Seit drei Wochen zählt das japanische Leitbarometer wieder zu den stärksten Indizes der Welt. Doch das könnte nur der Anfang sein.
Der Nikkei 225 setzt seine Rekordjagd fort. Nach einer rund dreimonatigen Konsolidierung hat das japanische Leitbarometer in den letzten drei Wochen mit einem Plus von fast 9% Fahrt aufgenommen und dabei auch gleich das im März verzeichnete Allzeithöchst gebrochen. Damals stiess der Nikkei erstmals in seiner Geschichte über 40‘000 vor und beendete damit die jahrzehntelange Baisse, die mit dem Platzen der Blase im Dezember 1989 bei nicht ganz 39‘000 begonnen hatte.
Seit Anfang Jahr liegt der Nikkei 25% im Plus und schlägt damit sogar den technologielastigen Nasdaq 100, der wegen des Hypes um das Thema künstliche Intelligenz die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Relativiert wird der Gewinn indes durch die Schwäche des Yen, der in der gleichen Zeit zum Dollar fast 13% nachgeben hat und ein wesentlicher Grund für die Hausse des Nikkei sein dürfte. In Dollar verbleibt ein Plus von 9%. Damit liegt das japanische Leitbarometer aber immer noch vor der europäischen Konkurrenz und dem Swiss Market Index, der – ebenfalls in Dollar – magere 1,5% zugelegt hat.
Es gibt gute Gründe, Japan trotz des schwachen Yen die Treue zu halten. Nicht nur sind dort mit Disco, Lasertec oder Tokyo Electron Unternehmen kotiert, die als Halbleiterzulieferer ebenfalls von der zunehmenden Bedeutung der künstlichen Intelligenz profitieren. Es wird auch immer deutlicher, dass Japan die jahrzehntelange Phase der Deflation hinter sich gelassen hat. So sind die landesweiten Konsumentenpreise im Mai zum Vorjahr 2,8% gestiegen. Seit März 2022 lag die Teuerung nie unter 2%, dem Inflationsziel der meisten westlichen Notenbanken.
Doch es ist nicht nur die Inflation, die anzieht, sondern auch die Löhne. Im Mai sind diese 1,9% gestiegen. Damit haben sie die Erwartungen zwar verfehlt, die bei 2,1% lagen. Gemäss den Analysten der kanadischen Research-Boutique BCA unterschätze diese Zahl aber das tatsächliche Lohnwachstum. So sei das Basissalär 2,5% gestiegen und damit so stark wie nie seit 1993. Bei Vollzeitangestellten betrug das Wachstum des Basissalärs gar 2,7%. Und während der Shunto-Verhandlungen im März haben Grossbetriebe die Löhne für 2024 um 5,3% angehoben, das grösste Plus seit 33 Jahren. «Das bedeutet, dass auch kleinere Firmen Raum haben, die Löhne erhöhen zu können», schreiben die BCA-Analysten. Höhere Saläre würden wiederum den Konsum und damit das Wachstum ankurbeln.
Bisher hat das Ende der Deflation und die kräftigen Lohnerhöhungen die Bank of Japan noch nicht bewogen, ihre ultraexpansive Gangart zu beenden. Obwohl sie im März das Regime negativer Zinsen beendet und die formelle Politik der Kontrolle der Zinskurve aufgegeben hat, kauft sie weiterhin jeden Monat für rund 6 Bio. Yen (38 Mrd. $) japanische Staatsanleihen. An ihrem letzten Treffen liess Gouverneur Kazuo Ueda zwar durchschimmern, dass die Anleihenkäufe beim nächsten Zusammenkommen am 31. Juli gedrosselt werden könnten. Bisher hat die BoJ allerdings sämtliche Hoffnungen westlicher Beobachter auf eine straffere Geldpolitik enttäuscht. Sollte sich die BoJ dereinst doch bewegen, könnte der schwache Yen sprunghaft in die Höhe schiessen, was den Nikkei temporär belasten dürfte.
Doch auch dann sind Anleger gut beraten, das Handtuch nicht zu werfen. Nicht nur sind die Unternehmensgewinne pro Aktie in Japan in den letzten zehn Jahren stärker gewachsen als in allen anderen Regionen inklusive den USA. Dank der jahrzehntelangen Deflation, die die Schuldenlast noch erdrückender werden liess, haben sich japanische Unternehmen entschuldet. Inzwischen horten sie massenweise Cash, das aber seit ein paar Jahren über Dividenden und Aktienrückkäufe zunehmend an die Aktionäre zurückgeführt wird. Der Trend zu mehr Shareholder Value steht im Gegensatz zum Westen, der sich zunehmend davon entfernt.
Trotz all der Verbesserungen ging das Revival japanischer Aktien an ausländischen Investoren bisher mehr oder weniger spurlos vorbei. Auch japanische institutionelle Investoren halten lieber an ihren gigantischen Bondportfolios fest, statt in Aktien umzuschichten. Sollte das dereinst ändern, steht weiteren Avancen des Nikkei wenig im Weg.