Wer mit Lotterien einen Millionengewinn macht und noch im gleichen Jahr in eine steuergünstige Gemeinde umzieht, kann hohe Summen sparen. Wegen eines spektakulären Falls verlangt das Bundesparlament nun eine Änderung der Steuerregeln.
Rund 65 Millionen Franken. So viel hat am letzten Samstag ein Spieler im Schweizer Zahlenlotto gewonnen. Der bisherige Rekordgewinn im Schweizer Lotto lag bei knapp 49 Millionen Franken (2014). Noch höhere Gewinne gab es beim internationalen Lotto «Euro Millions»: Gemäss Swisslos liegt der Rekordgewinn in der Schweiz bei 230 Millionen Franken.
Auch der Fiskus profitiert. Bei Lottogewinnen ist zwar die erste Million steuerfrei. Doch Gewinnanteile über diesem Freibetrag unterliegen der Verrechnungssteuer von 35 Prozent und dann der Einkommenssteuer. Der Gewinner vom letzten Samstag erhielt netto somit rund 42 Millionen Franken. Die Verrechnungssteuer bekommt der Gewinner zurück bei der Deklaration des Bruttogewinns als Einkommen.
10 Millionen Sparpotenzial?
Nach geltendem Recht könnte der Gewinner vom Samstag durch einen Wechsel des Wohnsitzes im Lauf dieses Jahres an einen steuergünstigeren Ort viele Millionen Steuern zahlen. Denn nach geltendem Recht ist für den Ort der Besteuerung der Wohnsitz des Betroffenen am Ende des Gewinnjahres massgebend. Die Bandbreite der Steuerbelastungen auf Millioneneinkommen reicht dieses Jahr in der Schweiz von gut 22 Prozent (günstigste Gemeinde im Kanton Zug) bis zu über 46 Prozent (teuerste Gemeinde im Kanton Genf).
Der Gewinner stammt laut der Lotteriegesellschaft Swisslos aus der Deutschschweiz oder aus dem Tessin. Wohnt der Glückspilz derzeit zum Beispiel in der Stadt Zürich, fällt auf dem Lottogewinn eine Einkommenssteuer von etwa 25 Millionen Franken an. Bei einem Wohnsitzwechsel in den Kanton Zug könnte die betroffene Person etwa 10 Millionen Franken Einkommenssteuern sparen. Bei einem Wohnsitzwechsel in eine steuergünstige Aargauer Gemeinde läge eine Ersparnis von etwa 5 Millionen Franken drin.
Das ist nicht nur Theorie. Deshalb will das Bundesparlament solchen Steuertourismus von Lotto-Millionären unterbinden. Den Anlass lieferte ein Fall im Kanton Solothurn. Ein Steuerpflichtiger knackte im vergangenen Jahr den Jackpot von «Euro Millions» und kassierte 68 Millionen Franken. Der Gewinner zog rasch in eine steuergünstige Gemeinde des Kantons um und sparte damit Millionen an Steuern.
Der damalige Solothurner SP-Ständerat Robert Zanetti verlangte in der Folge mit einer Motion, dass Millionengewinne aus Lotterien und sonstigen Glücksspielen künftig am Wohnsitz des Betroffenen zum Zeitpunkt des Gewinns zu versteuern sind. Das soll die kurzfristige Steuerflucht von Lottomillionären eindämmen.
Ausnahmeliste wird länger
Gemäss dem nationalen Steuerharmonisierungsgesetz liegt im Prinzip die Einkommenssteuerpflicht bei interkantonalen Wohnsitzwechseln in jenem Kanton, in dem der Pflichtige am Ende der Steuerperiode seinen Wohnsitz hat. Das soll bei Wohnsitzwechseln den Verwaltungsaufwand beschränken. Das Gesetz sieht allerdings einzelne Ausnahmen vor, namentlich bei Kapitalleistungen aus Vorsorgeeinrichtungen; bei diesen ist der Wohnsitz zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Leistung für die Besteuerung massgebend. Gemäss dem parlamentarischen Vorstoss soll diese Ausnahmeregelung künftig auch für steuerpflichtige Gewinne aus Lotterien und sonstigen Glücksspielen gelten.
Der Bundesrat sprach sich für die Änderung aus. Und der Ständerat hatte den Vorstoss im vergangenen September oppositionslos unterstützt. Diesen Mittwoch hat auch der Nationalrat zugestimmt, mit 96 zu 88 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Die Befürworter (Linke, Mitte) wollen vor allem die Steuerumgehung bekämpfen. Die Gegner (SVP, FDP) warnten davor, wegen nur weniger Fälle ein neues System mit mehr Verwaltungsaufwand aufzubauen. Zudem könne der Fiskus schon heute eingreifen, wenn der Lebensmittelpunkt des Pflichtigen trotz Wechsel des steuerlichen Wohnsitzes unverändert bleibe.
In 20 der 26 Kantone werden Lotteriegewinne zum ordentlichen Einkommen dazugeschlagen und mit der regulären Einkommenssteuer belegt. Zur Berücksichtigung der massgebenden Steuerprogressionsstufe wäre deshalb bei Kantonswechseln von frischen Lottomillionären eine Koordination der betroffenen Kantone nötig. Einfacher ist die Besteuerung bei Wohnsitzwechseln nach Kapitalleistungen aus Vorsorgeeinrichtungen: Solche Kapitalleistungen werden überall separat zu einem Sondersatz besteuert.
28 Fälle pro Jahr
Wohnsitzwechsel von neuen Lottomillionären dürften Seltenheitswert haben. Für die vergangenen zehn Jahre weist die Lottogesellschaft Swisslos durchschnittlich 28 neue Lottomillionäre pro Jahr aus. Hinzu kommen zu versteuernde Millionengewinne von Schweizer Pflichtigen aus anderen Glücksspielen besonders im Ausland. Nicht jeder Glückspilz dürfte gleich den Wohnsitz wechseln; noch stärker gilt dies wohl nach der geforderten Regeländerung, die den steuerlichen Anreiz zum raschen Umzug deutlich senkt.
Nach der Zustimmung beider Parlamentskammern zur Motion muss der Bundesrat nun einen konkreten Gesetzesvorschlag für die Umsetzung bringen. Ironischerweise könnte der Solothurner Fall, der die bundespolitische Debatte ausgelöst hatte, auch mit der geforderten Gesetzesänderung immer noch passieren. Denn die massgebende Passage im nationalen Steuerharmonisierungsgesetz regelt die Steuerpflicht nur bei Umzügen über die Kantonsgrenzen. Bei Wohnsitzwechseln innerhalb eines Kantons könnten die Kantone im Sinne des Föderalismus weiterhin ihre eigenen Regeln aufstellen.
Die Bestimmungen im Kanton Solothurn zum steuerlich massgebenden Zeitpunkt des Wohnsitzes nehmen allerdings Bezug auf das nationale Steuerharmonisierungsgesetz; mit dessen Änderung wäre somit zumindest in Solothurn die Praxis bei Wohnsitzwechseln innerhalb des Kantons ebenfalls betroffen – sofern der Kanton seinen Rechtsrahmen nicht ändert.
Beim Schweizer Zahlenlotto werden laut Swisslos 54,5 Prozent der Spieleinsätze als Gewinne ausgeschüttet. Die Teilnehmer zahlen somit auf ihren Einsätzen gemessen an der Differenz zur statistischen Gewinnerwartung eine Art «Steuer» von 45,5 Prozent. Das ist optisch sehr viel, doch es gibt zwei Unterschiede zu einer richtigen Steuer: Die Teilnehmer zahlen den Einsatz freiwillig, und sie dürfen dafür von einem Millionengewinn träumen.
Man könnte vermuten, dass die Lottospieler vor allem aus mittleren und tieferen Einkommensschichten stammen. Doch Swisslos erklärte auf Anfrage mit Bezug auf Marktforschungsdaten, dass jeder zweite Spieler beim Schweizer Zahlenlotto «in der höchsten erhobenen Einkommensklasse» liege. Diese Klasse sei «statistisch signifikant übervertreten».