Irrwitzige Preissteigerungen, überquellende Kleiderschränke und kreative Einfallslosigkeit: Italiens Modeindustrie steckt in der Krise.
Die Show muss weitergehen. Auch ohne Regisseur. Wie schon vor zwei Jahren, als Gucci sich kurz vor den Mailänder Modeschauen Knall auf Fall von seinem Chefdesigner Alessandro Michele trennte. Genauso abrupt warf das italienische Luxuslabel diesmal auch den Nachfolger Sabato De Sarno raus. Nur 20 Monate hatte er Zeit gehabt, die angeschlagene Marke zu beleben.
Ein Déjà-vu voller Symbole
Doch im Abstiegskampf Guccis misslang es De Sarno, einen neuen Funken zu entzünden. Also präsentierte die Marke zum Auftakt der Modewoche in Mailand nun die Kollektion ihres anonymen Designteams. Unter dem Titel «Kontinuum» liess man die Stilgeschichte des 104 Jahre alten Labels Revue passieren.
Es war ein Déjà-vu voller Symbole. Der Laufsteg bildete die Form des doppelten G nach, des weltberühmten Logos der Marke. Grosszügig über die Kollektion verteilt war die klassische Pferdetrense, die vor 70 Jahren erstmals als Verschluss an der Schultertasche Horsebit auftauchte. Nun baumelte sie als Kettenanhänger in tiefen Décolletés oder umschloss schmale Taillen.
Hier und dort beschwor man den minimalistischen Geist der neunziger Jahre des Designers Tom Ford herauf, dann wieder den Hang zur Opulenz des Maximalisten Alessandro Michele. Der Tennisstar Jannik Sinner sass in der ersten Reihe – zwischen dem Gucci-Chef Stefano Cantino und der Vogue-Chefin Anna Wintour.
Cantino ist noch ein Neuling bei Gucci. Er übernahm im Januar den anspruchsvollsten Job, den es in der kriselnden Luxusbranche zu vergeben gab. Hinter dem Modehaus liegt ein spektakulärer Absturz. 2023 war der Umsatz um 33 Prozent nach unten gerauscht. Im vergangenen Jahr sackte er nochmals um 23 Prozent auf 7,6 Milliarden Euro ab. Das Debakel ihrer Kernmarke schlug auf die französische Mutterholding Kering durch. Der zweitgrösste Luxuskonzern weltweit meldete für 2024 einen Umsatzrückgang um 12 Prozent auf 17,2 Milliarden Euro. Der Gewinn brach ein, der Aktienkurs stürzte ab.
Luxusmode ist kein Selbstläufer mehr
Wie unter einem Brennglas offenbart der Niedergang Guccis die Sorgen einer ganzen Branche. Luxusmode war lange ein Selbstläufer. Krisenfest, heiss begehrt und mit einer rasant wachsenden, zahlungskräftigen Kundschaft gesegnet. Das ist vorbei.
Zwischen 2022 und 2024 haben die Hersteller von Luxusgütern global 50 Millionen Kunden verloren, schätzt die Beratungsfirma Bain. Sogar beim Branchenführer LVMH ging es erstmals abwärts. Der Pariser Luxuskonzern von Supermilliardär Bernard Arnault, dem auch viele italienische Marken gehören, verbuchte 2024 einen Umsatzrückgang um 2 Prozent auf 84,7 Milliarden Euro.
In Venedig gab es erste Konsequenzen: Am Canal Grande schliesst der Konzern nach acht Jahren sein Luxuskaufhaus im Fondaco dei Tedeschi, der den deutschen Kaufleuten vor 500 Jahren als Handelshof diente. Weil den Touristen die Kauflaune vergangen ist, verlieren hier nun 200 Beschäftigte ihren Job.
Italiens Vorzeigebranche ist in eine strukturelle Krise geschlittert. 2024 ging das Modegeschäft inklusive der Sparten Schmuck, Brillen und Kosmetik um 5,3 Prozent zurück. Der Umsatz fiel auf 96 Milliarden Euro. Wobei der Rückgang im textilen Kerngeschäft wesentlich höher ausfällt. «Wir haben es nicht mit einem Abschwung zu tun, sondern mit einem grundlegenden Wandel», sagte Raffaello Napoleone, der Chef der Herrenmodemesse Pitti in Florenz, zu Jahresbeginn. Wobei es Ausnahmen gibt, wie Miu Miu, das kometenhaft wachsende junge Prada-Label.
Die Kleiderschränke quellen über, das Begehren ist gesättigt
Kaufzurückhaltung, nachlassende Originalität im Design, Strategiefehler und Kursverluste an der Börse haben die erfolgsgewohnten Label verunsichert. Das Personalkarussell dreht sich immer schneller. Für die Chefposten werden Leute gesucht, denen ein Spagat gelingt. Sie müssen den Wachstumsdruck, unter dem die glamourösen Wunschfabriken mit ihren millionenschweren Marketingbudgets stehen, mit einer unbequemen Realität in Einklang bringen: dem Überquellen der Kleiderschränke und einer Sättigung des Begehrens.
Noch dringender scheint der kreative Neuanfang zu sein. Wenige Tage vor dem Rauswurf von De Sarno bei Gucci wurden auch bei Dior Homme und Maison Margiela die Designer abgelöst. Im Dezember gingen bei Chanel und Bottega Veneta neue Stilisten an den Start. Spekuliert wird über Wechsel bei Fendi, Missoni und Tom Ford. In Mailand debütierten bei Alberta Ferretti und bei Blumarine neue Designer. Kurz darauf verkündete Jil Sander den Abgang von Lucie und Luke Meier. Branchenbeobachter erinnert das inzwischen an den Transfermarkt im Fussballgeschäft.
Richtig weh tut die Absatzschwäche der glamourösen Marken den Auftragsherstellern. Ausgerechnet, möchte man sagen. Denn Italiens Vorrangstellung in der Modeindustrie gründet auf einem Netz flexibler, hoch spezialisierter Zulieferfirmen. Sie bilden eine intakte Produktionskette, die andere Länder in Europa längst verloren haben. Das führte dazu, dass die französischen Konkurrenten grosse Teile ihrer Fertigung ins Nachbarland verlegten. Beispiel Chanel: Das Pariser Modehaus lässt die Hälfte seiner Waren in italienischen Fabriken herstellen.
Doch die Zulieferer der Modeindustrie gerieten massiv unter Druck. 2000 Hersteller von Stoffen, Kleidung und Lederwaren gaben in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres auf, wie die Handelskammer meldet. Zwischen 2019 und 2024 ging die Zahl der Firmen in der Modebranche nach Angaben des Handwerkerverbands Confartigianato um 15 000 auf 80 000 zurück. Die Kurzarbeit hat sich 2024 fast verdoppelt – auf 41 Millionen Stunden. Auf Krisengipfeln in Rom ringen Branchenvertreter mit dem Industrieminister Adolfo Urso um soziale Hilfen und Investitionsanreize.
Die Kunden fühlen sich abgezockt
Der Punkt ist: Die Luxusmarken haben den Schlamassel mitverursacht. Sicher, der chinesische Markt schwächelt, die Inflation hat in vielen Ländern die Kaufkraft der oberen Mittelklasse verringert, geopolitische Spannungen, Kriege und Strafzölle drücken die Stimmung.
Doch hinzu kommt, dass die grossen Modehäuser den Nachfragerückgang lange Zeit durch ihre Politik der überzogenen Preise ausgeglichen haben. Sie schraubten die Preise immer weiter nach oben. «Nur weil es so leichtfiel», wie der Prada-Chef Andrea Guerra im vergangenen Oktober selbstkritisch gestand. Luxusprodukte sind heute nach Angaben der Bank HSBC 54 Prozent teurer als 2019.
Das rächte sich irgendwann. Die Kunden hätten begonnen, die Branche mit neuen Augen zu betrachten, sagt Imran Amed, der Gründer des Branchendienstes «Business of Fashion». «Sie haben den Wert ihrer Einkäufe infrage gestellt», sagt er. Lohnt es sich wirklich, für eine Tasche doppelt so viel auszugeben wie wenige Jahre zuvor? Der Prada-Chef Guerra räumte ein: «Wir haben in den vergangenen Jahren einen riesigen Fehler begangen.»
80 Prozent der Umsatzsteigerungen jener Zeit gingen auf das Konto der Preiserhöhungen, rechnete «Business of Fashion» aus. Während das Geschäft der Luxuslabel noch florierte, drosselten die Konzerne die Aufträge an die Hersteller und die Zulieferer. Für viele Firmen in Biella, Como oder Prato, deren Fabriken nicht mehr ausgelastet waren, begann der Kampf ums Überleben.