Der schrille Norweger gab vor einem Jahr in Sölden unter Tränen den Rücktritt bekannt. Jetzt ist er unter brasilianischer Flagge wieder da. Lucas Braathen sagt, er müsse seinen eigenen Weg gehen.
«I’m out.» Mit diesem kurzen Satz schockierte Lucas Braathen vor einem Jahr die Skiwelt. An einer improvisierten Pressekonferenz in seinem Hotelzimmer in Sölden sagte der damals erst 23-jährige Skirennfahrer kurz vor dem ersten Rennen der Saison, dass er nicht mehr glücklich sei in dieser Sportwelt. Sie enge ihn zu sehr ein.
Hintergrund war ein Konflikt mit dem norwegischen Skiverband, der den Athleten nur wenige Vermarktungsrechte zugesteht. Die Fläche auf Helm oder Mütze, die am meisten Geld einbringt, gehört dem Verband, der dort seinen Hauptsponsor platziert und so den Rennbetrieb finanzieren kann.
Der Streit mit dem norwegischen Verband bringt Braathen an den Rand des Burnouts
Vor fünf Jahren hatte Henrik Kristoffersen den Skiverband sogar vor Gericht gezerrt, dort aber verloren. Heute fährt er zwar noch für Norwegen, trainiert aber in einem Privatteam. Doch auch andere Skisportler wehren sich. Laut dem Abfahrer Aleksander Kilde besteht unter Athletinnen und Athleten Einigkeit darüber, dass sich die Situation ändern muss.
Lucas Braathen trat 2023 als eine Art Sprecher auf, ging aber zu weit, als er an einer Modeschau in Kleidern eines Skiausrüsters defilierte, der direkter Konkurrent des Verbandssponsors ist. Braathen entschuldigte sich dafür, doch der Zwist nahm ihn so sehr mit, dass er die Freude am Skifahren verlor – und die Konsequenzen zog.
Ein Jahr später erzählt er in Sölden, dass er vorübergehend gar nichts mehr vom Wintersport wissen wollte. Er vermietete seine Wohnung in Norwegen, flog auf eine Insel in Brasilien und genoss das Leben in dem Land, aus dem seine Mutter stammt – und wo er als Kind auch einige Jahre lebte. Seine Liebe zum Sport habe er in den Strassen von São Paulo entdeckt, wo er mit Freunden Fussball gespielt habe, sagt er.
Braathen hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass er ein Mann mit zwei Kulturen sei. Das brasilianisch Leichte war ihm genauso wichtig wie die norwegische Akribie bei der Suche nach dem perfekten Schwung auf der Piste. Mit lackierten Fingernägeln und coolen Auftritten wurde er zum Teenie-Idol, mit atemberaubenden Siegesfahrten zum herausragenden Sportler.
Was jedoch von aussen so locker wirkte, war anscheinend das Produkt von ständigen Anpassungen und Verbiegungen. Er habe immer alles richtig machen wollen, sagte Braathen – den anderen gefallen, möglichst so wie der Durchschnitt sein. Als Bub habe er gegen seinen brasilianischen Akzent gekämpft, er habe seinen Kleiderstil angepasst und sich an alle Regeln gehalten.
Bis fast zum Burnout. «Ich brauchte achtzehn Jahre, um zu verstehen, dass ich nicht allen gefallen kann. Dass ich nicht wie alle sein kann. Und dass ich unglücklich bin.» In seinem Sabbatical in Brasilien wurde dem Athleten bald einmal bewusst, dass die Liebe zum Skifahren nicht völlig erloschen war. Er modelte und hatte Auftritte als DJ, aber das erfüllte ihn nicht. Braathen begann, einzelne Skirennen im TV zu schauen, er liess sich reinziehen und entschied im Januar, also rund drei Monate nach dem Rücktritt: «Ich mache wieder mit – aber auf meine Art.»
Entsprechend frech war sein Auftritt am Donnerstag in Sölden. Braathen lud in eine exklusive Location auf mehr als 3000 Metern über Meer, dafür wurde extra die Seilbahn in Betrieb genommen, und zum Smalltalk vor der Pressekonferenz gab es Caipirinhas und brasilianische Häppchen. Der Saal war gerammelt voll, grösser hätte der Kontrast zum Rücktritt ein Jahr zuvor nicht sein können.
Neun Betreuer und ein Budget von über einer Million für das Ein-Mann-Team
Team Pinheiro nennt sich das Konstrukt, das innerhalb weniger Monate um Lucas Braathen aufgebaut wurde, der Name ist eine Reverenz gegenüber seiner Mutter. Der Auftritt auf dem Gaislachkogel hoch über Sölden trug die Handschrift des Hauptsponsors Red Bull, bei dem man nicht mit der kleinen Kelle anrichtet.
Das gilt auch für das Team überhaupt: Neun Personen gehören zum Staff, darunter Mike Pircher, der bei den Österreichern einst Marcel Hirscher betreute, und der Konditionstrainer Kurt Kothbauer, der im Frühling den Dienst bei Marco Odermatt quittierte, um zu Braathen zu wechseln. Für das Team wurde sogar ein Fotograf und Videofilmer engagiert, damit die Welt stets die besten Bilder von Braathen zu sehen bekommt.
Das alles ist nicht gratis. Laut Björn Braathen, Vater und Manager des Athleten, wirtschaftet das Team Pinheiro mit einem Budget von über einer Million Franken pro Jahr. Zum Vergleich: Lara Gut-Behrami verfügte vor einigen Jahren über fünf Angestellte, heute sind es noch vier. Zudem trägt Swiss Ski einen Teil der Kosten. Ihr Etat dürfte bei etwa einem Drittel dessen liegen, was Braathen zur Verfügung steht.
Er will aber auch nicht bloss gut Ski fahren, wie das Gut-Behrami oft sagt. Der 24-Jährige möchte zu einem Vorbild werden und den Skisport in neue Dimensionen führen. «Was wäre Basketball ohne Rodman? Was wäre Fussball ohne Ronaldinho?» Sie seien für ihn Idole, weil sie ihre Sportart geprägt hätten, sagte Braathen.
Er sei nur ein kleines Teilchen im Räderwerk des Sports, aber er könne andere mitziehen. Wohin es gehen soll, formulierte er deutlich: «Ihr liegt falsch, wenn ihr meint, es gehe darum, wie man durch die Tore fährt», richtete sich Braathen an die Medien. Sport sei Entertainment, er selbst ein Showman. «Es zählt nur die Geschichte, die wir erzählen.»