Eine Studie der Zürcher Kantonalbank zeigt: Es gibt nicht mehr Leerkündigungen als früher, und Mieter wissen im Schnitt drei Jahre vor dem Auszug Bescheid. Auch im Fall der Sugus-Häuser dürfte das Mietrecht die Mieter noch lange in den Wohnungen halten.
Seit Dezember steht das Thema Leerkündigungen wieder im Rampenlicht. Auslöser war der Fall von drei «Sugus-Häusern» beim Zürcher Hauptbahnhof. Die Eigentümerin kündigte allen 105 Mietparteien während der Adventszeit mit der kürzestmöglichen Frist von drei Monaten. Sie begründete dies mit einer geplanten Totalsanierung. Viele Mieter leben seit Jahren dort, darunter zahlreiche Familien mit schulpflichtigen Kindern.
«In höchstem Masse unprofessionell»
Die Empörung war gross, sowohl bei Mietern als auch bei Vermietern. Albert Leiser (FDP), der Direktor des Hauseigentümerverbands Zürich, sprach im Kantonsrat von einem «unprofessionellen Vorgehen so kurz vor Weihnachten». Mehrere Immobilienverbände beurteilten das Vorgehen der Vermieterin in einem gemeinsamen Communiqué als «sehr kritisch». Der Zeitpunkt sei «im höchsten Mass ungehörig und das Vorgehen unprofessionell».
Trotz der Kritik der Vermieter hat der Fall die Debatte um Sanierungen und Leerkündigungen neu entfacht und Gräben zwischen Mietern und Vermietern vertieft. Der Vorwurf: Vermieter nutzen Sanierungen als Vorwand, um Mieter zu vertreiben und die Wohnungen teurer zu vermieten. Sie wählen zunehmend den einfachsten Weg, indem sie alle Mieter auf die Strasse setzen, obwohl Sanierungen auch im bewohnten Zustand möglich wären.
Aber haben Leerkündigungen tatsächlich zugenommen? Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) hat dies untersucht und kommt in einer am Dienstag veröffentlichten Studie zu einem klaren Ergebnis: Nein. Im Kanton Zürich blieb die Zahl der leer gekündigten Wohnungen in den Jahren 2022 und 2023 sogar unter dem Niveau der Vorjahre. Auch im Kanton Basel-Stadt zeigt der Trend leicht nach unten. Gesamtschweizerisch ist er stabil.
Die ZKB wollte auch wissen, wie viel Zeit zwischen der Kündigung und dem tatsächlichen Auszug der Mieter vergeht. Diese Dauer ist entscheidend für die soziale Verträglichkeit einer Kündigung: Je mehr Zeit die Mieter haben, desto eher finden sie eine gute Lösung. Die Kündigungen in den Sugus-Häusern sorgten nicht zuletzt deshalb für Aufruhr, weil die Vermieterin die Mieter innerhalb von drei Monaten draussen haben wollte.
Die Studienautoren untersuchten Gebäude im Kanton Zürich, die 2023 leer wurden, und analysierten die Bewohnerzahl in den Jahren davor. Sie stellten fest, dass die Anzahl der Bewohner ab 2021 sank und sich die Altersstruktur änderte. Ältere Mieter zogen zuerst aus, jüngere rückten nach. Ursina Kubli, Leiterin des Immobilienresearch der ZKB, vermutet, dass diese Jungen befristete Mietverhältnisse eingingen und so zu günstigem Wohnraum kamen.
«Wir sehen klare Indizien, dass Mieterinnen und Mieter im Durchschnitt mindestens drei Jahre im Voraus von einer vollständigen Entmietung des Gebäudes erfahren haben», sagt Kubli. Unklar bleibe allerdings, ob Vermieter frühzeitig informierten oder die Mieter den Auszug hinauszögern konnten.
Sugus-Bewohner müssen wohl noch lange nicht ausziehen
Denn oft greift das Mietrecht. Wer sich gegen eine Kündigung zur Wehr setzt, hat gute Chancen, dass er länger in der Wohnung bleiben darf. Im Fall der Sugus-Häuser sind laut dem Mieterverband Zürich rund 80 der 105 Mietparteien mit Unterstützung des Verbands an die Schlichtungsstelle gelangt. Diese wird sich im Frühsommer mit den Fällen befassen.
Mieter können sich mit zwei Argumenten wehren: Sie können eine Erstreckung beantragen, auch wenn die Kündigung gültig ist. Gründe können schulpflichtige Kinder, finanzielle Schwierigkeiten oder die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt sein. Oder sie können die Kündigung als missbräuchlich anfechten.
Im Fall der Sugus-Häuser stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Kündigungen rechtmässig sind. Nach der ersten Kündigung per Ende März folgte eine weitere per Ende September, nachdem der Verwalter verhaftet worden war. Gegen ihn liefen Strafanzeigen wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung und Veruntreuung.
Beide Kündigungen könnten laut Mietrechtsexperten missbräuchlich sein. Die erste, weil kein ausgereiftes Projekt vorlag, was das Bundesgericht bei einer solchen Kündigung verlangt. Die zweite, weil sie zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, an dem sich die Mieter bereits gegen die erste Kündigung zu wehren begonnen hatten. Eine Kündigung während eines laufenden Verfahrens ist nicht zulässig.
Zudem erhielten die Mieter vor der ersten Kündigung ein Schreiben mit einer – ungültigen – Mietzinserhöhung. Die nachfolgende Kündigung könnte als Rachekündigung erscheinen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Mieter der Sugus-Häuser bald ausziehen müssen. Selbst wenn die Kündigungen als rechtmässig erklärt würden, haben die Mieter laut Experten bei einer so kurzen Kündigungsfrist gute Chancen, noch bis zu zwei Jahre in den Wohnungen bleiben zu dürfen. Wenn die Schlichtungsstelle die Kündigungen als ungültig erachtet, kann die Vermieterin sich zwar vor Gericht wehren, aber der Weg durch die Instanzen dauert auch rasch einmal zwei Jahre. Unterliegt die Vermieterin, beginnt eine dreijährige Sperrfrist für Kündigungen.
Wie es die Profis machen
Die juristischen Folge zeigen: Das Vorgehen der Sugus-Vermieterin war nicht nur asozial, sondern auch nicht zielführend. Ihre Reputation ist beschädigt, und ihr Ziel, das Haus leer zu sanieren, wird sie voraussichtlich noch Jahre nicht erreichen.
Dieser Fall ist jedoch ein Einzelfall und nicht repräsentativ für alle Vermieter. Die meisten Vermieter sind sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst.
Der Verband der Immobilienwirtschaft SVIT veröffentlichte 2022 eine Broschüre, die aufzeigt, wie man eine Mietliegenschaft sozialverträglich leert. Laut SVIT sollten Vermieter ihre Mieter frühzeitig, transparent und mit nachvollziehbaren Gründen über Bauvorhaben informieren. Sie sollten persönliche Ansprechpartner bereitstellen und die Mieter bei der Wohnungssuche unterstützen. Zudem empfiehlt der SVIT, individuelle Lösungen für ältere, gesundheitlich beeinträchtigte oder finanziell schwache Mieter zu finden. Das Ziel ist, unnötige Härtefälle zu vermeiden und Mieter nicht überraschend zu verdrängen.
Alles dies wurde bei den Sugus-Häusern versäumt.