Die USA pausieren Genehmigungen für neue Flüssigerdgas-Exporte. Klimaaktivisten feiern einen Sieg im Kampf gegen die fossilen Brennstoffe. Mit welchen Folgen?
Seit Jahren kämpfen Aktivisten gegen die Vorherrschaft der fossilen Brennstoffe. Ende Januar gelang der amerikanischen Klimabewegung ihr erster grosser PR-Sieg in dieser Kampagne.
«Die Zeit der ungebremsten Expansion fossiler Brennstoffe ist vorbei!»
«Die Schlacht ist noch nicht gewonnen, aber lasst uns diesen Etappensieg feiern.»
Worum geht es? Am letzten Freitag des Monats verkündete das Weisse Haus, es werde neue Genehmigungen von Exportprojekten für Flüssigerdgas (LNG) vorübergehend pausieren. Dem Klima bringt das erst einmal nichts. Noch sind keine Emissionen reduziert. Aber die Debatte um das Ende der fossilen Energie geht in eine neue Runde – und das weniger als zwei Monate nachdem sich Regierungen auf der Weltklimakonferenz in Dubai darauf verständigt haben, den fossilen Brennstoffen langsam den Rücken zu kehren.
Die riesigen und milliardenschweren Infrastrukturprojekte sollten in den kommenden Monaten erst einmal eine überarbeitete Prüfung durchlaufen, so Präsident Joe Biden. Auf dem Prüfstand stehen ihre Umweltfolgen, besonders der Ausstoss von Methanemissionen, sowie Auswirkungen auf heimische Energiepreise und die Energiesicherheit.
My Administration will continue to take action to meet the urgency of the climate crisis
Just today, we paused pending decisions on Liquefied Natural Gas exports from the United States, allowing us to learn more about their impacts on energy costs, security, and our environment. pic.twitter.com/y0T3HzjeDv
— President Biden (@POTUS) January 26, 2024
Der grösste LNG-Exporteur der Welt drosselt die Geschwindigkeit – vorerst
Es ist unklar, wie lange die Pause anhalten wird. Beobachter gehen jedoch von einem Zeitraum bis mindestens zur Präsidentschaftswahl im Herbst aus. Der Grund dafür ist politisches Kalkül. Biden wirbt um junge, linke und klimabewusste Wähler, die ihm schon im Jahr 2020 zum Wahlsieg verholfen haben.
Bidens Genehmigung eines riesigen Erdölprojekts in Alaska im vergangenen Jahr verärgerte die Bewegung schwer und liess die Klimaschutzrhetorik des Demokraten hohl klingen. Ob die jüngste Ankündigung ausreicht, diesen Eindruck auszuräumen, ist noch unklar (auch wenn NGO vorerst jubeln).
Bei der Entscheidung handelt es sich nämlich nicht um ein Exportverbot, wie es von einigen Seiten dargestellt wurde. Im Gegenteil: Die USA sind im vergangenen Jahr zum weltgrössten LNG-Exporteur geworden, kurzfristig wird sich daran wohl kaum etwas ändern. Sieben Anlagen sind schon im Betrieb. Projekte, die bereits vom Energieministerium genehmigt wurden und im Bau sind, sind auch nicht betroffen.
Laut Anne-Sophie Corbeau von der Columbia-Universität in New York werden die USA bis 2028 über eine LNG-Exportkapazität von 232 Milliarden Kubikmeter (bcm) pro Jahr verfügen. Zum Vergleich: Das ist fast doppelt so viel wie heute und weit mehr als die 171 bcm, die Katar, der ehemals grösste LNG-Exporteur, insgesamt plant. Darüber hinaus würden derzeit weltweit neue LNG-Kapazitäten im Umfang von 280 Milliarden Kubikmetern pro Jahr gebaut. «Die mittelfristigen Auswirkungen dieser Entscheidung werden minimal sein», so Corbeau.
Die Ankündigung betrifft stattdessen laut Berichten mindestens zwölf geplante, aber noch nicht genehmigte Projekte, die Gas an Länder liefern würden, mit denen die USA kein Freihandelsabkommen haben. Das betrifft die grossen Abnehmermärkte in Europa und Asien.
«Die vorübergehende Pause gibt uns die Zeit, eine wirtschaftliche und ökologische Analyse durchzuführen (. . .) und sicherzustellen, dass wir die Auswirkungen des zukünftigen potenziellen Ausbaus dieser langlebigen Infrastruktur verstehen», sagte Ali Zaidi, der Klimaberater im Weissen Haus.
Wahlpoker um das Klima
Noch profitiert das Weltklima nicht von der amerikanischen Vorgehensweise. Klar ist: Der Verbrauch von Erdgas muss in den kommenden Jahrzehnten fallen, damit die Klimaziele des Pariser Abkommens und netto null Emissionen bis zur Jahrhundertmitte erreicht werden.
Um wie viel, darin unterscheiden sich die Analysen. Sollte sich der amerikanische Anteil am Weltmarkt künftig durch politische Einschränkungen reduzieren, bedeutet das nicht automatisch weniger Gas. Andere LNG-Exporteure stehen bereit, die Lücke zu füllen.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob und wie Regierungen ihre Zusagen aus Dubai umsetzen – und welche Rolle Erdgasprojekte in der Energiewende längerfristig spielen sollen. Den USA kommt dabei eine schillernde Hauptrolle zu: Das Land ist unter den Präsidenten Donald Trump und Biden zum weltgrössten Gas- und Erdölexporteur aufgestiegen.
Noch scheint die Administration an dieser Rolle festzuhalten: «Lassen Sie mich deutlich sein. Die USA sind bereits der führende Exporteur von Flüssiggas, und wir sind weiterhin entschlossen, unsere Verbündeten und Partner in der ganzen Welt zu unterstützen», so Zaidi Ende Januar.
An der südöstlichen Küste der USA drängen sich die Anlagen. Das hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Anwohner, die sich zunehmend dagegen wehren. Diese Aktivisten sind wichtige Akteure und Wortführer in der Kampagne der NGO gegen Erdgas – und als potenzielle Wähler ein relevantes Publikum für Biden und seine Gefolgsleute.
Aktivisten rüsten gegen die Industrie auf
Klimaaktivisten bereiten sich auf weitere Kämpfe gegen die Erdgasindustrie vor. Beide Seiten haben seit Januar ihre Kommunikationsstrategien hochgefahren, um mit ihren Argumenten zu punkten.
«Als wir uns vor fünf Monaten auf diesen Kampf eingelassen haben, waren LNG-Exporte noch nicht einmal auf dem politischen Radar zu sehen», jubelte Jamie Henn von der Aktivistengruppe Fossil Free Media. Er ist einer der Drahtzieher hinter der hochprofessionell koordinierten Kampagne der vergangenen Monate.
«Aber einige von uns hatten das Gefühl, dass dies ein wichtiger Kampf gegen fossile Brennstoffe ist, den wir gewinnen können, wenn wir die richtige Bewegung aufbauen, um ihn durchzusetzen», schrieb er auf Linkedin. Er rechnete vor, dass ein endgültiger Stopp der betroffenen Genehmigungen – sollte dieser durchgesetzt werden – Emissionen vermeiden würde, die so hoch wären wie diejenigen Hunderter Kohlekraftwerke.
Dabei schossen sich die Aktivisten in ihrer Kampagne besonders auf eine geplante LNG-Exportanlage ein, um die Umweltfolgen solcher Megaprojekte in den betroffenen Gemeinden hervorzuheben: CP2 im Gliedstaat Louisiana. Die Infrastruktur wäre, wenn gebaut, die grösste LNG-Exportanlage der USA.
«Unsere Verbündeten an vorderster Front erhielten die Proteste vor Ort aufrecht. Nationale Gruppen haben im Kongress und im Weissen Haus Lobbyarbeit betrieben», so Henn. Mehr noch: Auf den letzten Metern wurden auch EU-Abgeordnete der Grünen und europäische Klima-NGO involviert, um transatlantischen Druck auf die amerikanische Administration aufzubauen. Die Botschaft: Die bestehenden Erdgasexporte reichten aus, um den europäischen Bedarf mittelfristig zu decken.
Das wurde seit der offiziellen Ankündigung auch von hohen EU-Beamten selbst kommuniziert. Vertreter der Erdöl- und Erdgasindustrie sowie Politiker aus betroffenen amerikanischen Gliedstaaten halten derweil dagegen – und nutzen dabei auch klimapolitische Argumente zu ihren Zwecken.
Europa habe bislang nur ein Drittel der LNG-Mengen unter Vertrag, die es bis 2040 benötigen könnte, so der Industrieverband IOGP. Es bestehe die Sorge, dass ein längerer Genehmigungsstopp für Exporte aus den USA höhere Energiekosten zur Folge hätte, zu einem weiteren Rückgang der industriellen Nachfrage führen und gar der Kohleverstromung einen neuen Schub geben könnte.
Neuer Fokus: Wie schmutzig ist Gas?
Die Debatte über die Klimafolgen des jüngeren LNG-Booms ist während der vergangenen Monate zum neuen argumentativen Schlachtfeld geworden. Aktivisten nutzten neue Daten von Forschern, um die schädlichen Emissionen der Gasinfrastruktur zu illustrieren. Dabei geht es vor allem um das hochwirksame Treibhausgas Methan.
Die Industrie und einige Energieexperten unterstreichen derweil den «positiven» Klimaeffekt des LNG-Wachstums und der amerikanischen Dominanz. Gas trägt heute zu Emissionsreduktionen bei, indem es Kohle nicht nur in den USA, sondern auch in Schlüsselmärkten in Asien und Europa ersetzt. Das ist auch der Grund, warum Bidens Entscheidung von einigen Beobachtern als ein energie- und klimapolitischer Kurzschluss kritisiert wird.
Was aber auch die Befürworter von LNG nicht leugnen können: «Methanlecks entlang der Versorgungskette drohen die Vorteile von Erdgas als sauberem Brennstoff zu untergraben», schrieb Arvind P. Ravikumar vom Center for Strategic and International Studies und von der Universität in Austin am Dienstag.
Ravikumar und Analysten wie Anne-Sophie Corbeau von der Columbia-Universität argumentieren entsprechend, dass die Pause besonders für die Bewertung des ökologischen Fussabdrucks von LNG von Bedeutung sein wird und nicht nur für die USA. Denn politisch werden schmutzige LNG-Ausfuhren in den kommenden Jahren zunehmend unter Druck geraten.
Die EU plant ab 2030 neue Grenzwerte für Methanemissionen von Gasimporten. Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments beschlossen die Regeln im November. Andere wichtige Märkte könnten mit ähnlichen Restriktionen folgen, so Corbeau. Oder sich entsprechend anpassen: «In einer Welt, in der die LNG-Lieferungen miteinander konkurrieren, werden andere Exporteure mit einfacheren Wertschöpfungsketten die Investitionen tätigen, um den CO2-Fussabdruck ihres LNG zu verringern.»