Über einen, der erst ausgelacht wurde – und dem nun alle zuhören.
Seit einigen Tagen geistert in den sozialen Netzwerken ein Video herum, das Donald Trump beim Einsteigen in einen Tesla zeigt. Der amerikanische Präsident ist sichtlich fasziniert von der Fortschrittlichkeit des Autos. Begeistert betrachtet er das Armaturenbrett und ruft aus: «Wow, everything’s computer!»
Alles ist Computer – der Satz wurde sofort zu einem Meme. Weil er so banal ist, aber auch, weil Trump recht hat: Es ist inzwischen wirklich alles Computer. Der «Kundendienstmitarbeiter» im Chat mit dem Handyanbieter. Die «Künstlerin» hinter dem Bild, das über einem Blog-Post steht. Der Twitter-Account, mit dem man sich in den Kommentaren unter einem Tweet streitet.
Künstliche Intelligenz ist in rasantem Tempo in zahlreiche Lebensbereiche vorgedrungen. Kaum jemand kann heute von sich behaupten, seinen Alltag völlig ohne digitale Technologien zu bestreiten – sei es in der Freizeit oder im Job.
Trump: Wow… Everything’s computer
pic.twitter.com/LjGoZD4Qk8— Acyn (@Acyn) March 11, 2025
Fällt bald die Hälfte aller Jobs weg?
Einer, der schon früh erkannte, dass über kurz oder lang alles Computer sein würde, ist der Oxford-Ökonom Carl Benedikt Frey. Im Jahr 2013 publizierte er gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Osborne eine Studie, in der die Ökonomen eine gewagte These aufstellten: 47 Prozent aller Jobs, die es zu dieser Zeit in den USA gab, würden in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren ganz oder teilweise der Automatisierung zum Opfer fallen – sogar «typisch menschliche» Jobs wie die von Supermodels.
«Damals hat man uns ausgelacht», sagt Frey heute. Inzwischen wurde die Studie über 15 000 Mal zitiert, Frey gibt Interviews am laufenden Band. Was noch vor ein paar Jahren absurd klang, scheint angesichts der raschen Fortschritte im Bereich der generativen KI inzwischen nicht mehr so abwegig.
In drei bis sechs Monaten könne KI 90 Prozent der Software-Codes schreiben, die zurzeit noch von menschlichen Entwicklern geschrieben würden, prognostizierte kürzlich Dario Amodei, Chef der KI-Firma Anthropic. Als solcher hat er natürlich einen Anreiz, die Leistung von künstlicher Intelligenz als besonders herausragend darzustellen. Aber auch Carl Benedikt Frey sagt: «Jobs, die sehr repetitiv und statisch sind, können prinzipiell automatisiert werden.» Das Erstellen von Codes ist auch für ihn ein klassischer Fall einer solchen Aufgabe.
KI kann heute viel mehr als 2013
Zwar sind seit der Publikation der Studie «The Future of Employment» zwölf Jahre vergangen, und der prognostizierte Stellenabbau ist in dem Umfang nicht eingetreten. Doch Frey sagt, er stehe kurz bevor.
«2019 sagte Elon Musk, wir würden in einem Jahr eine Million selbstfahrende Autos auf den Strassen haben. Das war nicht der Fall.» Doch wenn der Tag eintritt, an dem ein Grossteil der Autos selbständig fährt, werden Taxi-, Bus- und LKW-Fahrer ohne Job dastehen – so wie von Frey und Osborne prognostiziert.
Es waren vor allem diese Berufe im Niedriglohnsektor, die die Ökonomen in ihrer Studie ursprünglich im Blick hatten. Auch heute noch sagt Frey: «Diese Jobs werden sind besonders anfällig für Automatisierung.» Die Studie wurde vergangenes Jahr jedoch ergänzt – wegen des Einflusses generativer KI.
Im Jahr 2013 sei die künstliche Intelligenz noch nicht so weit gewesen, erklärt Frey. Damals hatten sie bei vielen Tätigkeiten zwei Herausforderungen für Automatisierung definiert: komplexe soziale Interaktionen und Kreativität. Für solche Aufgaben, so die These, werde es auch in Zukunft weiterhin Menschen brauchen.
Selbst Models sind betroffen
Doch inzwischen kann künstliche Intelligenz Unterhaltungen führen und auf Kundenwünsche gezielt eingehen. Sie kann Grafiken, Illustrationen und Videos erstellen und ganze Bücher schreiben – und sogar modeln: «Wir sehen jetzt bereits, dass KI-generierte Influencer auf Instagram erfolgreich sind», so Frey. Marken wie Mango, L’Oreal und Breitling sammeln in diesem Bereich erste Erfahrungen.
Wird also die Hälfte der Menschheit bald nichts mehr zu tun haben? Nicht unbedingt, glaubt Frey: «Wir haben gesagt, 47 Prozent könnten von Automatisierung betroffen sein. Wir haben nicht gesagt, dass es deswegen Massenarbeitslosigkeit geben wird.»
Klar ist: KI senkt die Eintrittshürden für viele Berufe. Frey zieht einen Vergleich mit dem Aufkommen von Uber: Seit es den Dienst gibt, kann jeder, der einen Führerschein und ein Auto hat, ins Taxigeschäft einsteigen. Das führte zu viel mehr Wettbewerb im Markt, während die Nachfrage nach Taxifahrten nicht im selben Umfang stieg. Die Folge: Die Einnahmen der Fahrer sanken.
Es braucht die Menschen – aber wie viele?
In vielen Berufen werde es weiterhin menschliche Arbeitskräfte brauchen, davon ist Frey überzeugt. KI könne schliesslich nur aus dem schöpfen, was bereits da sei. «Und wenn jeder dieselbe KI benutzt, ist es am Ende die menschliche Kreativität, die einen Unterschied macht.»
Aber wahrscheinlich könne nur ein Teil der Arbeitnehmer auf diese Weise seinen Job behalten. Denn KI erhöht die Konkurrenz nicht nur, indem sie Hürden senkt, sondern auch, indem sie dafür sorgt, dass es weniger zu tun gibt: «Nur, weil es einfacher wird, Inhalte für Netflix zu produzieren, verbringen die Leute nicht doppelt so viel Zeit auf der Plattform», erklärt Frey. Mit KI könnte man um ein Vielfaches mehr Filme viel schneller produzieren – aber niemand würde sie anschauen. Diejenigen, die dann nicht mehr zum Zug kommen, müssen sich also etwas Neues einfallen lassen.
«Ich habe nichts gegen Automatisierung», so Frey. «Sie wird sogar notwendig sein, um den Herausforderungen durch den demografischen Wandel zu begegnen.» Doch die Frage sei: Was tun die Menschen, wenn der Grossteil ihrer bisherigen Arbeit automatisiert ist? Schaffen sie es, sich neue Dinge einfallen zu lassen? Jobs zu erfinden, die es bisher so nicht gab?
Zeit für neue Aufgabengebiete
«Es ist einfach zu sagen, welche Jobs automatisiert werden können. Viel schwieriger ist es, zu prognostizieren, welche neuen vielleicht entstehen.» Frey weist darauf hin, dass die erfolgreichsten europäischen Firmen über hundert Jahre alt seien. Für ihn ist klar: Da muss etwas Neues kommen. «Ich würde die Menschen ermutigen, mehr nach Neuem und qualitativ Hochwertigem zu streben als einfach nach mehr Produktivität und Quantität.»
Doch die gute Neuigkeit: «KI wird nicht so schnell adaptiert werden, wie man sich das oft vorstellt.» Veränderung erfolgt erfahrungsgemäss schrittweise, viele Firmen stehen bei der KI-Implementierung noch ganz am Anfang. «Wir haben noch Zeit, uns vorzubereiten», glaubt Frey. Geht es nach ihm, sollten wir sie nutzen – und auf neue Ideen kommen.