Der Wiederaufbau der Verteidigungsfähigkeit kostet in einem ersten Schritt 13 Milliarden Franken. Doch wann die Finanzmittel und auch die Systeme zur Verfügung stehen, sind zwei unbekannte Variablen.
Die Schweizer Sicherheitspolitik basiert auf einer Excel-Liste. Das ist spätestens seit dem Schreck über die Finanzlage der Armee vor zwei Wochen überdeutlich geworden. Die Armee ist zwar in der Lage, die laufende Rechnung zu bezahlen, muss aber jedes Jahr das Verhältnis zwischen den Verpflichtungen aus der Vergangenheit und den verfügbaren Mitteln neu beurteilen.
Die Armee weiss jeweils erst nach der jährlichen Budgetdebatte in der Wintersession, wie viel Geld für das kommende Jahr zur Verfügung steht. In den letzten Jahren waren die Veränderungen ziemlich überschaubar. Die Pandemie-Legislatur und der Krieg in Europa haben die Planungen aber auf den Kopf gestellt.
Zum einen hat das Parlament nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 eine rasche Aufstockung des Armeebudgets auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) bis 2030 beschlossen. Zum anderen ist der Bund in ein strukturelles Defizit hineingelaufen: Nur mit Mühe bringt das Finanzdepartement (EFD) das derzeitige Budget an der Schuldenbremse vorbei.
Alte Systeme kosten mehr im Unterhalt
Eine der Massnahmen, um diesen Verfassungsauftrag zu erfüllen, war ein verlangsamtes Wachstum bei den Ausgaben für die Armee. Das Ziel der Budgeterhöhung wird erst 2035 erreicht. Das Parlament folgte dem Vorschlag des Bundesrats nur haarscharf. Es brauchte den Stichentscheid des Nationalratspräsidenten Eric Nussbaumer.
Ausgerechnet die Mitte, die Partei von Bundesrätin Viola Amherd, der Chefin des Verteidigungsdepartements (VBS), war gespalten: Die Bauernlobby um Nationalrat Markus Ritter wertete die Subventionen für die Landwirtschaft höher als die Landesverteidigung und stimmte für die Erstreckung des Wachstumsziels auf 2035.
Der Armee gehen damit im Zeitraum von elf Jahren insgesamt 10 Milliarden verloren, davon 2,6 Milliarden allein in der nächsten Legislatur. Das führt zu einer Finanzierungslücke bei den Investitionen. Der Wiederaufbau der Verteidigungsfähigkeit wird verzögert. Damit könnte insbesondere das Heer, der harte Kern der Schweizer Armee, temporär wesentliche Fähigkeiten verlieren: unter anderm die Artillerie.
Die Panzerhaubitzen M109 erreichen ihr Lebensende, bevor Ersatz zur Verfügung steht. Auch der Schutz der Bevölkerung und der kritischen Infrastrukturen gegen Bedrohungen aus der Luft verzögert sich: Der Investitionsplan der Armee, der 2022 präsentiert worden war, sah vor, 2027 ein System der bodengestützten Luftverteidigung mittlerer Reichweite zu beschaffen. Ob das klappt, ist fraglich.
Gleichzeitig steigen die Betriebskosten: Je älter die Systeme des Heeres, die teilweise aus den 1960er Jahren stammen, desto schwieriger ist es, Ersatzteile zu beschaffen, und desto mehr muss in den Unterhalt investiert werden. Das Lebensende der Schützenpanzer M113, die teilweise aus dem Vietnamkrieg stammen, wurde mehrfach hinausgeschoben.
Ratlosigkeit bei Medien und Politik
Die Armee will ein Verhältnis von 60 zu 40 Prozent zwischen den Betriebs- und den Investitionsausgaben einhalten, um laufende Beschaffungen nicht zu gefährden. Weil die Betriebskosten für dieses Jahr aus dem Ruder zu laufen drohten, zog die Armeeführung im Januar die Reissleine und stoppte unter anderem eine Air Show, die für diesen Sommer geplant war.
Die Kommunikation erfolgte kurzfristig und stiess insbesondere die Freunde der Luftwaffe vor den Kopf. Statt über die Verteidigung wurde über Sponsoringverträge und Befindlichkeiten geredet. Recherchen von Radio SRF förderten schliesslich ein internes Papier aus dem Armeestab zutage, das ein Missverhältnis zwischen dem Cash laut Finanzplan und geplanten Rüstungsvorhaben thematisierte.
Im Kern ging es um die veränderten Rahmenbedingungen nach dem Parlamentsentscheid, das Finanzierungsziel für den Wiederaufbau der Verteidigungsfähigkeit um fünf Jahre zu verschieben. Die Armee warnte öffentlich bereits am 17. August vergangenen Jahres vor den Konsequenzen. Die Worte wurden aber weder vom Bundesrat noch vom Parlament gehört.
Der Versuch der Armee, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen und gleichzeitig Alarm zu schlagen, funktionierte nicht. Medien und Politik bleiben ratlos zurück. Auch der Auftritt der VBS-Chefin Viola Amherd am Mittwoch vermochte keine Klarheit zu schaffen. Die argumentative Lücke ist zu gross zwischen dem Bundesrat, der sparen muss, und dem Chef der Armee, der einer militärischen Wahrheit verpflichtet ist.
Alle Zahlen liegen auf dem Tisch
Am Mittwoch präsentierte Amherd in der Armeebotschaft 2024 schliesslich ein Rüstungsprogramm mit neuen Verpflichtungen in Höhe von 490 Millionen Franken. Der grösste Teil dient der Vernetzung und neuen Sensoren. Die Dringlichkeit ist unbestritten: Es geht darum, die Reaktionsfähigkeit der Armee im Gefecht zu erhöhen. Aber die finanziellen Rahmenbedingungen sind offensichtlich kaum zu vermitteln.
Die wesentlichen Zahlen sind in den einzelnen Schlüsseldokumenten öffentlich zugänglich:
- Investitionsplan: Nach dem Entscheid des Parlaments, das Armeebudget auf ein Prozent des BIP bis 2030 zu erhöhen, zeigte die Armee 2022 auf, wann sie wofür Geld ausgeben will. Diese Liste wurde 2023 noch mit einem Zielbild, dem «schwarzen Buch», inhaltlich begründet und mit einem Preisschild versehen. Das Rüstungsprogramm 2024 wurde gegenüber dem Investitionsplan gekürzt: Der Teilersatz der gegenwärtig stillgelegten M133-Führungsfahrzeugen durch Eagle V wurde noch einmal verschoben.
- Voranschlag und Finanzplan: Auf dieser Grundlage verabschiedet das Parlament das konkrete Budget und den angenommenen Rahmen der kommenden Jahre. Für den Betrieb und die Armee ist das die harte Währung: Der Cash für das aktuelle Jahr.
- Staatsrechnung 2022: Darin ist das Verhältnis zwischen den Verpflichtungskrediten und den tatsächlich eingegangenen Verpflichtungen pro Beschaffungsprojekt ersichtlich. 2016 ermächtigte das Parlament das VBS, für eine erste Tranche des Mörsers 16 maximal Verträge von 404 Millionen abzuschliessen. Davon wurden erst 283,7 Millionen beansprucht und über die vergangenen Jahre auch bereits abbezahlt.
Eine besondere Herausforderung ist, die 8 Milliarden für die Kampfflugzeuge und die bodengestützte Luftverteidigung aus dem Rüstungsprogramm 2022 in den kommenden Jahren zu bezahlen und doch genug Raum für Investitionen offen zu lassen. Dieses Paket wurde bereits unter dem damaligen VBS-Chef Guy Parmelin aufgegleist, um ein Referendum zu ermöglichen.
Verfügbarkeit der Systeme als zusätzliche Herausforderung
Die Planung vor dem Krieg in der Ukraine sah vor, dass die Armeeausgaben moderat um 1,4 Prozent pro Jahr wachsen. Damit sollten bis Ende des Jahrzehnts 7 Milliarden für die Bodentruppen übrig bleiben. Das Hin und Her mit dem neuen Wachstumsziel von ein Prozent des BIP hat das punktgenaue Cashflow-Management der Armee durcheinandergebracht.
Die Aufregung über ein Finanzloch der Armee entpuppte sich zwar als Sturm im Wasserglas, geblieben sind aber die drohenden Fähigkeitslücken, weil das Budget langsamer wächst. Wie viel der 13 Milliarden, die für einen ersten Wiederaufbauschritt benötigt werden, innerhalb nützlicher Frist zur Verfügung stehen, ist gegenwärtig nicht abzuschätzen.
Eine weitere Unbekannte ist die Verfügbarkeit der Systeme. Bereits jetzt ist die Schweiz in der Warteschlaufe für die NLAW-Panzerabwehrwaffe aus Schweden, weil die Bedürfnisse der Ukraine höhere Priorität haben als diejenigen der Schweizer Armee. Es fehlt insgesamt schlicht die Planungssicherheit, während sich Europa auf eine weitere Ausweitung des Kriegs vorbereitet.