In der Heimat kann Cheheltan seine Romane nicht publizieren. Im Gespräch sagt er, die Iraner hätten grosse Angst vor einem Krieg mit Israel, aber jetzt auf einen Sturz des Regimes zu hoffen, hält er für eine dumme Idee.
Amir Hassan Cheheltan ist ein untersetzter, lebhafter Mann. Er empfängt an einem sonnigen Herbsttag in einer Wohnung mit Blick auf den Zürichsee. Die idyllische Umgebung kontrastiert mit der Lage im Nahen Osten.
Cheheltan tourt mit seinem neuen Roman, «Die Rose von Nischapur», durch Europa und war auch am Literaturfestival «Zürich liest». Schauplatz seiner Bücher ist meist Teheran, wo er 1956 geboren wurde und bis heute mit seiner Familie lebt. Nur für das Studium in Grossbritannien und weitere Aufenthalte im Ausland hat er seine Heimat verlassen, für die er im ersten Golfkrieg auch gedient hat.
Im Gespräch, das auf Englisch geführt wird, ist Cheheltan sichtlich bemüht, eine positive Darstellung Irans zu vermitteln, mit den Klischees aufzuräumen. Wie ein Botschafter der persischen Kultur schwärmt er von Teheran. Wenn er im Gespräch von seiner Heimat erzählt, leuchten seine Augen, und seine hohe Stimme klingt noch melodischer als ohnehin schon.
Herr Cheheltan, als Antwort auf Irans massiven Angriff am 1. Oktober mit rund 200 ballistischen Raketen hat Israel kürzlich Ziele in Iran angegriffen, das Regime droht wiederum mit Vergeltung. Wie ist die Stimmung in Teheran?
Ganz normal, der Alltag geht weiter.
Haben die Menschen keine Angst vor einem offenen Krieg mit Israel?
Doch, sehr. Aber die Angst lähmt den Alltag nicht. Wir haben lange auf den israelischen Vergeltungsschlag gewartet. Zum Glück war es kein grösserer Angriff. Und die iranische Regierung reagierte zunächst ziemlich gelassen, das hat mich erleichtert.
Laut Medienberichten plant Iran nun aber einen heftigen Vergeltungsschlag.
Das wäre ein grosser Fehler. Ich hoffe, dass die iranische Regierung ihren Entscheid überdenkt.
Ist sie so vernünftig?
Ich stehe ihr sehr kritisch gegenüber, das Pingpong zwischen den beiden Ländern muss endlich aufhören.
Einige Iraner hoffen allerdings, dass ein Konflikt das Regime zu Fall bringen wird. Wie stehen Sie dazu?
Das ist eine sehr naive, wenn nicht gar dumme Vorstellung. Ein von Israel und den USA herbeigeführter Sturz der Regierung wäre sehr problematisch. Selbst wenn es dazu käme, was wäre der nächste Schritt?
Vor zwei Jahren gab es grosse Proteste, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini, die wegen «unzüchtiger Bekleidung» festgenommen worden war, im Gewahrsam der Sittenpolizei gestorben war. Neulich sind Bilder einer jungen Frau um die Welt gegangen, die sich aus Protest auf offener Strasse bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte. Gibt es die «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung noch?
Solche Proteste sind keine Einzelfälle. Auch wenn die Bewegung nicht mehr so gross ist wie damals, merkt man im Alltag, dass sie etwas bewirkt hat.
Zum Beispiel?
Man sieht heute immer mehr Frauen ohne Hijab, aber es kommt auf die Städte an und sogar auf die Stadtteile. Im Norden Teherans etwa sehe ich viele Frauen ohne Hijab. Die Sittenpolizei lässt sie dort meistens in Ruhe.
Auch damals hofften manche, dass es eine neue Revolution geben würde. Steht das jetzt ausser Reichweite?
Ja, zum Glück. War die von 1979 nicht schon genug? Eine Revolution löst unsere Probleme nicht. Ich mag Revolutionen nicht.
Warum nicht? Sie leiden doch auch unter dem Regime.
Revolutionen sind sehr kostspielig. Unserem Land wurde schon einmal eine vom Schah-Regime aufgezwungen, weil wir es loswerden mussten. Doch der Schah hatte mit seiner Politik der Unterdrückung der Repression der Mullahs den Weg geebnet. Ich bin für Reformen. Denn eine Revolution zerstört alles, um etwas Neues aufzubauen, von dem man nicht weiss, was es sein wird. Für eine Revolution müsste die Zivilgesellschaft zuerst reifer werden.
Als junger Mann mussten Sie vor dem Mullah-Regime ins Ausland fliehen. Warum?
Ich war in den 1990er Jahren sehr aktiv bei der Neugründung des iranischen Schriftstellerverbands. Das gefiel der Regierung nicht. Also wurden meine Kollegen und ich verfolgt und terrorisiert. Mein Name stand auf vielen schwarzen Listen, Todeslisten, die von Zeit zu Zeit veröffentlicht wurden. Ich habe auch ein Attentat überlebt. Als ich zusammen mit zwanzig anderen Schriftstellern im Bus unterwegs nach Armenien war, sprang der Chauffeur aus dem fahrenden Bus, um ihn den Hang hinunterstürzen zu lassen. Zum Glück griff ein Passagier rechtzeitig zur Bremse.
Fühlen Sie sich jetzt sicher? Immerhin erzählen Sie Dinge, die der iranischen Regierung nicht gefallen dürften.
Nein. Aber ich habe mich daran gewöhnt, dass in Iran niemand völlig sicher ist. Und jeder, der dort lebt und als Schriftsteller, Künstler, Journalist, Anwalt oder Aktivist arbeitet, geht immer ein Risiko ein. Persönlich bin ich immer noch in der Lage, meine Ängste zu überwinden, und solange das so ist, bleibe ich in Iran.
In Ihrem neuen Roman, «Die Rose von Nischapur», geht es um eine Dreiecksbeziehung in Teheran, darunter eine homosexuelle. In Iran muss das alles im Geheimen passieren. Kann man dort wirklich so frei leben?
Ja, entgegen den vielen Klischees, die es im Westen über die Iraner gibt. Zwar werden Frauen immer wieder verprügelt oder verhaftet, weil sie sich so kleiden oder schminken, wie sie wollen, Menschen werden hingerichtet. Aber es gibt nicht nur dieses Iran. Die meisten Menschen widersetzen sich dem Regime und leben, wie sie wollen. Das zeigt gerade Teheran: Es ist eine Megacity mit mehr als 15 Millionen Einwohnern und eine Stadt der Rebellion gegen alles Autoritäre. Mein Roman erzählt von den jungen Menschen in Teheran, die auch Alkohol trinken und in versteckten Nachtklubs feiern.
Ist diese geheime Parallelwelt in Iran ein Grund, warum die Menschen immer noch Hoffnung auf Veränderung haben?
Genau, denn die Iraner wissen, wie sich Freiheit anfühlen könnte. Hinzu kommt die Geschichte der anhaltenden Unterdrückung, es brauchte immer schon Widerstand, um zu überleben. Und es bleibt uns auch nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sich endlich etwas ändert. Dass die Hardliner das Land nicht so weiterregieren. Dass Inflation, Korruption und Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Dass die Zensur aufhört.
Ihre Bücher können in Iran seit über zwanzig Jahren nicht veröffentlicht werden. Was hat die Regierung gegen Ihre Romane?
Es geht unter anderem um Erotik und Politik. Und da ich mir ein belletristisches Buch ohne diese beiden Elemente nicht vorstellen kann, reiche ich meine Romane nicht einmal mehr bei den Zensurbehörden ein, sondern lasse sie im Ausland verlegen und drucken, in anderen Sprachen. Es ist schmerzlich für mich, dass meine Bücher in meinem Heimatland nicht gelesen werden können. Aber das war nicht meine Entscheidung. Sie wollen mich zum Schweigen bringen.
Amir Hassan Cheheltan: Die Rose von Nischapur. Aus dem Persischen von Jutta Himmelreich. C.-H.-Beck-Verlag, München 2024. 239 S., Fr. 34.90.