Der 32-jährige Waadtländer will die Welt mit Muskelkraft in Rekordzeit umrunden. Mit dem Atlantik hat er die erste Hürde geschafft. Was macht so viel Einsamkeit mit einem Menschen?
Louis Margot ist seit 40 Tagen keinem Menschen begegnet. Um ihn herum ist nur Wasser. Die Wellen wogen, von Horizont zu Horizont. Margot, 32 Jahre alt, hat eintönige Tage hinter und vor sich. Er überquert alleine auf einem Ruderboot den Atlantik. Plötzlich knistert das Funkgerät. Ein Segler meldet sich.
Der Skipper einer Jacht ist besorgt, als er das kleine Ruderboot mit dem Waadtländer Margot darin sieht. Der Segler bietet Hilfe an, doch Margot lehnt ab. Er hat nur einen grossen Wunsch. Zuvor lebte er während Wochen von lauwarmem entsalztem Meerwasser und gefriergetrockneten Mahlzeiten. «Ich hatte zwei Wochen Spaghetti carbonara, dann zwei Wochen bolognese, danach zwei Wochen lang Poulet mit Reis», sagt Margot. Dieses Essen hängt ihm zum Hals heraus.
Margot bittet den Segler über Funk um ein kaltes Bier, eine frische Mahlzeit und Früchte. «Es hat herrlich geschmeckt», sagt er. Dann driften die beiden Boote auseinander. Margot rudert weiter, immer weiter nach Westen, zur Karibikinsel Martinique.
Margot nahm für Cambridge einst am Boat Race teil
Margot schaffte es im Nachwuchs einst ins Nationalteam der Schweizer Ruderer, wurde sogar Juniorenweltmeister. Als Student nahm er mit der Universität Cambridge am legendären Boat Race auf der Themse teil. Nach dem Abschluss in Ingenieurwissenschaften fuhr Margot mit dem Velo von seinem Heimatort Morges nach Istanbul. Danach sollte fertig sein mit Abenteuern.
Margot nahm einen Job in der Solarindustrie an und verdiente viel Geld. Doch irgendwann schlich sich das Gefühl ein, dass der Lebensweg für die nächsten 40 Jahre bereits vorgezeichnet ist. «Ich sehnte mich danach, etwas Grosses zu schaffen», sagt er. Die Gedanken kreisten, Margot plante die Überquerung des Atlantiks mit dem Ruderboot; doch er spürte bei der Planung, dass ein Ozean nicht reichen würde. Margot will die Welt umrunden, mit Muskelkraft, per Ruderboot und Velo. Er will das in weniger als 3 Jahren schaffen; der Weltrekord liegt bei 5 Jahren und 11 Tagen.
Die Familie und das Umfeld sind skeptisch, als Margot ihnen von seinem Plan erzählt. «Meine Eltern glaubten, dass die Erdumrundung nur ein Traum bleiben wird, ein Hirngespinst. Sie hatten Angst um mich», sagt er. Erst als das hochseetaugliche Ruderboot in Morges ankam, wurde Margots Umfeld klar, dass er es ernst meint. «Hätte ich auf andere gehört, wäre ich nicht unterwegs. Doch ich verspürte einen Impuls und habe ihm nachgegeben», sagt er. Sein Projekt heisst deshalb «Human Impulse».
Mit Meditation gegen die Seekrankheit
Im vergangenen September startete er in Morges und fuhr mit dem Velo nach Portugal. Dort kam der Atlantik, und damit tauchten die ersten Probleme auf. Spitzenruderer wie Margot trainieren normalerweise auf ruhigen Gewässern. Auf dem Atlantik hingegen wird er sogleich seekrank.
«Es war wie auf einer Achterbahn, ich fühlte mich schrecklich. Und dazu kam noch die Einsamkeit. Das war ein Schock», sagt er. Im Internet liest er, dass Angst und Stress die Seekrankheit verstärken. Also versucht er diese Empfindungen loszuwerden. Er meditiert und hört dabei beruhigende Musik. Die Seekrankheit verschwindet.
Der Atlantik bleibt unruhig. Margot rudert weiter. Plötzlich unterschätzt er eine Welle. Sie wirft das Boot zur Seite und bringt es beinahe zum Kentern. Margot liegt im Wasser, das Boot läuft voll, der Ozean droht ihn zu verschlingen. «Das war der schlimmste Moment meines Lebens», sagt er.
Der Atlantik erteilt ihm die erste Lektion
Er hält sich am Ruderboot fest, der Rumpf pendelt sich wieder ein. Das Adrenalin rauscht durch den Körper. Margot verkriecht sich in seine kleine Kabine, dort bleibt er zwei Tage, unfähig weiter zu rudern. «Ich war im Überlebensmodus, der Kopf war leer», sagt Margot. Der Atlantik hat ihm die erste Lektion erteilt – es hätte auch die letzte sein können.
Margot lernt schnell, gewinnt ständig neue Erkenntnisse. Zum Beispiel: «Erlebt man Situationen wie hohe Wellen zum ersten Mal, macht einem das wahnsinnige Angst. Beim zweiten Mal ist es nicht mehr so schlimm», sagt er. Dank dieser Einstellung erreicht er nach einem knappen Monat die Kanarischen Inseln. Dort erholt er sich, repariert das Boot. Dann sticht er erneut in See.
Die Tage werden eintönig. Margot steht früh auf, rudert von 6 bis 10 Uhr. Dann zwingt ihn die brennende Sonne zu einer Pause. Danach rudert er bis Sonnenuntergang und manchmal bis tief in die Nacht. Dazwischen kümmert er sich um die Wasserversorgung, repariert Schäden am Boot, bereitet Mahlzeiten zu. Mit seinem Ruderboot schafft Margot trotz Schinderei nicht einmal 5 Kilometer pro Stunde. Bis Martinique sind es fast 5000 Kilometer: «Ich drohte verrückt zu werden, wenn ich an die Distanz gedacht habe», sagt Margot.
Lösen von der Zeit – leben nach dem Sonnenstand
Auch für dieses Problem findet er eine Lösung. Margot verdeckt den Geschwindigkeitsmesser und die Distanzanzeige in seinem Boot, konzentriert sich nur auf das Rudern und den Kurs. Er habe sich von der Zeit gelöst. «Ich lebte nach dem Sonnenstand», sagt er. Wird es dunkel, liest er, telefoniert mit der Familie oder schaut Filme. Nur das Satellitennetz Starlink verbindet ihn mit der realen Welt.
Nach 76 Tagen ununterbrochenen Ruderns kehrt Margot vergangene Woche in die reale Welt zurück. Er fährt in den Hafen von Le Marin an der Südküste von Martinique ein. Auf den letzten Meilen begleiten ihn die Eltern auf einem Segelboot. Margot hat wieder festen Boden unter den Füssen – und ist trotzdem unsicher auf den Beinen. Er schwankt, ihm ist schwindlig, der Körper hat sich an den Seegang gewöhnt. Margot sehnt sich nach der Lasagne seiner Mutter, gekühlten Getränken und Schlaf. Er sagt: «Es ist surreal. Ich muss zuerst realisieren, dass ich wieder in Gesellschaft bin und die Einsamkeit hinter mir liegt.»
Auf Martinique wird er nun einige Wochen verbringen. Margot muss sich erholen und das Boot reparieren. Danach wird er das Karibische Meer überqueren. Wo er an Land gehen wird, weiss er noch nicht. Das hänge von den Wetterbedingungen ab. Daheim in der Westschweiz unterstützt ihn ein Meteorologe bei der Planung der Route. Familie und Freunde helfen bei der Logistik und der Suche nach Sponsoren. Noch ist die Finanzierung der letzten beiden Teilstücke der Weltumrundung nicht gesichert: die Überquerung des Pazifiks und die Veloreise von Südostasien heim nach Morges.
Als nächste Etappenziele stehen Costa Rica oder Kolumbien im Raum. Von dort aus wird Margot mit dem Velo entweder nach Kalifornien oder Peru fahren. Dann folgt der Pazifik, der Stille Ozean, fast 15 000 Kilometer Einsamkeit und Strapazen. Margot sagt: «Daran versuche ich noch nicht zu denken.»