Die Österreicher haben Haneke, die Schweden Ruben Östlund, Kaurismäki ist Finne, alle lieben den Griechen Lanthimos. Von überall her gibt es etwas. Was gibt es aus der Schweiz? Eine Nachbetrachtung aus Solothurn.
Der Schweizer Film macht, was er kann. Es gibt Jahre, die sind etwas besser. Andere sind so wie immer. 2023 war kein besonders gutes Jahr. Es war sogar ein sehr schlechtes Jahr, wenn man die Auftritte bei den wichtigsten Festivals zählt. Summa summarum waren das ungefähr nullkommaetwas.
«Bon Schuur Ticino» ist mit über 200 000 Besuchern ein Erfolg an den einheimischen Kinokassen. Aber von der Berlinale über Cannes und Venedig bis Toronto fand das Schweizer Schaffen nur unter «ferner liefen» statt. Von den Hauptsektionen war es praktisch ausgeschlossen. Höchstens gab es «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste», eine Vier-Länder-Koproduktion, die im Berlinale-Wettbewerb lief. Aber die «max. un-frische» Regiearbeit der Deutschen Margarethe von Trotta taugt nicht als Visitenkarte fürs Schweizer Kino.
Bessere Filme mit Schweiz-Beteiligung kann man natürlich suchen. Doch die minoritären Koproduktionen sind im Gesamtbild allenfalls Kosmetik. Dass aus dem Land gute Dokumentarfilme kommen, ist unbestritten. In Solothurn ging der höchstdotierte Schweizer Filmpreis an «Die Anhörung» über Asyl-Hearings im Staatssekretariat für Migration, das Publikum votierte auch für eine Doku, «Echte Schweizer». Mit Schweizer Spielfilmen ist dagegen kein Blumentopf zu gewinnen und sicher auch keine Goldene Palme.
Aussichtslos ist es nicht
Dass die Schweiz ein grosses Filmland sei, hat noch niemand behauptet. Aber so schmal wie 2023 war die Festivalausbeute selten. Und bei der nun kommenden Berlinale glänzt die Schweiz auch wieder durch Abwesenheit im Wettbewerb.
Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme. 2022 war besser. Da zeigte Michael Koch seine «Drii Winter» im Berlinale-Wettbewerb, ebenso Ursula Meier «La ligne». Cyril Schäublin gewann ausserdem mit «Unrueh» einen Regiepreis. Ganz aussichtslos ist es also nicht.
Man muss wegen eines schlechten Festivaljahres auch nicht verzagen. Falls es Ramon und Silvan Zürcher («Das Mädchen und die Spinne») mit ihrem neuen Film im Mai nach Cannes schaffen (wie man hört, haben sie Chancen), sieht die Bilanz gleich wieder besser aus.
Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Schweizer Film ist und bleibt der Schweizer Film. Seit Jahrzehnten wartet man darauf, dass er einmal wirklich über sich hinauswächst. Nur, der grosse Wurf will einfach nicht kommen.
Die Österreicher haben ihren Haneke, die Schweden Östlund, die Dänen von Trier, Kaurismäki ist Finne, die Dardennes aus Belgien. Alle lieben den Griechen Lanthimos. Von überall her gibt es etwas. Was gibt es aus der Schweiz?
Wird nach Ivo Kummer alles anders?
Solothurn, wo sich alljährlich die Schweizer Filmszene versammelt, ist ein guter Ort, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Der Zeitpunkt ist auch günstig. Der Filmchef Ivo Kummer geht in Pension. Wird jetzt alles anders?
Branchenvertreter und teilweise auch Filmjournalisten führen fürs Leben gern Förderdiskussionen. Für alles, was nicht gut ist, werden die Regularien verantwortlich gemacht. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, es kursierten in der Schweiz die brillantesten Drehbücher, aber die Ivo Kummers verhinderten unablässig ihre Umsetzung. Sicher ist vieles verbesserungsfähig im Fördersystem. Aber eine bessere Förderung macht noch keine besseren Filmemacher.
Solothurn war trotzdem gut. Die Filmtage haben sich gesammelt. Von den Spielfilmen abgesehen (Doks sind, wie gesagt, etwas anderes), macht die nationale Werkschau wieder richtig viel Freude. Vor zwei Jahren war ja nichts als Gezänk gewesen. Die künstlerische Leiterin schied im Krach aus, der Jurasüdfuss war ein Jammertal.
Jetzt macht man in Solothurn ein hervorragendes Filmfestival, vielleicht ist es gerade das reibungsloseste der Schweiz. Die Filmtage sind ausgesprochen besucherfreundlich. Die Beizendichte im Ort ist rekordverdächtig, trotzdem sind die Filme verblüffend oft ausgebucht. Sogar manche Branchenveranstaltungen ziehen. Gibt es irgendwo einen Apéro, kann man einfach hingehen. Man wird nicht mit Dresscodes und Gästelisten geärgert. Dicke Hosen braucht es nur gegen die Kälte.
Bei Godard klingeln
Ausserdem überzeugt der künstlerische Leiter Niccolò Castelli. Er ist zugänglich, hat einen guten Auftritt. So manches Festival könnte einen Castelli brauchen. Aber einen Film hat er sich trotzdem sträflich entgehen lassen.
«Say God Bye» heisst die neue Doku von Thomas Imbach, die an der Aare fehlte. Imbach, muss man wissen, wurde in einer Vorführung von Jean-Luc Godards «À bout de souffle» in einem Kino in Paris gezeugt. So zumindest hat ihm das die Mutter erzählt. Jedenfalls fühlt sich Imbach mit Godard verbunden. Also ist der Regisseur von «Glaubenberg» oder «Nemesis» nun, im Herbst 2021, zu Fuss von Zürich nach Rolle am Genfersee gewandert, um Godard «grüezi» zu sagen. Bevor es zu spät sein würde, wollte Imbach immerhin einmal bei «God» geklingelt haben.
Für «Say God Bye» (ab April im Kino) hat sich der Filmemacher auf seiner Pilgerwanderung über den Röstigraben gefilmt. Der Regisseur sieht die meiste Zeit ziemlich fertig aus, oft steht er stretchend am Strassenrand. Manchmal hat er lustige Begegnungen. Ausschnitte aus Godards, aber auch Imbachs Werk sind assoziativ-wild in die Wanderung hineinmontiert. Ein Regisseur stolpert nach Rolle (VD): Der Film ist aus der Hüfte geschossen. Imbach nennt das Genre Gonzo-Meta-Doku.
Solothurn hat den Anspruch, das Schweizer Filmschaffen möglichst breit abzudecken. Als 2019 ein Film von Christian Labhart von den Filmtagen abgelehnt wurde, war die Branche in Aufruhr. Einen neuen Film von Thomas Imbach auszuklammern, ist vergleichsweise ähnlich skandalös, wie die «Barbie»-Regisseurin Greta Gerwig bei den Oscars zu übergehen. Oder es ist zumindest bezeichnend für die Befindlichkeiten in der Schweiz: «Say God Bye» feierte seine Weltpremiere am A-Festival in Karlovy Vary (Karlsbad), doch für die Solothurner Auswahlkommission war er wohl zu rotzig. Wenn es um Godard geht, ist bei unseren Cinephilen, scheint’s, kein Spass erlaubt.
In der Solothurner Reithalle aber hätte sich das Publikum garantiert weggeschmissen. Und ohne zu verraten, ob Godard dem Pilgerreisenden am Ende die Tür aufmacht: In dem Film finden sich die wahrscheinlich letzten Bewegtbilder des ikonischen Regisseurs, der im September gestorben ist. Das kann man eigentlich nicht nicht zeigen.
Die Episode ist vielsagend für das Grundproblem in der Filmschweiz. Ängstlichkeit macht klein. Grosse Würfe waren auch in Solothurn nicht dabei. Der beste Spielfilm war wohl «Bisons». Der Regisseur Pierre Monnard hatte schon 2020 mit «Platzspitzbaby» viel Erfolg beim Publikum und bei der Kritik. Der neue Film, sechsfach für den Schweizer Filmpreis nominiert, handelt von einem Schwinger (Maxime Valvini), der seinen Hof retten muss. Deshalb nimmt er an illegalen Faustkämpfen teil. Man muss streckenweise an den Tom-Hardy-Film «Warrior» denken. Dann wieder werden Kühe gemolken.
Kein «Rocky» in Sainte-Croix
«Bisons» (Kinostart 15. Februar) ist ein ziemlich guter Schweizer Film, bleibt aber ein «Schweizer Film». Pierre Monnard macht vieles richtig: Ihm ist intellektueller Dünkel fremd, er traut sich ans Erzählkino, an amerikanische Genrekonventionen. Der einsame Schwinger/Cowboy lebt auf dem Hof, aus dem Gefängnis kommt der kriminelle Bruder hinzu. Sie müssen zusammenspannen, um zu retten, was ihnen genommen werden soll.
Klassisches Blut-Schweiss-und-Tränen-Kino, dramaturgisch schnörkellos. Bei den Kampfszenen kann man nichts sagen. Aber in der Inszenierung des Dramas drückt das Schweizerische durch. Neben der Action will Monnard authentisch das Bauernleben veranschaulichen. Ihm ist an einem Film mit Stallgeruch gelegen. Das kann man machen, aber dann bleibt’s halt ein bisschen miefig.
Wie hätte Hollywood den Stoff behandelt? Der Amerikaner hätte uns zunächst stolz die Figur aufgebaut: Ein Held hat sich nach einem Schicksalsschlag vom Leben abgewendet. Einsam und zurückgezogen lebt dieser Zivilisationsflüchtige in den Bergen. Nichts als seinen Hof besitzt der selbstgenügsame «lone rider». Er hat sich sein Paradies gefunden. Aber aus diesem droht er wieder vertrieben zu werden. Also muss er kämpfen.
Das ist der Stoff, aus dem ein episches Action-Drama sein kann. «Rocky» in Sainte-Croix über Yverdon-les-Bains – wieso nicht? Doch Monnard arbeitet gutschweizerisch gegen das Pathos. Er mag’s neblig. Statt den Schwinger beim Freiluft-Training im Bergpanorama zu zelebrieren, setzt er ihn auf den Melkschemel und lässt ihn sich um die Kuh kümmern, die Fieber hat.