Für den Chef von Montana Aerospace führte am ehesten ein Montagefehler bei Boeing zum verhängnisvollen Vorgang bei Alaska Airlines. Boeing ist ein grosser Kunde von Montana. Anders als beim US-Flugzeugbauer läuft es beim Schweizer Unternehmen aber rund.
Wie kam es dazu, dass bei einer nigelnagelneuen Maschine des Typs Boeing 737 Max 9 eine deaktivierte Tür nach dem Start auf 4800 Meter Flughöhe aus der Verankerung weggeschleudert wurde? Kai Arndt, der Co-CEO des Schweizer Flugzeugteile-Herstellers und Boeing-Zulieferers Montana Aerospace, hat eine Erklärung für den schreckenerregenden Vorfall bei Alaska Airlines. Laut seiner Einschätzung ist es am wahrscheinlichsten, dass im Montageprozess etwas schiefgelaufen war.
Von Malaysia in die USA
Die Tür wurde in Malaysia in einer Fabrik von Spirit Aerosystems hergestellt. Spirit gehört zu den Hauptlieferanten von Boeing und ist zugleich einer der grössten Kooperationspartner von Montana. Von der Produktionsstätte in Malaysia gelangte die Tür in das Stammwerk von Spirit in Wichita im US-Gliedstaat Kansas, wo sie in den Rumpf des nun weltbekannten Flugzeugs von Alaska Airlines eingebaut wurde. Spirit ist auf die Rumpfherstellung spezialisiert. Neben Boeing ist mittlerweile auch Airbus ein Abnehmer des grossen Zulieferers.
Von Wichita werden die fertig produzierten Rümpfe per Frachtzug zu Boeing nach Seattle transportiert. Die Tür in der Maschine für Alaska Airlines wurde dort wohl, wie dies üblich ist, wieder ausgebaut, um Arbeitern einen möglichst freien Zugang in das Innere des Flugzeugs zu ermöglichen.
Boeing-Chef sucht das Gespräch mit Arbeitern
In den Boeing-Hangars in Seattle werden die Flugzeuge fertig zusammengebaut. So findet dort auch die gesamte Verkabelung statt. Sitze, Gepäckablagen und vieles mehr werden im Innern eingefügt. Und, so vermutet Arndt, wurde beim Wiedereinbau der Tür etwas falsch montiert oder ging vergessen.
Der Konzernchef von Boeing, Dave Calhoun, fühlte sich am vergangenen Mittwoch bemüssigt, in der Spirit-Fabrik in Wichita vor die Belegschaft zu treten. Begleitet wurde er vom CEO von Spirit, Pat Shanahan. Beide räumten zähneknirschend ein, dass man besser werden müsse.
Der Vorfall mit dem Flugzeug von Alaska Airlines hat das Vertrauen in den Flugzeugbauer und seinen Zulieferer arg beschädigt. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass der Aktienkurs von Spirit seit Anfang dieses Jahres um über elf und jener von Boeing sogar um sechzehn Prozent eingebrochen ist.
Wie lange bleiben die Maschinen am Boden?
Wie es bei Boeing und Spirit weitergeht, wird mit grosser Aufmerksamkeit auch bei Montana verfolgt. Das Management hofft, dass die Ursache des Vorfalls bald geklärt werden kann und die 171 Flugzeuge des Typs Boeing 737 Max 9, die zurzeit am Boden stehen, rasch wieder abheben dürfen. Das Grounding wurde von der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA verordnet.
Bei Montana selbst verspürt man gegenwärtig viel Aufwind. Laut dem Co-CEO Arndt liefert das Unternehmen alles, was das Gerippe eines Flugzeugs ausmacht. Die Spezialität der Firma mit Hauptsitz im aargauischen Reinach sind Verstärkungen für Flugzeugstrukturen. Montana produziert sie ausser für Boeing auch für Airbus sowie für Anbieter von Geschäftsflugzeugen wie Gulfstream.
Der Konzern, der – in einem kleineren Ausmass – auch als Zulieferer der Automobil- und der Energiebranche tätig ist, beschäftigt im Luftfahrtbereich gut 5000 Angestellte. Im laufenden Jahr will er über 300 zusätzliche Mitarbeiter einstellen, die meisten von ihnen in seinem Hauptwerk in Rumänien sowie in den USA. Man habe wegen der Aufholjagd nach der Corona-Pandemie, die nun branchenweit in vollem Gang sei, grossen Bedarf an Arbeitskräften, sagt Arndt.
Die grösste Nachfrage aus Asien
Wie am Donnerstag vor einer Woche bekanntwurde, umfasst allein das Auftragsbuch von Airbus über 8000 Verkehrsflugzeuge. Selbst wenn es dem paneuropäischen Luftfahrtkonzern gelingt, die Produktion wie geplant sukzessive hochzufahren, wird er Jahre benötigen, um all diese Maschinen zu bauen und an die Kunden auszuliefern. Im vergangenen Jahr verliessen lediglich 720 fertig produzierte Maschinen die Hangars von Airbus.
Die Nachfrage nach neuen Flugzeugen steigt vorab aus Asien, wo sich inzwischen ebenfalls immer mehr Leute Flugreisen leisten können. «Amerika ist auch sehr stark», sagt Arndt. Nicht ganz so dynamisch verlaufe die Entwicklung in Europa.
An Asco war auch Spirit Aerosystems interessiert
Montana hat laut eigenen Angaben in den vergangenen rund vier Jahren 600 Millionen Euro in den Ausbau der Produktionskapazität investiert. Teil der Expansion war die Übernahme des belgischen Konkurrenten Asco im April 2022.
Das Unternehmen war vier Jahre zuvor bereits im Visier eines anderen Interessenten gestanden: Spirit. Der amerikanische Konzern unterbreitete ein Kaufangebot im Wert von 650 Millionen Euro. Allerdings zerschlugen sich die Pläne, und dann kam die Pandemie, welche die gesamte Luftfahrtbranche in eine schwere Krise stürzte. Montana war kaltblütig genug, um es mitten im damaligen Abschwung mit einer eigenen Offerte zu versuchen. Und die Firma scheint deutlich günstiger zum Zug gekommen zu sein: Das Angebot von Spirit habe das Zwei- bis Dreifache betragen, sagt Arndt.
Die Integration von Asco verlief indes nicht reibungslos. Die Organisation musste gestrafft werden. Mittlerweile laufe es aber gut, sagt Arndt, der auf eine langjährige Tätigkeit bei Airbus zurückblickt und im Juli 2022 die Co-Leitung bei Montana übernahm.
Auf dem Weg in die Gewinnzone
Im Krisenjahr 2021 lagen die Einnahmen von Montana im Luftfahrtbereich erst bei knapp 300 Millionen Franken. Für 2023 hat der Konzern rund 800 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Und im laufenden Jahr sollten es über 950 Millionen Euro werden.
Trotz dem starken Wachstum verblieb das Unternehmen bis anhin aber in den roten Zahlen. 2024 sollten sich die hohen Investitionen im Luftfahrtbereich aber, so deutet Arndt an, erstmals positiv in den Ertragszahlen spiegeln.