Die Fluktuation im Zürcher Stadtparlament ist gross. Der neue Ratspräsident Guy Krayenbühl möchte etwas dagegen unternehmen.
Er ist Jurist, Arztsohn, in der Zürcher Altstadt aufgewachsen, gesellig und kultiviert – aber kein Freisinniger. Politisch Karriere gemacht hat Guy Krayenbühl trotzdem. Seit Mittwochabend ist der 56-jährige Grünliberale der «höchste Stadtzürcher». Das 125-köpfige Stadtparlament hat ihn mit exakt 100 Stimmen zu seinem Präsidenten für ein Jahr gewählt. Er tritt die Nachfolge von Sofia Karakostas (SP) an.
Dass Guy Krayenbühl im Jahr 2005 der damals frisch gegründeten GLP beigetreten ist, hat vor allem mit einer Personalie zu tun. Er habe Martin Bäumle, den Parteigründer und Excel-Politiker, «einfach genial» gefunden. Dazu kommt Krayenbühls Fachgebiet: das Umweltrecht. Als Zürcher Staatsanwalt arbeitet er seit bald 15 Jahren in diesem Bereich.
Wenn ein Bauer die Gülle während der Vegetationsruhe im Winter verteilt oder jemand das Wasser seines Swimmingpools falsch abpumpt und so Fische gefährdet, kommt Krayenbühl ins Spiel. Das «Grün» im Parteikürzel ist ihm denn auch besonders wichtig.
Seit 2015 sitzt Krayenbühl im Gemeinderat; 2019 verpasste er die Wahl in den Kantonsrat um gerade einmal vier Stimmen. Dass Staatsanwälte gleichzeitig politisch aktiv sind, ist unüblich. Probleme mit der Gewaltenteilung sieht Krayenbühl aber nicht.
In einem Interview mit dem «Tagblatt» erwähnte er, dass seine beiden Ämter sich kaum berührten. Nur einmal habe er einen Vorstoss eingereicht, der sein Berufsfeld tangierte. Konkret forderte er den Zusammenschluss der Abteilungen der Stadt- und Kantonspolizei im Bereich der digitalen Forensik.
Autos am Neumarkt, Tanzverbot am Karfreitag
In seiner Antrittsrede betonte Krayenbühl in reinem Zürichdeutsch, wie stark sich die Stadt in seiner Lebenszeit verändert habe. Als er 1968 auf die Welt gekommen und im «Dörfli» aufgewachsen sei, habe der Ausländeranteil in Zürich bei 16 Prozent gelegen. Heute seien es 33 Prozent. Dieser grosse Anteil der Stadtbevölkerung, der hier wohne und Steuern zahle, sei im Gemeinderat nicht vertreten, bedauerte Krayenbühl. Aber irgendwann werde sich das Prinzip «no taxation without representation» durchsetzen.
Insgesamt ist Krayenbühl jedoch sehr zufrieden damit, wie sich die Stadt in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. «Sie wurde interkantonaler, internationaler, liberaler und urbaner.» Heute sei die Stadt so lebenswert, dass alle wieder hier leben wollten – im «grössten natürlichen Habitat für soziale Wesen der Schweiz». Das sei nicht immer so gewesen.
Kaum vorstellbar sei es heute, dass früher noch Autos am Neumarkt fuhren und das Betreten von Rasenflächen am See verboten war. Am Karfreitag war es untersagt zu tanzen, und die Restaurants und Bars schlossen um Mitternacht. Vieles habe sich zum Guten verändert, sagte Krayenbühl – und so solle es weitergehen.
Auf die üblichen Floskeln zum Amtsantritt verzichtete der neue Präsident weitgehend, etwa auf den Wunsch nach einem effizienten Ratsbetrieb oder einer gepflegten Debattenkultur. Nur so viel: «Hören wir uns gegenseitig gut zu, und halten wir Sorge zu unseren demokratischen Institutionen!» Die Ratsmitglieder im Saal quittierten den Aufruf mit Applaus und verschoben im Anschluss an die offizielle Feier im Lydia-Welti-Escher-Hof beim Kunsthaus.
Als Vizepräsidenten unter Krayenbühl waren zuvor Christian Huser (FDP) und Ivo Bieri (SP) gewählt worden.
Höhere Entschädigungen?
Für die Grünliberalen ist es das zweite Mal, dass sie das formell höchste Amt in der Stadt Zürich innehaben. Zuletzt waren sie 2015 an der Reihe, damals mit dem Wirtschaftshistoriker Matthias Wiesmann.
Daran zeige sich, dass die GLP definitiv in der institutionellen Politik angekommen sei, sagt der Fraktionschef Sven Sobernheim auf Anfrage. «Wir sind nicht die Eintagsfliege, für die uns Gewisse gehalten haben.» Mittlerweile stellen die Grünliberale die viertgrösste Fraktion im Gemeinderat – nach SP, FDP und Grünen.
Wie alle Parteien beschäftigt auch die GLP die hohe Fluktuation ihrer Ratsmitglieder. Der am Mittwoch veröffentlichte Tätigkeitsbericht des Parlaments zeigt, dass es pro Amtsjahr zu durchschnittlich zwölf Rücktritten kommt. Der Anteil der Gemeinderäte, die weniger als drei Jahre dem Rat angehören, liegt bei hohen 53 Prozent.
Es ist eine Tendenz, die den neuen Ratspräsidenten Krayenbühl umtreibt. Der Rat müsse Wege finden, Beruf, Familie und politisches Amt besser unter einen Hut zu bringen, findet er. Ein Mittel sieht der GLP-Mann in höheren Entschädigungen für die Parlamentarier. Eine Forderung, die nicht alle Parteien unterschreiben dürften.
Sicher ist: Der Gemeinderat, das wohl lebhafteste Parlament der Schweiz, wird hitzig darüber diskutieren – nun unter neuer Führung.