Eigenkapital?
Auf Gruppenstufe einer Bank braucht es genug Kapital, um die Wahrscheinlichkeit und das Ausmass einer Krise zu minimieren. Wichtig ist auch die Verteilung des Kapitals innerhalb der Bank, was in der Stabilisierungs- oder Abwicklungsphase entscheidend ist. Das hat die CS-Krise gezeigt.
Die UBS argumentiert, dass sie aufgrund des Wachstums durch die Übernahme der CS ohnehin schon deutlich mehr Eigenkapital halten muss. Die Behörden würden mit ihren Forderungen «überschiessen».
Die Kapitalerfordernisse nehmen mit zunehmender Grösse zu. Die Verteilung des Kapitals ist damit aber nicht gelöst: Wir wollen, dass auch das Stammhaus genug Puffer hat, um in einer Krise nicht zum Flaschenhals zu werden.
Teilen Sie die Auffassung der Ökonomen Modigliani und Miller, dass die Höhe des Eigenkapitals im Vergleich zum Fremdkapital keinen Einfluss auf den Wert eines Unternehmens hat?
Ich bin kein Modigliani-Miller-Purist, der sagt, man könne die Eigenkapitalquote bis auf 30 Prozent hochjagen, ohne Effekt. Die Daten, um diese Hypothese zu testen, fehlen. Ich glaube, eine stärkere Kapitalisierung kann die Resilienz eines Instituts erhöhen. Bei systemrelevanten Grossbanken haben wir diesen Spielraum noch nicht ausgereizt.
Die UBS will wachsen und vergleicht sich mit amerikanischen Grossbanken wie Morgan Stanley. Bereitet Ihnen das Bauchschmerzen?
Die UBS muss selbst entscheiden, wen sie als Mitbewerberin sieht. Für uns ist wichtig, dass ein Institut über ein tragbares Geschäftsmodell verfügt und seine Kapitalkosten verdient. Solange das Institut die Mindestrahmenbedingungen einhält, ist das Geschäftsmodell nicht unsere Sache.
Darf die UBS aus Ihrer Sicht noch weiterwachsen?
Wenn die Rahmenbedingungen eingehalten sind, ist es dem Institut überlassen, das Geschäftsmodell zu bestimmen. Letztlich profitieren wir alle von sicher geführten Banken, welche nachhaltig wachsen und Gewinne machen.
Die UBS wird oft mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Bilanzsumme sei bereits doppelt so hoch wie das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz. Die Bankverantwortlichen halten diese Kennzahl für wenig aussagekräftig. Wie sehen Sie das?
Die Kennzahl zeigt, wie wichtig oder gross ein Institut im Verhältnis zu einer Volkswirtschaft ist. Das Verhältnis von Bilanzsumme der UBS und BIP der Schweiz ist ein x-Faches im Vergleich zu ähnlich grossen Banken in anderen Ländern. Der Vergleich mit dem Ausland würde sich auch mit anderen Methoden kaum ändern.
Nach der CS-Krise kam der Vorschlag, die Schweizerische Nationalbank solle eine stärkere Rolle bei der Überwachung der Banken spielen. Sollte sich die Schweiz den Systemwechsel überlegen?
Es gibt für beide Modelle Beispiele, wo es gut und weniger gut lief. Zwei respektierte Aufsichtsbehörden, die in der grossen Finanzkrise nicht in Schwierigkeiten gerieten, sind Australien und Kanada. Beide haben eine integrierte Aufsicht ausserhalb der Notenbank, wie die Schweiz. Einfach das System zu wechseln, ist meiner Meinung nach nicht die Lösung.
Eine andere Eigenheit der Schweiz ist das dualistische System: Die vier grossen Prüfgesellschaften nehmen der Finma einen erheblichen Teil der Aufsichtsarbeit ab. Wie sehen Sie dieses System?
Der Internationale Währungsfonds und das Financial Stability Board haben das dualistische System kritisiert, da es zu Interessenkonflikten führen kann. Die Aufsicht muss die Freiheit haben, zu bestimmen, welche Vor-Ort-Kontrollen sie selbst durchführt, und darf dabei nicht durch das Gesetz eingeschränkt werden. Vor-Ort-Kontrollen durch eigenes Personal sind unerlässlich für eine effektive Aufsicht.
Das heisst ausformuliert, dass Sie mehr Personal brauchen.
Ein Systemwechsel hätte Auswirkungen auf das Personal.
Können Sie den Bedarf beziffern? Ist es substanziell?
Ich glaube, dass es einen durchaus substanziellen Effekt auf den Personalbestand haben würde. Für eine genaue Zahl ist es noch zu früh.
Eine weitere Schweizer Eigenart in der Bankenaufsicht ist die Aufgabenteilung zwischen Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Als Finma-Direktor müssen Sie bei «Geschäften von grosser Tragweite» automatisch beim Verwaltungsrat antraben. Ist das noch zeitgemäss?
Wichtig ist, dass die Finma einen unabhängigen Verwaltungsrat hat und nicht einem Departement oder einer anderen Bundesbehörde unterstellt ist. Was als Geschäft von grosser Tragweite definiert wird, wäre auch bei anderen Aufsichtsbehörden ein Thema im Verwaltungsrat. Ich sehe da kein grosses Problem.
Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit der Finma-Präsidentin Marlene Amstad?
Sehr gut. Wir sehen uns regelmässig und haben einen guten Austausch. Frau Amstad und der Verwaltungsrat geben mir den vollen Spielraum, den ich benötige.
Kennen Sie und Frau Amstad sich schon von früher?
Wir hatten uns einmal vor zwanzig Jahren bei der New York Fed getroffen. Dann haben sich unsere Wege nicht mehr gekreuzt.
Sie sind in den USA aufgewachsen und sind neu in der Schweiz. Welche kulturellen Eigenheiten der Schweizer haben Sie überrascht?
Ich habe schon früher in der Schweiz gelebt, von 1994 bis 1996 und von 2006 bis 2011. Ich schätze die Höflichkeit, den Konsens, das politische System und die direkte Demokratie. Das sind sehr positive Aspekte.
Es gab in der Vergangenheit Phasen, in denen die Finma von politischer Seite stark unter Druck geriet. Sind Sie dafür gewappnet?
Ich versuche einfach, meinen Job zu machen. Der Job ist wichtig für mich, ich gebe mein Bestes. Es gibt aber auch andere Teile meines Lebens, die mir den Ausgleich geben.
Welche wären das?
Familie, Hobbys, und ich habe nach vierzig Jahren Pause wieder angefangen, Geige zu spielen.
Wohnen Sie in Bern oder in Zürich?
Ich habe meine Hauptwohnung in Zürich und eine kleinere Wohnung in Bern. Ich verbringe etwa die Hälfte meiner Arbeitszeit in Zürich, die andere Hälfte in Bern. Die Abwechslung zwischen den beiden Städten finde ich schön.
Amerikanisch geprägter Profi-Aufseher
Stefan Walter (59) verbrachte das letzte Jahrzehnt bei der Europäischen Zentralbank, wo er für die Überwachung europäischer Banken zuständig war; darunter befanden sich auch etliche global systemrelevante Institute wie die UBS. Walter folgt auf Urban Angehrn, der im September 2023 aus gesundheitlichen Gründen als Finma-Chef abgetreten ist. Vor der EZB hat Walter als Generalsekretär des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht die Reform der Bankenregulierung im Nachgang zur globalen Finanzkrise koordiniert. Vor einem Abstecher bei der Beratungsfirma EY verbrachte er dreizehn Jahre bei der Federal Reserve Bank of New York, wo er sich mit Bankenaufsicht und Finanzstabilität befasste. Walter hat in Berkeley und an der Columbia University in den USA Banking und Finance studiert. Er hat drei erwachsene Kinder.