Auch in der Super League gibt es heute Spielpausen zum Fastenbrechen. Die Ernährungsberaterin Sarah Pritz erklärt, warum das gut ist, wann Fasten gefährlich ist und wie Leistungssportler den Monat am besten durchstehen.
Gläubige Muslime dürfen im Fastenmonat Ramadan von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nicht essen und trinken. Was ist dabei die grösste Herausforderung für Spitzensportler?
Klar ist, dass der Athlet in ein Flüssigkeitsdefizit kommt. Eigentlich braucht er drei, vier Liter Flüssigkeit. Sage ich, er soll nach Sonnenuntergang so viel trinken, muss er die ganze Nacht aufs WC. Wir arbeiten darum oft mit Salztabletten, Kokoswasser, verdünnten Fruchtsäften, Bouillons. Wird getrunken, soll das keine Durchlaufbahn sein, es soll auch Salz zugeführt werden, damit der Mineralstoffhaushalt reguliert wird und die Flüssigkeit im Körper bleibt. Mein Tipp ist, dass sie nach Sonnenuntergang alle halbe Stunde mindestens drei Deziliter trinken. Das Trinken wird jedoch unterschiedlich gehandhabt.
Was heisst das?
Es gibt Sportler, die sich dafür entscheiden, nicht zu essen, aber zu trinken. Oder solche, die Mundspülungen machen und dann das Wasser wieder ausspucken. Das Durstgefühl sagt uns, dass wir die Intensität bei körperlicher Bewegung herunterregulieren müssen. Wenn wir das Durstgefühl mit dem Befeuchten des Mundraums einschränken können, müssen wir die Intensität nicht senken.
Es geht also gewissermassen darum, das Hirn zu überlisten?
Genau. Rezeptoren im Mund senden Signale ans Gehirn, die die Ermüdung verzögern.
Wer nicht isst, fühlt sich schwach. Wie kann man so trainieren oder gar einen Wettbewerb bestreiten?
Natürlich gibt es ein Energieverfügbarkeitsdefizit. Je nach Zeitpunkt des Trainings startet der Athlet mit leeren Speichern. Oder er kann die Regeneration nicht optimal einleiten, weil er direkt nach dem Training die Speicher nicht füllen und das Flüssigkeitsdefizit nicht ausgleichen kann. Was ganz wichtig ist: Der Athlet weiss, dass seine Leistungsfähigkeit reduziert sein wird. Das kann zu einem Nocebo-Effekt führen. Das heisst, der Sportler geht bereits mit der Erwartung von negativen Auswirkungen in ein Spiel oder ein Training. In der Betreuung ist mir wichtig, dass wir urteilsfrei an den Athleten herangehen und ihm nicht vermitteln, dass er seine Leistung nicht wird bringen können.
Heisst das, der Athlet kann mental an seiner Leistung arbeiten?
Wenn wir die richtigen Ernährungsstrategien wählen, also die besten Voraussetzungen schaffen, ist es möglich, dem Athleten Selbstvertrauen zu vermitteln, so dass er mehr leisten kann. Wir gehen ja zum Beispiel auch davon aus, dass Menschen, die den Ramadan einhalten, Gewicht verlieren. Das ist oft nicht der Fall. Die Studien wurden allerdings in muslimisch geprägten Ländern durchgeführt, wo es nach Sonnenuntergang ein richtiges Festmahl gibt. Das ist nicht zu übertragen auf die Verhältnisse in der Schweiz, wo der gesellschaftliche Rahmen nicht vorhanden ist.
Zur Person
Sarah Pritz
Die 31-Jährige ist Ernährungsberaterin und Ernährungspsychologin bei der Firma Peak Nutrition in Bern. Einer ihrer Schwerpunkte ist Sporternährung. Zum Thema Ramadan berät sie zurzeit Fussballer verschiedener Vereine, etwa der Young Boys, und einen Kampfsportler.
Kohlenhydrate und Proteine sollten möglichst rasch nach dem Effort zu sich genommen werden. Das geht nicht beim Fasten. Gibt es die Möglichkeit, Speicher während der Nacht zu füllen?
Zum Teil kann der Haushalt tatsächlich ausgeglichen werden. Was die Proteine, Kohlehydrate und den Gesamtenergiebedarf betrifft, schaut man, dass man nach dem Fastenbrechen zwei Drittel des Energiebedarfs abdecken kann. Das kann bedeuten, dass 2000 Kalorien zugeführt werden müssen. Noch einmal gegessen wird vor dem Schlafen. Am Morgen geht es darum, eine eher kleine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Ich vermute, dass die meisten Sportler während des Ramadans nicht den ganzen Energiebedarf abdecken können. Das lässt sich teilweise kaum vermeiden. Damit das Darmwohlbefinden gewährleistet ist, nimmt man es aber in Kauf, auch wenn ein Energiedefizit ein Risiko für eine Verletzung ist.
Ein Monat ist lang. Reicht es, wenn man ab dem ersten Tag die Ernährung umstellt, oder muss man schon vorher damit beginnen?
Die Realität ist, dass sich die Sportler nicht darauf vorbereiten. In einem Referat an einem Ernährungskongress wurde aber darauf hingewiesen, dass man den Athleten daran gewöhnen soll, eventuell schon Trainings macht, in denen er zum Beispiel weniger trinkt. Doch ein Leistungssportler ist per se in einem Grenzbereich bezüglich Gesundheitsrisiken. Da fragt er sich, ob er bereits in den Trainings vor dem Ramadan eine Dehydration oder ein Energiedefizit herbeiführen will, was immer das Verletzungsrisiko erhöht. Darum wird es sich kaum durchsetzen, dass man den Athleten im physischen Sinn vorbereitet. Aber wichtig wäre, dass wir uns vor dem Ramadan austauschten. In diesem Jahr sind alle erst zum Start zu uns gekommen. So haben wir wenig Zeit, um zu schauen, wie es für den Sportler stimmen kann.
Geredet wird oft über die Wettkämpfe, aber Sportler stehen auch im Trainingsalltag. Was ist die grössere Herausforderung?
Das ist schwierig zu sagen. Findet ein Training am Morgen statt und wurden die Speicher vor Sonnenaufgang gut gefüllt, kann es mit einer hohen Qualität durchgeführt werden. Ist ein Spiel am späteren Abend angesetzt, sind zwar die Speicher zu Beginn leer, sie können aber in der Pause aufgefüllt werden. Die meisten Sportler sagen mir, dass sie während des Ramadans einen grossen Fokus haben. Sie seien mehr bei sich, könnten alles Unwesentliche beiseitelassen. Das kann dazu führen, dass sie auch sehr fokussiert an ein Spiel herangehen können, das wäre ein positiver Effekt. Das Training ist dann mehr das tägliche Übel.
Wann wäre die ideale Zeit zum Trainieren?
Nach dem Sonnenuntergang, wenn man zuerst isst, dann trainiert und noch einmal etwas isst, um die Speicher zu füllen und die Regeneration optimal zu unterstützen. Das würde bedeuten, um 21 Uhr noch ein Training zu machen, was jedoch den Schlafrhythmus durcheinanderbringt, weil man ja morgens zwischen 4 und 5 Uhr wieder aufstehen muss, um zu essen.
Und die Trainingszeit ist in einem Mannschaftssport unrealistisch.
Völlig. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, individuell zu trainieren, also zum Beispiel abends noch ein Krafttraining zu machen. Die Spieler sind jeweils ganz überrascht, wenn ich das vorschlage.
Sie sprechen den Schlaf an. Leiden die Sportler wegen der ungewohnten Essenszeiten nicht auch unter einem dauernden Schlafmangel?
Dieses Problem betrifft vor allem Athletinnen und Athleten, die arbeiten müssen und sich am Nachmittag keinen Powernap leisten können. Das können sich Profi-Athleten meist gut einrichten. Es gibt auch Schlafkonzepte, die einem 90-Minuten-Rhythmus folgen. Tagsüber 90 Minuten zu schlafen, kann einen hohen Erholungswert haben und einen Mangel in der Nacht ausgleichen. Für die Athleten ist der Schlaf aber oft kein grosses Thema, weil sie auch das Gefühl haben, dass sie während des Ramadans Energie tanken.
Da geht es um die spirituelle Erfahrung?
Genau. Ich finde, man muss gegenüber den sportlichen Verantwortlichen immer wieder betonen, dass es auch einen Mehrwert gibt durch das Fasten. Wenn der Athlet Rückhalt statt Widerstände spürt, ist er in der Lage, mehr zu leisten.
In Fussballspielen gibt es teilweise Unterbrechungen fürs Fastenbrechen. Wie hilfreich sind diese Pausen?
Sie sind sehr wichtig. Es kommt allerdings vor, dass das Falsche gegessen wird. Man hat ein paar wenige Minuten und muss etwas essen, was der Magen nach der langen Pause verträgt. Geeignet sind säurearme Sportgetränke. Gut ist es, zuerst Getränke zu sich zu nehmen und in der Pause etwas Kleines zu essen. Manche greifen zum Beispiel zu Datteln.
Ist das kulturell bedingt oder eine ernährungstechnische Empfehlung?
Der Verzehr von Datteln ist zwar kulturell bedingt. Aber häufig wird das Fasten mit Datteln und Milch gebrochen, was eine passende Regenerationskombination darstellt. Proteine und Kohlenhydrate – das ist gar nicht so schlecht.
Ist es gefährlich, zu fasten und sich körperlich stark zu fordern?
Fällt der Ramadan in eine wärmere Jahreszeit, ist es vorstellbar, dass ein Risiko für das Herz-Kreislauf-System besteht. Es gibt aber wenige Studien dazu. Was man weiss: Die Explosivität und die Springfähigkeit nehmen ab, Entscheidungsprozesse werden negativ beeinflusst. Das ist nicht zwingend an ein Verletzungsrisiko gekoppelt, aber vielleicht mache ich einen Fehlpass mehr.
Sie beraten Sportklubs: Wie gross ist dort das Verständnis für Spieler, die fasten wollen?
Es wächst. Heute werden Spieler, die fasten, im Spiel eingesetzt, wenn sie ihre Leistung im Training bringen. Und man will vermehrt auch die Beweggründe verstehen, die Motivation der Spieler. Ich spüre aber auch, dass man immer stärker gewillt ist, Sportler mit einem anderen kulturellen Hintergrund ernst zu nehmen.
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