Kein Thema ist in der amerikanischen Politik so toxisch wie die Regulierung der Migration. Die gescheiterte Gesetzesvorlage, die auch für die Ukraine 60 Milliarden an Militärhilfe vorgesehen hätte, hinterlässt fast nur Verlierer.
Auf den ersten Blick stellen sich die Demokraten als die Wohlmeinenden und die Republikaner als die Störefriede dar. Denn bei der Abstimmung im Senat am Mittwoch hat ausser fünf Demokraten am linken Rand der Grossteil der Fraktion für den «Deal» gestimmt. Die Republikaner dagegen haben den mühselig während Wochen zwischen den Parteien ausgehandelten Kompromiss am Ende fast geschlossen abgelehnt – obwohl es ihre Idee war, den Grenzschutz im Inland an die Militärhilfe an die Ukraine zu koppeln.
Die Gesetzesvorlage sah vor, dass von den 118 Milliarden Dollar rund 60 Milliarden als Militär- und Finanzhilfe in die Ukraine geflossen wären. 20 Milliarden wären für den Schutz der amerikanischen Südgrenze vorgesehen gewesen: für bessere Infrastruktur, mehr Betten in Ausschaffungszentren, mehr administratives Personal und Grenzschützer – und für sofortige Rückführung nach Mexiko, wenn der Andrang an der Südgrenze zu gross geworden wäre.
Bei genauerem Hinschauen manifestiert sich die weitgehend geschlossene Haltung der Demokraten allerdings als scheinheilig: Sie haben im Kongress in den letzten Jahren kaum Hand für ein schärferes Migrationsrecht, Rückweisungen und Grenzanlagen geboten. Und jetzt, da unsicher war, ob die Republikaner überhaupt einlenken würden, sagten sie plötzlich Ja zu Forderungen, die sie noch vor Monaten haushoch verworfen hätten. Das ist legitim und taktisch geschickt. Präsident Joe Biden kann nun im Wahljahr durchs Land ziehen und die Republikaner dafür verantwortlich machen, dass die Grenze im Süden so löchrig ist. Das macht aus den Demokraten aber längst nicht die Guten.
Fixstern Donald
Das Gebaren der Republikaner lässt einen dagegen ratlos zurück. Einmal mehr zeigt sich, dass die Partei ausser dem Fixstern Donald Trump keinen Kompass mehr hat. Die republikanischen Senatoren kamen Trumps Befehl nach, die Situation an der Grenze weiter dem Chaos zu überlassen, damit auch er damit während der kommenden Monate Wahlkampf machen kann. Das ist ebenfalls scheinheiliges Kalkül, bei dem der Schuss allerdings auch nach hinten losgehen könnte. Die Torpedierung des Migrationsgesetzes könnte manchem konservativem Wähler sauer aufstossen.
Denn zum ersten Mal hätten die Republikaner zumindest in Teilen bekommen, was sie und ihre Wähler schon lange fordern. Ein so scharfes Migrationsgesetz lag seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem Tisch. Dabei wird die Dringlichkeit, die Situation an der Grenze zu Mexiko schärfer zu regulieren, täglich grösser: Seit Monaten vermelden Grenzschützer immer wieder 10 000 oder gar mehr illegal Eingereiste täglich. So viele waren es noch nie.
Tatsächlich sind es wohl noch mehr, denn viele weitere Immigranten kommen über die Grenze, ohne dass sie registriert werden. Der Effekt verstärkt sich noch selbst: Wer es so einfach über die Grenze nach Amerika schafft, motiviert Weitere, es ihnen gleich zu tun. Für viele ist eine illegale Existenz in den USA allemal besser als ein Leben ohne Zukunftsperspektive in ihrem Heimatland. Inzwischen werden nicht nur Menschen aus Südamerika aufgegriffen, sondern immer öfter auch Asiaten und Menschen aus Subsahara-Afrika. Wer eine Möglichkeit gefunden hat, erst einmal nach Süd- oder Mittelamerika zu gelangen, schafft es inzwischen in wenigen Wochen, wenn nicht Tagen in die USA.
Ein Anliegen vieler Wähler
Es ist deshalb längst nicht nur ein Anliegen von Wählern am rechten Rand, dass die Situation besser geregelt wird. Zudem wecken die Bilder von Menschen, die scheinbar einfach so ins Land spazieren, Ängste. Das Gesetz hätte es für viele unattraktiver gemacht, sich auf den Weg zu machen. Schon nur das Signal, das ein schärferes Migrationsgesetz aussendet, kann Wirkung zeigen.
Das ist auch andersrum der Fall: Als Joe Biden vor vier Jahren damit Wahlkampf machte, Trumps Abschreckungskurs zu stoppen und die während der Pandemie geltende Abschiebepraxis zu lockern, war das für viele eine Einladung, es zu versuchen. Auch mit Bidens Haltung kann deshalb erklärt werden, wieso der Ansturm heute so gross ist.
Kaum ein Thema ist in der amerikanischen Politik so toxisch wie die Migration. Hier haben sich die beiden Parteien schon früh ineinander verkeilt und bis heute keinen gemeinsamen Boden gefunden. Das wird sich so schnell nicht ändern, obwohl eine Lösung dringend nötig wäre. Das Scheitern der Gesetzesvorlage generiert wieder einmal fast nur Verlierer.
Müssig zu sagen, dass die grösste Verliererin die Ukraine ist, der je länger, je mehr Waffen und Munition fehlen, um sich schlagkräftig gegen Russland zu verteidigen. Zu den Verlierern gehören aber auch die amerikanischen Wählerinnen und Wähler: Erneut wird ihr Vertrauen in die Politik unterwandert. Die Haltung, dass in Washington nur miese Spiele betrieben werden, bestätigt sich bei jenen, die sonst schon skeptisch Richtung Hauptstadt blicken.
Und letztlich gehört die ganze amerikanische Gesellschaft auf die Verliererseite: Denn in einer Gesellschaft, in der Migration nicht geregelt wird, gibt es Platz für Ressentiments, Hetze und manchmal sogar Hass gegen Zugewanderte. Daraus könnte einer wie Trump Kapital schlagen. Nachhaltig ist das nicht.